Knurren, Fauchen, Zischen, Brüllen. Wut macht viele Geräusche. Aber was bringt es uns, die Faust auf den Tisch zu hauen, statt sie stumm im Sack zu machen?

Foto: Selina Fehr

Meine Lieblingsszene in den «Herr der Ringe»-Filmen war immer die in den Minen Morias, wo Zauberer Gandalf im Duell mit dem teuflischen Balrog seinen Stab in den Boden rammt und mit geballter magischer Kraft schreit: «You shall not pass!» – und seinen Gefährten damit die Flucht ermöglicht.
Fantasiehelden, die für das Gute einstehen und gegen vorherrschende Paradigmen aufbegehren, kannte ich viele. Im echten Leben spürte ich eine solch feurige Kraft kaum und meine Kampflust glich der eines grasenden Ponys.

Die moderne Gesellschaft bringt uns den Umgang mit Gefühlen nicht bei. «Sei doch mal ruhig», sagen wir dem tobenden Fünfjährigen. «Reg dich nicht auf, das bringt doch nichts», zur Freundin, die mit der Überbauung der letzten Flecken Grün nicht einverstanden ist. Wut zu fühlen und auszudrücken wird grundsätzlich negativ gewertet.

Wut gilt als ungezogen und störend, in der Geschäftswelt als irrational und unseriös, bei spirituell Suchenden als destruktiv und peinlich.

Vom Kindesalter an gilt Wut als ungezogen und störend, in der Geschäftswelt als irrational und unseriös, bei spirituell Suchenden als destruktiv und peinlich. Diese Bilder hinterlassen Narben. Schlucken wir die Wut oder meditieren sie weg, bleibt am Schluss nur noch ein Dauerlächeln ohne Feuerfunkeln. Die ganze Sprengkraft richtet sich nach innen, vergiftet den Schlaf und lässt Magengeschwüre gedeihen. In anderen brodelt die angestaute Wut direkt unter der Oberfläche und sie schlagen sich schimpfend, polternd und wirkungslos durchs Leben, als berüchtigte Jähzornige. Oder die unterdrückte Wut peitscht seitlich heraus und verletzt Menschen durch passiv-aggressive Kommentare.

Eine völlig neue Sichtweise auf die Wut gaben mir die Kurse in Possibility Management, die ich vor zwei Jahren zu besuchen begann. In ihnen werden Gefühle an sich als neutral betrachtet, und die Trainings lehrten mich, auch die Wut als einzigartige Quelle von Energie und Information zu nutzen. Sie dient dazu, Klarheit zu schaffen, Grenzen zu setzen oder ins Tun zu kommen.

Schicht um Schicht bauen die Trainierenden Blockaden ab und lernen wieder zu fühlen. So etwas darf zunächst auch unverantwortlich sein, mit Schreien und Schimpfwörtern. Dazu ist das Training als sicherer Raum nützlich. Für viele ist es eine Befreiung, eine Erleichterung – und erst der Anfang.
Bis wir unsere reine archetypische Wutkraft anzapfen können, müssen wir in Übungen einiges an Glaubenssätzen, verklebten Geschichten und alten Mustern auflösen.
Eine nützliche erste Übung besteht darin, dass ich jemanden auf mich zukommen lasse und mich darin übe, mit meiner Stimme eine Grenze zu setzen. Die andere Person hat die Aufgabe zu überprüfen, ob der Stopp ankommt und authentisch ist. Flackern dabei meine Augen oder hebt sich am Schluss die Stimme zu einem Fragezeichen – Stopp? –, dann ist da wohl mehr Angst als Wut im Spiel. So erhalten wir als Wut-Erforscher durch einfache Übungen eine Referenz, wo wir in Bezug auf unsere Kriegerkraft stehen und schmieden durch Feedback und Coaching unser Schwert der Klarheit. Durch fortlaufendes Lernen können wir damit präzise agieren oder auch Räume zerstören, die für uns zerstört gehören: falsche Spielchen in der Freundinnen-Clique oder eine Geschäftsbesprechung, die nur der Rechthaberei und Machtdemonstration dient. Als «verantwortliche Krieger» beenden wir Dinge, die nicht mit unseren Werten übereinstimmen und stehen für das ein, was uns wichtig ist: Würde, Lebendigkeit, Transformation. Mit dabei immer ein fühlendes Herz und ein waches Bewusstsein.     

Heute gehe ich mit viel mehr Klarheit durchs Leben und blicke den Monstern direkt in die Augen. Meine Gefährten freuen sich über mein Feuer für eine schönere Welt und lassen sich von der Kraft anstecken. Du auch?

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«Gefühlstraining – Wut erleben». Infos: [email protected]

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