Ich sehe was, was du nicht siehst
Als Kind spielte ich das Spiel «Ich sehe was, was du nicht siehst». Der Ratende musste sich ganz genau umschauen, um das Beschriebene zu finden, das der Rätselgebende vorher ausgesucht hat. Als Erwachsene wünsche ich mir heute, dieses Spiel weiterzuführen. Ich beschreibe etwas, und die anderen müssen raten, wovon ich rede.

Los geht’s. Also: Ich sehe etwas, was man nicht sehen kann. Es ist so klein, dass kein Mikroskop der Welt es bisher fassen konnte, so winzig, dass man nicht einmal weiss, ob es überhaupt existiert. Na?
Ich sehe noch etwas, das man nicht sehen kann. Man sagt nur, dass es zu viel davon gibt und dass wir alle deshalb Codes bekommen müssen, um jede unserer Bewegungen kontrollieren zu können. Gefunden?
Einen hab‘ ich noch: Man kann sie nur im Fernsehen sehen, auf Fotos oder virtuellen Bildern. Je nachdem, wessen Interessen sie vertreten, sind sie entweder die Guten oder die Bösen.
Grosse Medienunternehmen geben vor, womit wir uns rund um die Uhr zu beschäftigen haben. Doch niemand kann sich sicher sein, dass es auch wirklich existiert. Kein Laie kann sagen, dass er wirklich «Corona» hatte oder eine andere Krankheit – oder dass der CO2-Anstieg das Überleben auf dem Planeten wirklich in Gefahr bringt. Das tun nur sogenannte Experten. Das sind Leute, die keine Wissenschaftler sein müssen und die dafür bezahlt werden, bestimmte Dinge in Umlauf zu bringen.
Vielleicht sollten wir also etwas vorsichtiger sein, wenn wir Informationen wiedergeben. Wissen wir es wirklich? Haben wir es mit eigenen Augen gesehen, mit eigenen Ohren gehört? Für was setzen wir uns da so vehement ein, dass wir mit Gewalt für mehr Toleranz und Respekt demonstrieren, andere bei der Diskussion nicht zu Wort kommen lassen oder sie zu ihrem Wohl zwingen wollen?
Machen wir es wie die Kinder, die eine Muschel oder eine hübsche Blume gefunden haben und uns die geöffnete Hand hinhalten: Schau mal.
Um welches Thema es auch geht, das heute Öffentlichkeit bekommt – wir können nicht sicher sein, dass es sich tatsächlich so verhält, wie es berichtet wird. Längst ist es technisch möglich, Texte, Bilder und Stimmen so zu manipulieren, dass wir nicht wissen können, ob es sich um etwas Wahres handelt.
Was wissen wir von den wahren Intentionen derer, die bestimmte Nachrichten in die Welt bringen oder bestimmte Bewegungen ins Leben rufen?
Bevor wir also gegen diejenigen antreten, mit denen wir leben und die wir in Fleisch und Blut vor uns haben, machen wir es wie die Kinder, die eine Muschel oder eine hübsche Blume gefunden haben und uns die geöffnete Hand hinhalten: Schau mal. Anstatt draufzuschlagen, können wir uns einen Moment Zeit nehmen für das, was der andere uns da zeigen möchte.
Das Kopfkino ausschalten.
Nach dem viel zitierten Höhlengleichnis von Platon sehen wir, wenn wir die Sonne im Rücken haben und auf die Höhlenwand schauen, nicht die Realität, sondern das Schattenspiel dessen, was wir für die Realität halten. Wie im Kino läuft vor unseren Augen ein Film ab. Wir würden über jeden lachen, der versucht, auf der Leinwand in den Film einzugreifen. Wenn wir wissen wollen, was wirklich läuft, müssen wir uns also umdrehen und in die Welt schauen.
Es sind «die anderen», die uns dazu auffordern, diejenigen, die eine andere Sicht auf die Dinge haben: Hey, guck mal, so kann man das auch sehen. Je mehr wir uns hierbei getriggert fühlen, desto mehr können wir davon ausgehen, dass der andere vielleicht nicht ganz daneben liegt. Was uns besonders «trifft», das «betrifft» uns. Hier gibt es etwas, das mit uns zu tun hat.
