Endlich zuhause

Transidente Menschen haben viele Hürden zu nehmen, bis sie sich im richtigen Körper wiederfinden. Seit Bettina zu Niklaus Flütsch geworden ist, ist er überglücklich.

Schon als Mädchen wollte Bettina partout keine Röcklein tragen. Lieber tollte sie mit den Buben herum, kletterte auf Bäume und war ein richtig derber «Ruech». Dass ihr aber kein «Schnäbeli» wachsen wollte, betrübte sie. «Schon damals fühlte ich sehr genau, dass meine äussere Erscheinung anders war als meine innere Wahrnehmung von mir selbst.»
Heute heisst «sie» Niklaus Flütsch, ist Gynäkologe und Berater von transidenten Menschen: ein gewinnender, offener Mann, der im Spiegel endlich jene Erscheinung wahrnimmt, nach der sich seine Seele so viele Jahre lang gesehnt hatte. Der Weg dahin war nicht einfach.

 

Kein «Zootierli»
Gerade bei den Medien stosse diese Thematik in den letzten Jahren auf grosses Interesse, sagt Niklaus Flütsch. «Das ist zwiespältig, denn einerseits ist es ja sinnvoll zu informieren und zu sensibilisieren für die heutigen Probleme transidenter Menschen. Sieht man dann aber gewisse reisserische Presseberichte mit ‹Vorher-Nachher-Bildern›, muss man schon vorsichtig sein, nicht zum ‹Zootierli› zu werden beim Versuch, die Realiät zu schildern. »
Aufklärung betreibt Niklaus Flütsch nicht nur in seinem eigenen Buch (s.u.) und in zahlreichen Interviews, sondern auch in seinen Beratungen für transidente Menschen. «Es gilt mehr Verständnis dafür zu schaffen, dass die Grenzen zwischen den Geschlechtern nicht so eindeutig sind, und viele Menschen mit ihrem Geschlechtsempfinden nicht zurechtkommen. Nur schon rein biologisch gesehen gibt es ein hormonales, ein phänotypisches, ein genetisches, ein soziales und ein Gehirn-Geschlecht. Unsere Geschlechtszugehörigkeit ist unglaublich vielschichtig. Doch das überfordert. Zu tief ist in unserer Gesellschaft die Geschlechtszugehörigkeit eingebrannt. Bereits von der Geburt an werden wir schubladisiert.»
Wer sich aber nicht so einfach zuordnen lasse, löse auch heute noch Ängste und Irritationen aus oder gelte als Exot, Transvestit oder Wesen aus der Grauzone – etwa so wie damals vor dreissig Jahren die Homosexuellen, so Flütsch. In seinem Pass ist er übrigens bis heute als weiblich aufgeführt – mit Vorname Niklaus, notabene. Ausgebüxt aus jeglicher Schublade.

 

Die Freiheit, das eigene Selbst zu leben
In der Pubertät machte Bettina zunehmend ihr weiblicher Körper zu schaffen.  Sie hatte erste schwere Krisen und schlitterte in eine Magersucht. Trotzdem konnte sie ihr eigentlich männliches Wesen immer wieder in Nischen ausleben wie in der Pfadi, beim Sport oder auch in ersten Beziehungen, die sie stets mit Frauen lebte, und sich so der traditionellen Zuweisung zum weiblichen Geschlecht gänzlich entzog.
Jahrelang rang sie darum, in ihrem naturgegebenen Körper zu leben. Äusserlich funktionierte alles. Sie hatte Freunde, eine gute Beziehung, eine liebe Familie, Erfolg in ihrem Beruf als Gynäkologin: «Dennoch: Ich fühlte mich wie ein Erdbeer-Yoghurt, angeschrieben mit dem Etikett Vanille.» Ihre Sehnsucht wuchs, Innen und Aussen in Übereinstimmung zu bringen.  Bis sie eines Tages ganz klar wusste: «Ich werde nicht als Frau sterben!»
Beruflich abgesichert und finanziell gut situiert, war es realistisch, diesen Schritt zu wagen. Nicht eine Umwandlung, sondern eine Anpassung ans bereits Vorhandene sei es gewesen. Natürlich waren da Ängste vor dem Verlust von Job, Freundschaften, Familie ... Meine damalige Beziehung ging in Brüche. Doch grösstenteils sind alle hinter mir gestanden, als ich mich outete.»
Ganz praktisch hiess das zum Beispiel, in eine lebenslange Hormontherapie einzuwilligen. Mit plastischen Eingriffen sei heute sehr vieles machbar, bis hin zu einem Penis mit Harnröhre und Erektionsimplantaten, oder, umgekehrt, einer angepassten Vagina mit Klitoris – doch dies seien im Detail jeweils sehr persönliche und intime Themen.
Heute fühlt sich Niklaus Flütsch rundum wohl in seiner Haut – als Mann. Glücklich ist er auch in seiner Beziehung – verheiratet mit einem Mann: «Ganz bei mir selbst angekommen, spielt es keine Rolle mehr, ob Mann oder Frau. Was zählt, ist der Mensch. Um diese Freiheit geht es letztendlich. Und dafür gilt es ab und zu auch gängige Grenzen zu sprengen.»

 

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Niklaus Flütsch, Geboren als Frau – Glücklich als Mann: Logbuch einer Metamorphose, 256 Seiten, Verlag Wörterseh 2014, CHF 37.90 , EUR 36.90

01. September 2017
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