Roboter erobern den Stall

Heidi lebt, zumindest in der Werbung für Milchprodukte. Dahinter steht längst kein Alpöhi mehr, sondern immer öfters gefühlsneutrale Roboter.

Die Roboter füttern, reinigen und melken. Warum machen sie nicht gleich auch Milch? (Bild: Lely)

Auf der Alp ist die Welt noch in Ordnung. Weit weg vom Dichtestress in den Städten geht es den Kühen besser. Ebenso den Bauern. So erzählt es die PR-Industrie. Dahinter verbirgt sich jedoch meist eine ganz konventionelle Milchproduktion. Die «Milch von der Alp» muss nicht einmal zwingend von der Alp kommen. Wie die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) kritisiert, reichen die behördlich definierten Bergzonen bis ins Flachland. So kann sie etwa von der Berner Gemeinde Köniz stammen – 572 Meter über dem Meer. Und obwohl die Migros für die beworbene Alpen-Milch einen deutlich höheren Preis verlangt, bekommen die Landwirte nur den Mindestpreis.

Nur wenig tiefer, im Zürcher Illnau auf 515 Meter über dem Meer, liegt der Hof von Marc Binder. Mit dem Heidi-Image aus der Werbung kann er nichts anfangen. Auf seinem Hof schuften die Roboter. Einer füttert die Kälber, ein zweiter schiebt die Futtermischung für durch den Stall, ein dritter melkt die Kühe. Binder ist damit nicht allein. Immer mehr Milchviehbetriebe setzen auf digitale Unterstützung. Nur die Werbung bleibt Heidi treu.

«Heute halte ich doppelt so viele Kühe, stehe aber nur halb so lange im Stall.»

65 Kühe melkt niemand von Hand
Seit bei Marc Binder Roboter im Stall leben, entscheiden die Kühe selbst, wann sie gemolken werden. Bei Kühen, die gerade ein Kalb bekommen haben und entsprechend viel Milch produzieren, ist das mehrmals täglich. Dabei senden dei Roboter die Körperwerte direkt in das Büro von Binder, wo er diese auswertet. So kann er auf einen Blick die Milchleistung einer Kuh ablesen und erkennt jede Krankheit im Frühstadium.
Bis 2010 hielt Bauer Binder dreissig Kühe in Anbindehaltung, damals hatte er oft mit kranken Kühen zu kämpfen. Binder investierte, etwa in weichere Gummimatten, aber die Kühe erholten sich nicht. «Bei mir klappte die Anbindehaltung nicht», sagt er. So entschied er sich für einen neuen Freilaufstall. Für das Bauprojekt ersuchte er eine Bewilligung vom Kanton. Dort hiess es, seine Herde sei zu klein und der Stall nicht zukunftsgerichtet. «Ich musste mich entscheiden: entweder mehr Kühe zu halten oder die Milchproduktion aufzugeben.» Binder entschied sich für die Kühe – und die Roboter.
65 Kühe melkt niemand von Hand. Zusammen mit dem Neubau wagte Binder auch den Schritt in die Digitalisierung, seither bleibt ihm mehr Zeit für die Feldarbeit. «Heute halte ich doppelt so viele Kühe, stehe aber nur noch rund halb so lange im Stall.» Entsprechend stieg auch die Produktivität. Früher produzierte Binder 40 Liter Milch pro Arbeitsstunde, heute sind es 180 Liter. «Ohne Roboter wäre dieses Wachstum nicht möglich gewesen.»

Die IKEA für Kühe
Binders Roboter stammen von DeLaval. «Wir sind die IKEA für die Kühe», sagt Urs Schmid, Produktleiter von Abteilung Melken. Bei ihnen könne der Bauer alles kaufen, was Kühe in einem Milchviehstall brauchen. Mit einem Marktanteil von 60 Prozent ist DeLaval in der Schweiz führend in Sachen Melktechnik, der Umsatz beträgt rund 45 Millionen Franken. Beim weltweit tätigen Mutterkonzern in Schweden ist es eine Milliarde.
2017 war ein Rekordjahr für DeLaval. Vierzig Melk­roboter hat die Firma in der Schweiz installiert, fast jede Woche kommt ein neuer dazu. Den ersten Roboter brachten sie im Jahr 2000 in einen Stall, richtig los ging das Geschäft mit der Digitalisierung erst 2012. «Die Bauern merkten, dass Melkroboter nicht nur für Freaks etwas taugen, sondern auch für Familienbetriebe», sagt Schmid. Er rechnet mit 10 Prozent mehr Leistung, weil sich die Kühe mehrmals täglich melken lassen und so mehr Milch produzieren.

