Die Katze streichelt ihren Schwanz

Das war mal eine richtig positive Nachricht: «Es gibt so gut wie keine Pessimisten mehr», titelte die Neue Zürcher Zeitung am 9. Oktober in ihrer Rubrik «Geldanlage». Ich weiss nicht, wo die NZZ für ihre Beurteilung der Finanzmärkte überall nach Pessimisten gesucht hat. Auf jeden Fall nicht in der Nähe des weltweit bekannten Schweizer Börsengurus Marc Faber, der Ende September warnte: «Macht euch bereit für einen massiven Aktieneinbruch!» Und auch nicht bei Bill Gross, der mit PIMCO den grössten Rentenfonds der Welt mit rund 250 Mrd. Dollar verwalteten Vermögen gründete. Gross sagte kürzlich: «Wir haben Fake-Märkte.» Es gibt noch viele andere, die die massive Überbewertung der Aktien (rund 70 Prozent über den Werten vor Ausbruch der Finanzkrise) für äusserst gefährlich halten. Dazu kommt, dass Krisen immer dann ausbrechen, wenn die Euphorie am grössten ist, es also so gut wie keine Pessimisten mehr gibt. So gesehen, wäre der Titel der NZZ dann doch keine besonders gute Nachricht.

Ich habe, wenn ich mich recht erinnere, vor 15 Jahren aufgehört, vor einem bevorstehenden Crash zu warnen. Er wird kommen, das ist klar. Und er wird logischerweise kommen, wenn der Schaden maximal ist. Denn den Schaden verhindern oder begrenzen kann man nur durch Aussteigen. Aber je mehr aussteigen, desto grösser ist die Gefahr eines Zusammenbruchs.
Ein solcher hätte schon in den 1990er-Jahren stattfinden müssen, wenn nicht die Richtlinien für Banken und Wertpapiere unter Clinton drastisch verwässert worden wären. Meine Erfahrung: Der Phantasie, ein leeres Glas voll aussehen zu lassen, sind offensichtlich keine Grenzen gesetzt. Und dem Willen, es genau so zu sehen, noch viel weniger.

Es steht ja auch eine eindeutige Logik dahinter: Die Aktienindizes bauen auf den Papieren der grössten Konzerne. Wenn einer schrumpft, fällt er aus dem Index, sodass dieser weiter steigen kann. Etwas ähnliches wird ja auch mit den Beschäftigungsstatistiken betrieben: Ist jemand zu lange arbeitslos, wird er einfach nicht mehr als Arbeitsloser gezählt.
Steigende Aktienkurse rechtfertigen und begünstigen eine von der Wertschöpfung entkoppelte Geldschöpfung. Es geht ja aufwärts, Kredite scheinen sicher. Und solange immer neues Geld in diese Märkte fliesst, steigen die Preise der Anlagen, was die Geldschöpfung weiter antreibt und die Preise steigen lässt. Es ist, als ob die Katze ihren Schwanz streichelt, anstatt endlich zuzubeissen und aufzuwachen.

Ich rate allen Besitzern von vielstelligen Zahlen oder Papieren, diese bei Gelegenheit in Realwert zu verwandeln. Besser ein Jahr zu früh als einen Tag zu spät.

Jetzt hat aber die amerikanische Zentralbank, das Fed, im September beschlossen, erstmals seit Dekaden die Geldversorgung zu verknappen, und zwar um erst einmal zehn Milliarden Dollar. Das ist zwar nicht mehr als ein Nasenwasser ohne konkrete Folgen. Aber es ist ein Signal für alle, die auch die leisen Töne hören und zu deuten wissen. Und es ist ein Zeichen, dass Erich Kästner doch recht gehabt haben könnte, als er schrieb: «So kann es nicht mehr weitergehen, wenn es so weitergeht.» Ich würde also allen Besitzern von vielstelligen Zahlen oder Papieren empfehlen, diese bei Gelegenheit in Realwert zu verwandeln. Besser ein Jahr zu früh als einen Tag zu spät.

In einer der letzten Ausgaben behauptete ich fälschlicherweise, Trump könnte in Probleme geraten wegen der Schuldenobergrenze von knapp 20 Bio. Dollar. Ich vermutete, dass die sparsamen Republikaner und die ihm feindlich gesinnten Demokraten nicht zustimmen würden und er wie seinerzeit Obama Behörden schliessen müsse. Nun hat Trump die Schuldenobergrenze mit einem alten Politikertrick zu Fall gebracht: Er koppelte ein Geschäft, das eine Mehrheit abgelehnt hätte – die Erhöhung der Schuldenobergrenze –, mit einem Geschäft, das niemand ablehnen konnte: der Hilfe für die Opfer des Hurrikans Harvey. Trotzdem erachte ich es als unwahrscheinlich, dass Trump mit diesem Winkelzug einfach so durchgekommen ist. Ich vermute einen Deal mit den imperialen Kräften des Deep State: Trump erhält seinen finanziellen Handlungsspielraum, dafür werden die Kriegstrommeln wieder kräftig gerührt, die Trump vor der Wahl zurücknehmen wollte. Es fällt auf, wie aggressiv Trump seither auf der Weltbühne herumpoltert und mit Kriegsdrohungen um sich wirft, wie man sie seit über 70 Jahren nicht mehr gehört hat, damals noch in deutscher Sprache.

48 Stunden nach dem Fallen der Schuldenobergrenze stellte Trump übrigens einen neuen Schuldenrekord auf. An einem einzigen Tag, dem 8. September, erhöhten sich die US-Staatsschulden um 317 Mrd. Das ist mehr als Präsident Nixon in all seinen sechs Amtsjahren anhäufte. Ich habe die Kandidatur Trumps früh begrüsst, weil damit endlich ein Mann Präsident werden könnte, der weiss, wie man Konkurs macht. Ein reinigendes Gewitter, warum nicht gleich ein Hurrikan – das würde der Welt gut tun, vorausgesetzt, sie ist darauf vorbereitet. 
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Motto dieser Kolumne ist ein Zitat von Lichtenberg:
«Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu versengen.»