Wie man mit passivem Widerstand den Gegner besiegen kann.

Mahatma Gandhi (Foto: Jim Forest/Flickr)

Es muss mit einem Einzelnen angefangen haben: Ein mutiger Mensch, der anfing zu pfeifen. Sein Solo schwoll zu einem mächtigen Pfeifkonzert an. Die Menschen auf dem Platz buhten erstmals ihren Staatschef offen aus. Der Eine, der anfing, muss gewusst haben, dass es gefährlich war. Er ging das Risiko ein und veränderte die Geschichte.
Das war 1989, während einer Jubeldemonstration für Nicolae Ceaușescu. Der rumänische Diktator, der es gewöhnt war, in gelenkter Zustimmung zu baden, geriet ins Stocken. Sekunden später blendete das Fernsehen die Live-Übertragung aus. Am nächsten Tag war der letzte Tyrann des «Ostblocks» Vergangenheit.

Revolution ohne Gewalt

Solche Vorfälle begeistern uns, aber wir erfahren selten von ihnen. Die Machthaber haben zu viel Angst, auf den Balkonen ihrer angemassten Überlegenheit von uns ausgebuht zu werden. Organisierter Aufruhr freilich ist zweischneidig. Wenn Einpeitscher die Menge «führen», sind da ja schon wieder Führung und Macht. Und es droht die Gefahr, dass die Tyrannei nicht verschwindet, sondern nur die Farbe wechselt. Auch revolutionäres Gehabe ist nicht immer authentisch. Es kann sein, dass hinter der Absicht, eine Macht zu stürzen, die Interessen einer grösseren Macht stehen. Wie im Fall der Organisation Otpor, die in der Ukraine und Serbien «Regime Change»-Operationen durchführte, mit Finanzmitteln aus den USA. Selbst wer anarchisch startet, kann autoritär enden. Auch Rumänien hat sich seither nicht in ein Paradies gewandelt. Vielleicht war der Fehler, dass die Einzelnen die Macht, die sie ihrem nackten Kaiser entzogen hatten, nicht für sich behielten? Sie gaben sie gleich an einen neuen Kaiser weiter.

Widerstand bedeutet: Bleib wer Du bist!

Menschen, die mit sich im Reinen sind, verlieren nicht, weil sie am Kampf schon gar nicht interessiert sind.

Es braucht viel innere Stabilität, um ein Machtvakuum auszuhalten. Wenn du Widerstand leisten willst, beginne damit, dass du unbedingt du selbst bleibst. Und vermeide jede Selbstentfremdung, zu der man dich verleiten will! Denn selbst, wenn du im Konflikt siegst – was hilft es, wenn es nicht mehr du bist, der gesiegt hat, sondern eine leere Hülle, angefüllt mit fremden Phrasen? Selbsterforschung, auch Spiritualität können helfen, die Kraft zu finden, sich selber treu zu bleiben. Passiver Widerstand wird politisch oft als irrelevant betrachtet.
Dabei sehen Aktive meist nur die eine Seite: Das Fehlen lauten Protests. Wenig wahrgenommen wird dagegen das leise Widerstandspotenzial, das in der Verweigerung liegt, im Sich-Entziehen. Daraus kann eine Lebenshaltung werden, die den Einzelnen unbestechlich und unerpressbar macht.

Widerstand heisst auch, immer weniger zu brauchen

Strukturelle Gewalt umgibt uns wie das Wasser die Fische. Wenn du nicht tust, was wir von dir verlangen, nehmen wir dir das Geld, das Ansehen und den Luxus, den du als Selbstwertprothese so dringend brauchst! Widerstand beginnt damit, dass wir anfangen, immer weniger zu brauchen. Insofern ist Einfachheit Widerstand.

Es kann ganz einfach beginnen

Man schafft z.B. sein Auto ab und legt die meisten Strecken mit dem Fahrrad zurück. Man würzt seinen Kartoffelsalat mit dem Bärlauch vom Bahndamm. Man trägt seine alten Pullover etwas länger und nutzt die Zeit, die man für das Rattenrennen nach Erfolg nicht mehr braucht, um bei etwas Schönem länger zu verweilen. Man hat auf einmal Zeit für Freundschaft, Zeit zu helfen und Hilfe anzunehmen. Zeit, das Gedankenkarussell zum Stehen zu bringen und einfach da zu sein. Man geht wie der griechische Philosoph Diogenes über den Markt und freut sich an allem, was man nicht braucht.

Sanfte Formen der Rebellion

Menschen, die mit sich im Reinen sind, verlieren nicht, weil sie am Kampf schon gar nicht interessiert sind. Sie sind nicht erfolglos, weil Erfolg für sie keine erstrebenswerte Kategorie ist. Der Mensch, der ein einfaches Leben wählt, ist kein gescheiterter Karrierist; er repräsentiert einen völlig anderen Typus Mensch. Schliesslich wirkt seine sanfte Form der Rebellion ansteckend.
Und sagen Sie jetzt nicht, als Einzelner könne man sowieso nichts bewirken!  

  

Mehr zum Thema «weich | hart» in Zeitpunkt 159