Beim Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) begrüsst man die neuen technischen Möglichkeiten. «Die Digitalisierung wird der Land- und Ernährungswirtschaft einen Schub geben», heisst es in einer Mitteilung. Digitale Technologien hätten das Potenzial, langfristig Kosten auf den Betrieben zu senken und die Ressourceneffizienz zu erhöhen. Diese Haltung passt zur agrarpolitischen Neuausrichtung unter Bundesrat Johann Schneider-Ammann, der auf Freihandel setzt. Mit den Robotern sollen die Schweizer Produzenten mit billigeren Ländern konkurrieren können.

Mit den Robotern sollen die Schweizer Produzenten mit billigeren Ländern konkurrieren können.

Sandra Helfenstein, Co-Leiterin Kommunikation beim Schweizer Bauernverband, sieht in der Entwicklung auch Gefahren. «Die Digitalisierung bedeutet für die Landwirtschaft zwar weniger Arbeitskraftbedarf, aber auch hohe Investitionen.» Die eine oder andere Bauernfamilie wird sich weiter verschulden, zum Beispiel, um die neuen Melkroboter zu kaufen oder eine saubere Kosten-Nutzenanalyse zu machen. «Statt zu investieren, würde manche Familie besser aus der Milchproduktion aussteigen», sagt Helfenstein. Die sei finanziell für viele längst nicht mehr interessant. Zudem rechnet sie damit, dass die Roboter den Strukturwandel in der Landwirtschaft beschleunigen. Die Bauern haben die Wahl: Digitalisierung oder Konsolidierung.

Die Maschinen kontrollieren die Bauern
Die hohen Kosten kennt auch Bauer Binder. Ein DeLawal-Melkroboter kostet rund 200 000 Franken. Hinzu kommen 15 000 Franken jährlich für Ersatzteile und Unterhalt. Viermal im Jahr muss ein Service durchgeführt werden. Warum die Ersatzteile für einen Melkroboter doppelt so teuer sind wie bei einem Auto, kann Binder nicht nachvollziehen. «Ein Wasserventil, das in der digitalen Umgebung zurecht kommt, kostet mich 350 Franken», sagt Binder. Beim Hersteller ginge das für 35 Franken über die Ladentheke. DeLaval versucht, die wiederkehrenden Kosten zu drücken, indem man die Bauern beobachtet. Das «Internet der Dinge» hat auch den Bauernhof erreicht. Die Maschinen kommunizieren nicht nur untereinander, sondern auch mit den Herstellern. Ungefragt würden jedoch keine Daten übermittelt, versichert Urs Schmid von DeLaval. «Der Bauer kann entscheiden, ob er uns die Daten zur Verfügung stellt.» Für ihn würde sich das lohnen, etwa wenn für Störungsbehebung, Wartungsarbeiten oder Unterstützung beim Management nicht extra ein Techniker ausrücken müsse. Die meisten Bauern stellen laut Schmid ihre Daten DeLaval zur Verfügung.

Anders Bauer Binder. Er selbst nutzt noch eine ältere Version der Software, die nicht mit dem Internet verbunden ist. «Die Daten gehören uns. Basta!» Auch wenn er sich selbst dem Markt beugt, steht er der Macht der grossen Player mit Skepsis gegenüber. Die tiefen Preise auf Lebensmitteln seien eine Folge der Monopolisierung des Marktes. Immer weniger Akteure, darunter Fenaco, Emmi, Migros und Coop, würden sich den Markt untereinander aufteilen und die Preise diktieren.
Eben diese Player seien auch für die irreführende Werbung zuständig. «Sie lügen ihre Kunden an», so Binder. Fast jede Woche gäbe es einen Skandal wegen Glyphosat oder anderen Spritzmitteln. Ihn erstaunt das nicht, er hat selbst damit zu kämpfen. «Wenn ein Konsument meinen Melkroboter sieht, ist er überrascht, aber verübeln kann ich es ihm nicht.» Das sei die Realität der Milchproduktion. Aber Milch für 50 Rappen produzieren und gleichzeitig einen auf Heidi machen, das könne er nicht.