Die Lüge von der Green Economy
Angesichts der Klimakatastrophe ruhen alle Hoffnungen auf der Green Economy, die das Wirtschaften nachhaltig und sozial machen soll. Elektro-Autos statt CO2-Schleudern, Biosprit statt Benzin, Aquakultur statt Überfischung. Subventioniert von der Politik, unterstützt von Umweltorganisationen, ausgezeichnet mit Nachhaltigkeitspreisen. Wirtschaftswachstum und überbordender Konsum, so die frohe Botschaft der sogenannten dritten industriellen Revolution, sind gut für die Welt, solange sie innovativ und intelligent gemacht sind. Die technikbegeisterte Mittelschicht hört das gern. Doch auch der Rohstoffhunger des grünen Kapitalismus ist riesig: Selbst für nachhaltiges Palmöl, das in Biodiesel und Fertigprodukten steckt, werden Regenwälder gerodet und Menschen vertrieben. Und für Garnelen aus Zuchtbecken, die mit Öko-Siegeln aus Bangladesch exportiert werden, werden gegen den Willen der Bevölkerung erst Reisfelder und Mangrovenwälder zerstört. Um dann zwingt man ihnen gegen den eigenen Hunger Gentechnik-Saatgut auf. Zur Illusion der Green Economy sprach Jens Wernicke mit Kathrin Hartmann, deren soeben erschienenes Buch eine schonungslose Abrechnung zum Thema liefert.
Frau Hartmann, soeben erschien Ihr Buch „Aus kontrolliertem Raubbau“, in welchem Sie die Ideologie der Green Economy als eben solche entlarven. Wie kam es zu diesem Buch? Was trieb Sie an?
Ich beschäftige mich schon lange mit Greenwashing. Als ich mein erstes Buch „Ende der Märchenstunde“ geschrieben habe, dachte ich, dass sich dieser Trend womöglich erledigt, es ist ja einfach zu lächerlich und durchschaubar. Doch das Gegenteil ist der Fall: Je absurder die grünen Lügen werden, desto bereitwilliger werden sie auch geglaubt. Greenwashing ist inzwischen zur politischen Agenda der reichen Länder des Nordens geworden.
Und letztlich ist genau das die Ideologie der Green Economy: Dahinter steckt die Vorstellung, man könne Wachstum und Naturzerstörung voneinander „entkoppeln“. Ein grünes Perpetuum mobile also, und diese Vorstellung gefällt der konsumfreudigen Mittelschicht sehr gut. Denn das hieße, Hyperkonsum und Verschwendung wären gut für die Welt. Diese zynische Mischung aus Anti-Aufklärung und Besitzstandswahrung macht mich wütend. Denn selbstverständlich brauchen Wachstum und Profit Rohstoffe, Energie und billige Arbeitskraft. Naturzerstörung ist daher die Grundlage des grünen Kapitalismus und Armut seine wichtigste nachwachsende Ressource.
Im Buch skizzieren und kritisieren Sie ja, dass all das Gerede von „Nachhaltigkeit“ nicht etwa Menschheit und Umwelt nützten, sondern diese nur weiter zerstörten. Wie kommen Sie darauf? Und wie begründen Sie das?
Es geht nicht darum, die Ursachen von Armut, Hunger und Zerstörung zu ändern, sondern das per se schädliche System zu „verbessern“. Mit „nachwachsenden Rohstoffen“, Nachhaltigkeitssiegeln für problematische Rohstoffe wie Palmöl und Futter-Soja, neuen Technologien, Fracking, Handel mit Verschmutzungsrechten, Biotechnologie usw. usf. Und das Hand in Hand mit Institutionen wie den Vereinten Nationen, Entwicklungsorganisationen, industriefreundlichen NGOs wie WWF und Großkonzernen.
Als die EU vor zehn Jahren die Beimischungsquote für Biosprit ankündigte, sorgte das in Indonesien dafür, dass gigantische Flächen Regenwald abgebrannt und abgeholzt wurden, um dort Palmölplantagen anzulegen, denn Palmöl wird für Biodiesel gebraucht. Dafür wurden tausende Kleinbauern und Indigene gewaltsam enteignet und aus ihren Wäldern und von ihrem Land vertrieben. Es gibt in Indonesien daher 5.000 Konflikte wegen Landraubs und das Land ist durch die Abholzung der drittgrößte CO2-Emittent der Welt.
Und das angeblich für den Klimaschutz…
Ja, das ist das grüne Feigenblatt. In Wahrheit soll der Biosprit die Abhängigkeit vom Erdöl verringern und das Wachstum des Verkehrs absichern. Nie ist es darum gegangen, die Mobilität umzugestalten, sodass weniger Autos fahren und weniger Rohstoffe verbraucht würden.
Da geht es also in dem Sinne gar nicht „um uns“ und unsere Interessen, sondern vielmehr um, ja, wie soll ich sagen: Geo- und Standortpolitik?
Genau. