Ein kulinarisches Liebespaar

Käse und Kartoffeln passen so gut zusammen, dass ihnen der Käser Martin Bienerth und der Kartoffelbauer Marcel Heinrich ein Buch gewidmet haben. Es ist so schön, dass einem auch ohne ein einziges Rezept das Wasser im Mund zusammenläuft.

Der Geschmack guter Lebensmittel beginnt auf dem Acker und im Boden: Der Käser Martin Bienerth (links) und der Kartoffelbauer Marcel Heinrich. Foto: Johannes Tscharner

Früher war für mich eine Kartoffel einfach nur eine Kartoffel. Meine Mutter kochte Kartoffeln für uns zum Mittagessen, manchmal mit Fleisch, selten mit Fisch, aber immer mit viel Gemüse. Später musste ich Kartoffeln kaufen gehen und lernte, dass es festkochende und mehlige Kartoffeln gab. Und ich erinnere mich, wie im Keller gegen den Frühling die langen Triebe aus dem Kartoffelsack gewachsen sind, wie meine Mutter die Triebe beim Zubereiten der «Mittagskartoffeln» abgebrochen hat, wie die Kartoffeln manchmal schon schrumpelig waren und sie daraus die besten Kartoffelpuffer machte. Gleichzeitig höre ich noch, als wäre es gestern gewesen, wie sie im Frühling auf die Frühkartoffeln wartete und sie kaum erwarten konnte. Meine Mutter kochte immer Kartoffeln, der Topf war immer voll. Erst gab es Salzkartoffeln oder Kartoffelbrei, vom ersten Rest am anderen Tag Bratkartoffeln und am dritten Tag Kartoffelsalat.

Ein Sack Kartoffeln war immer mit dabei, als ich später auf die Alp ging und mir im Herbst einen dreimonatigen Essensplan für den kommenden Sommer ausdachte. Während des Sommers gab es dann  auch schon bald frische, junge und kleine Kartoffeln, die «Schweine­kartoffeln» von unseren Bauern, die sie uns auf die Alp brachten. So sind sich Kartoffeln und Käse immer wieder begegnet, beide im Käsekeller gelagert.

Foto: Martin Bienerth

In meiner Erinnerung gehörten beide schon immer zusammen wie ein kulinarisches Liebespaar. Auf der Alp lernte ich auch zu haushalten und zu kochen. Schnell musste es meistens gehen, das Kochen, denn es gab viel Arbeit, da blieb keine Zeit für aufwändige Essenskreationen. Und viel musste es auch sein, die Töpfe und Teller mussten voll sein, denn Arbeitstage von morgens um 4 Uhr bis abends um 21 Uhr waren normal, und das braucht Energie.

Aber Kartoffeln waren noch immer nur Kartoffeln, für Energie und Kraft, um den Alltag zu bewältigen. Noch später, als das Essen und dessen Genuss für mich immer wichtiger wurden,  lernte  ich  immer  wieder  neue  Geschmäcker  kennen.  Ich lernte, dass Milch nicht gleich Milch und Käse nicht gleich Käse ist. Und heute weiss ich auch, dass Kartoffeln nicht gleich Kartoffeln sind. Ich bin begeistert von den Farben, den Formen, der Konsistenz und den verschiedenen Geschmäckern. Als Wald· und Wiesenknipser durfte ich sie die vergangenen zwei Jahre begleiten mit Fotoapparat und Stift. Vom Saatgut über das Wachstum, die Ernte und die Lagerung bis auf den Teller habe ich spannende Momente erlebt. MeinLeben ist reicher, vielfältiger und bunter geworden, und dafür bin ich Marcel Heinrich so dankbar. Er ist der Kartoffelbauer, der über dreissig verschiedene Kartoffelsorten im Berggebiet anbaut. Auf seinem Hof stehen noch immer Kühe, die im Sommer auf die Alp gehen, die er früher noch gemolken hat, aber heute nur noch  als Mutterkühe hält. Er hat noch immer eine enge Beziehung zu Milch, Fleisch, Butter und Käse, und seine entdeckte Liebe zu Kartoffeln hat nun auch mich gepackt ...

Es braucht sie alle, damit das System funktioniert. Einer hat eine Idee, der Idealist. Einer hat das Wissen und die Technik, der Erzeuger. Einer kann die Produkte weiterverarbeiten, der Verarbeiter. Einer kann kommunizieren und verkaufen, der Vermarkter. Und dann braucht es noch Konsumentinnen und Konsumenten, die diese Urprodukte ins Herz schliessen und mit ihrem Genuss fördern.
Martin Bienerth

_______________

Der Text stammt aus dem wunderbaren Fotoband Alpengold – Kartoffeln und Käse aus den Bergen von Martin Bienerth und Marcel Heinrich. Fona-Verlag, 2016, 33 S., CHF 54.–

Der Agronom, Autor und Fotograf Martin Bienerth ist aus dem Allgäu in die Schweiz gekommen, zuerst als Alphirt, dann als Käser in der Sennerei Andeer, die er seit 2001 mit seiner Frau Maria führt und eine Reihe von Spezialitäten produziert. Die mehrfach preisgekrönte Sennerei wurde 2010 in Wisconsin Weltmeister in der Kategorie Hartkäse und Vizeweltmeister in der Gesamtwertung mit 2300 Käsen. Käse der Sennerei Andeer wird in die ganze Schweiz verschickt. www.sennerei-andeer.ch
Marcel Heinrich ist Forstwart und Meisterlandwirt und bewirtschaftet im Albulatal den Biohof Las Sorts. Die 43 Kartoffelraritäten, die er mit seiner Familie  anpflanzt, sind im Hofladen, bei handverlesenen Wiederverkäufern, Gourmetrestaurants oder über das kartoffeltaxi.ch erhältlich. www.lasorts.ch
Alpengold und weitere Bücher sowie Postkarten von Martin Bienerth sind erhältlich bei:
Alpsicht Verlag, 7440 Andeer. www.alpsicht.ch