Chapeau! Für Cordula Keller
Mit 62 wurde sie entlassen. Zwei Jahre später hat Cordula Keller zehn Angestellte, führt eine Wohngruppe für alte Menschen und setzt ihre Kräutermixturen erfolgreich ein. Vieles macht sie unentgeltlich.
Zuerst kam Corona. Ihre Chefin erlitt ein Burnout. Und Sozialpädagogin Cordula Keller, wohnhaft in Zug, hatte in einem Behindertenheim in Wohlen AG plötzlich alle Wohngruppen unter sich. Zudem wurde sie Coronabeauftragte. Das war ganz in ihrem Sinne. So konnte sie die Massnahmen sanft umsetzen.
Aber dann kam ein neuer Chef, ein Betriebsökonome. Die Massnahmen wurden auf scharf gestellt. Der Neue mobbte Cordula Keller. Sie erlitt ein Burnout, reduzierte ihr Pensum. Als sie nach kurzer Zeit wieder Vollzeit arbeitet, kündigte ihr der Chef. Ohne Begründung. «Du machst einen super Job, trotzdem kündige ich dir», sagte er ihr ins Gesicht. Das war im März 2021.
Im Juli desselben Jahres folgt der nächste Schlag. Aufprallunfall. Unverschuldet. Seither hat Cordula Keller ein Schleudertrauma und ist nur noch beschränkt arbeitsfähig.
Das Besondere an Cordula Keller ist nun, dass sie sich nicht bis aufs Blut gegen die Unbill wehrt. Zwar nimmt sie sich einen Anwalt, um gegen die Kündigung vorzugehen. Aber sie zieht nach ersten Eingeständnissen seitens der Institution den Fall nicht weiter. Und auch die Unfallverursacherin zeigt sie, obwohl es ihr gutes Recht gewesen wäre, nicht an.
Wichtiger als der Sieg sind ihr die Erkenntnisse, die ihr die Schicksalsschläge bescheren. Cordula Keller: «Ich habe den Unfall gebraucht, um zu merken, dass ich nicht in das System passe.»
Sie meditiert viel, entwickelt eine Dankbarkeit für alles, was ihr begegnet. «Ich habe schon früh das Meditieren kennengelernt», erzählt sie. Nun aber, mit Wegfall des Arbeitsstresses hatte sie Zeit das In-sich-Hineinhören ausführlich zu praktizieren. Um sich wieder «mit Gott oder dem Universum» zu verbinden.
Und allmählich kristalliert sich heraus, was ihr nächstes Projekt sein wird. Eines Tages sagte ihre Physiotherapeutin zu ihr: «Ich kenne eine Frau, die lässt sich nicht pflegen. Aber du kannst das.». Die alte Frau wohnt alleine in einer grossen Wohnung in Wolhusen LU und litt an einer beginnenden Demenz. Sie sei «gewaltbereit und eigenwillig» gewesen. Und tatsächlich: die ausgebildete Sozialpädagogin Cordula Keller kann das. Bald braucht die Frau eine 24-Stunden-Betreuung.
Cordula Keller gründet einen Verein «Chummluegine», wo sich Freiwillige zusammenschliessen, um im Bedarfsfall Pflege, Betreuung, Unterstützung, Begleitung und Haushaltshilfe anbieten.» So kommt ein Team zusammen, das sich um die alte Frau kümmert.
Zufällig wird eine Wohnung im selben Haus in Wolhusen frei. Und Cordula Keller packt die Gelegenheit beim Schopf. Im April dieses Jahres richtet sie im Appartement eine Wohngruppe für pflegebedürftige Menschen ein. Rasch ist ein Team von zehn Pflegefachfrauen und Fachangestellte Pflege beisammen. Keller geht eine Kooperation mit der Belvita AG ein. Die krankenkassenanerkannte Pflegedienstanbieterin stellt die Pflegekräfte an. Cordula Keller wendet das holländische «Buurtzorg»-Modell an.
Das aus Holland stammende Pflegemodell, zu Deutsch Nachbarschaftshilfe, bindet Familienangehörige oder Nachbarn in die Betreuung der Pflegebedürftigen ein. Das Team organisiert sich weitgehend selbst. Und die alten Menschen können weiterleben, als ob sie zuhause wären. Sie dürfen beim Einkaufen, Kochen oder Putzen mithelfen, gerade, wie es wünschen und mögen. In einer Institution wäre so viel Selbstbestimmung ein absolutes Nogo. Für die Pflegebedürftigen hat das Modell auch finanziell einen grossen Vorteil. Die Kosten belaufen sich monatlich zwischen 5 300 und 5 800 Franken und steigen nicht, wie üblich, mit erhöhter Pflegebedürftigkeit.
Übrigens: Fachkräftemangel gibt es in der Wolhusener Wohngruppe nicht. Cordula Keller hat eine ganze Liste mit Interessenten. «Alle, die zu uns kommen, sagen mir, dass sie genauso arbeiten möchten.» Ihre Koordinationsarbeit für die Wohngruppe leistet Cordula Keller unentgeltlich. Daneben hat sie einen Lohnjob, sie arbeitet 40 Prozent als Sozialpädagogische Familienbegleiterin. Sie unterstützt dabei Eltern in ihrer Erziehungsfunktion und begleitet Jugendliche in schwierigen Situationen. Auch in dieser Arbeit geht sie voll auf.
Aber Cordula Keller kann noch viel mehr. So hat sie eine Ausbildung als spirituelle Lebensberaterin absolviert und lässt sich in Naturheilmitteln weiterbilden. Ihre Kräutermixturen finden begeisterte Abnehmer. Und sie forscht immer weiter. Ihr Ziel ist es, Menschen, wo es sinnvoll ist, von den Medikamenten wegzubringen.
Ideen gehen der bald Pensionierten wahrlich nicht aus. Sie hat schon einen Raum in Wolhusen im Auge, wo sie eine weitere Wohngemeinschaft und Tagesplätze zur teilweisen Entlastung der Angehörigen anbieten könnte. Allerdings ist sie auf Spenden angewiesen. Denn so freigebig sie auch mit ihren eigenen Dienstleistungen und Ideen umgeht, vermögend ist die umtriebige Cordula Keller nicht.
Weitere Informationen:
Cordula Keller, Verein «Chumluegine» Telefon: 079 465 53 20
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