Gutes Geld verdienen macht Spass. Geld für einen guten Zweck einsetzen glücklich. Rita Fleer will als Effektive Altruistin beides zusammenbringen.

Eigentlich wollte Rita Fleer Ärztin werden. Seit der fünften Klasse, nach der Lektüre über die Entwicklungshelferin Lotti Latrous, träumt sie davon: etwas Sinnvolles tun, Leben retten, ganz konkret. Kurz vor dem Numerus Clausus bekam sie erstmals kalte Füsse: Was, wenn ich die Prüfung nicht bestehe? Sie hatte keinen Plan B. Es war 2008, die Finanzkrise erreichte ihren Höhepunkt und Fleer fing an, sich für die Hintergründe zu interessieren. «Ich verstand nicht, was passierte, und wollte lernen zu verstehen», sagt sie heute. Als sie den Numerus Clausus dann doch bestand, hatte sie ihren Entschluss bereits gefasst: Sie wollte Wirtschaft studieren. «Vielleicht eröffne ich mit meinem Geld irgendwann ein Kinderkrankenhaus», hatte sie ihrer Mutter noch zur Beruhigung gesagt, die etwas betrübt über den Entscheid der Tochter war.

 

Heute ist Rita Fleer 26 Jahre alt. Seit einem Jahr arbeitet die gebürtige Berner Oberländerin als Ökonomin für eine einflussreiche Schweizer Bank. Zwar hat sie noch kein Kinderkrankenhaus eröffnet, dafür spendet sie mindestens 10 Prozent ihres Einkommens an ausgewählte Hilfsorganisationen. Denn seit 2013 ist Fleer eine EA, eine Effektive Altruistin. Sie gehört damit einer internationalen Bewegung an, die nichts geringeres will als die Welt verändern. Die Mitglieder nehmen dafür an keinen Protestmärschen teil, bauen keine Brunnen in Afrika und organisieren auch keine Deutschkurse für Flüchtlinge. Ihre Ressourcen sind Geld und das Wissen, wie man dies am effektivsten einsetzt, um die Welt zu verändern.

 

Herz und Kopf verbinden
Dabei gehen sie pragmatisch vor, das Zauberwort heisst Kosteneffektivität. Man versucht zu analysieren, bei welcher Organisation eine Spende am meisten Leid, Todesfälle oder Krankheiten verhindern kann. Solche Analysen werden vor allem von den Organisationen GiveWell and Animal Charity Evaluators durchgeführt, an deren Empfehlungen sich auch die Bewegung orientiert. Ganz oben auf der Liste stehen derzeit die Deworm the World Initiative oder die Against Malaria Foundation. Neben Spenden an Hilfsorganisationen verfolgt die junge Ökonomin Fleer noch eine andere Strategie: die sogenannte Meta-Spende. Sie investiert ihr Geld in die Stiftung der Effektiven Altruisten. Indem sie die Bewegung unterstützt, kann diese noch mehr Menschen und damit potenzielle Spender für sich gewinnen – und noch mehr Menschenleben retten. So trocken dieser Hilfsansatz erscheinen mag, auch effektive Altruisten handeln mit Gefühl. «Es geht darum, Herz und Kopf zu verbinden», sagt Rita Fleer.
Die Bewegung zählt in der Schweiz etwa 200 Menschen, weltweit sollen es rund 3000 sein. Die meisten von ihnen sind zwischen 25 und 40 Jahre jung und kommen aus einem akademischen Milieu. «Der wissenschaftliche Ansatz überzeugt viele Studenten», sagt Rita Fleer. Sie leitet die Gruppe der EAs an der Universität Bern und organisiert Treffen, Workshops und Vorträge zum Thema.

Ein Lehrer ist ersetzbar
Eine zentrale Rolle spielt neben den Spenden die Berufswahl. Auch dort lassen sich viele der Effektiven Altruisten ganz von der Pragmatik leiten und entscheiden sich für den Weg des professionellen Spendens: Man sucht sich einen gut bezahlten Beruf, der bestenfalls auch Spass macht, und investiert 10 bis 50 Prozent seines Gehalts in eine Hilfsorganisation. Ein Argument für diese Strategie, die sich earning to give nennt, sei die Unersetzbarkeit: Würde Rita Fleers Stelle sonst jemand besetzen, würde jene Person wohl nicht ebenfalls einen Prozentsatz ihres Einkommens spenden. Wählt man dagegen etwa den Beruf des Lehrers, einen Beruf mit direkter alturistischer Wirkung, sei zu beachten, dass ein anderer an der gleichen Stelle diesen Beruf wohl ähnlich kompetent ausüben könnte.
Doch wie hält sie es als Ökonomin bei einer renommierten Bank, die vielleicht selbst in zweifelhafte Investitionen verstrickt ist? «Es ist ein Abwägen», weicht Rita Fleer aus. Direkten Schaden sollte der Beruf nicht anrichten. Gleichzeitig könnten die Spenden das Ausmass potenziell negativer Folgen des Jobs unter Umständen abschwächen. Am besten sei natürlich eine Win-win-Situation. Guter Job, gute Spende. Rita Fleer ist überzeugt: «Karriere und Gutes tun schliessen sich nicht aus.» Man muss ja nicht gleich die zweite Lotti Latrous werden.     

www.effektiveraltruismus.de

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