Ein wunder Punkt wurde berührt, den wir zu schützen versuchen: mit Gegenangriff, Flucht oder Totstellen – so, wie es seit Urzeiten in unserem Gehirn verankert ist. Aus Angst vor Schmerz wagen wir es nicht, wirklich hinzuschauen. Doch es lohnt sich, hier mutig zu sein.
Anstatt also dem Auslöser bestimmter Gefühle in uns die Zähne oder die kalte Schulter zu zeigen, können wir ihm dankbar dafür sein, dass er uns auf eine wichtige Fährte gebracht hat.
Führerschein für selbständiges Denken.
Wir haben jetzt die Wahl: Entweder wir lassen uns weiter gegeneinander aufhetzen und liefern damit denen, die gerade die Welt nach ihren Vorstellungen umformen, den nötigen Brennstoff für das totale Chaos. Oder wir wenden uns dem einzigen Menschen zu, der in unserem Leben etwas verändern kann: uns selbst.
Die Auseinandersetzung mit den eigenen Stärken und Schwächen hat nichts mit Egoismus oder Narzissmus zu tun. Sie ist die Voraussetzung dafür, in sich selbst Klarheit zu schaffen, Frieden. So müssen wir andere nicht mehr als Projektionsflächen für unsere eigenen Schatten benutzen, sondern können uns um das Wesentliche kümmern: unsere Autonomie zurückzuerlangen.
Anstatt uns an den vorgegebenen Themen aufzureiben, suchen wir uns aus, womit wir uns beschäftigen wollen. Wir lernen, unsere Gedanken selber zu lenken. Hierzu gehen wir am besten nach draussen in die Natur, in den nächsten Park, zum nächsten Baum. Wenn wir nicht mehr wissen, was richtig und was falsch ist: Die Natur weiss es. Sie kennt keine Lüge.
Atmen wir tief. Lassen wir die Atemsäule in uns aufsteigen und verankern wir uns im Boden unter unseren Füssen, dem Humus unserer Realität. Seien wir ganz bewusst da, wo wir gerade sind. Kommen wir zurück ins eigene Haus. Öffnen wir Fenster und Türen und lassen wir Licht hinein. Sparen wir auch Keller und Dachboden nicht aus. Verjagen wir die ungebetenen Gäste, die sich eingenistet haben, um uns alle möglichen Geschichten zu erzählen, und bereiten wir den Raum für die, die sich nicht aufdrängen.
Die Hindernisse überwinden
Nur dunkle Mächte kommen unaufgefordert. Die hellen müssen wir einladen: Klarheit, Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Vertrauen, Großmut, Sanftheit, Liebe.
Wer hiermit beschäftigt ist, der nimmt teil an dem Höchsten, was ein Mensch tun kann: Er räumt die Hindernisse aus dem Weg, die die Wahrheit daran hindern, ans Licht zu kommen und gesehen zu werden.
Wo die Welt im Chaos zu versinken droht, wo sich lichte und unlichte Kräfte gegenüberstehen, werden wir gewahr, dass das Licht die Dunkelheit nicht braucht. Der Frieden braucht den Krieg nicht – und die Liebe nicht den Hass. Die Dunkelheit aber braucht das Hindernis, das sich vor die Lichtquelle schiebt und den Schattenmächten ermöglicht zu existieren.
Wenn wir wirklich dazu beitragen wollen, dass sich die Welt zum Besseren ändert, müssen wir an unsere inneren Hindernisse heran, an die Schichten in uns, die uns verschlossen, hartherzig, rechthaberisch, aggressiv, unnachgiebig und nachtragend machen – an das also, was andere in uns triggern. Das ist einer der Schlüssel, die es braucht, um die zerstörerische Gegensätzlichkeit zu überwinden und in die ursprüngliche lebensfördernde Komplementarität zurückzufinden.
Wer diesen Schlüssel in der Hand hält, dessen Herz ist voller Vertrauen. Er öffnet die Tür. Nicht die Dunkelheit wird auf ihn zu stürzen. Es ist das Licht, das sich ausbreiten wird. Das Licht fliesst dahin, wo es dunkel ist.
Nichts kann das verhindern. Man kann nur versuchen, uns daran zu hindern, das zu sehen.
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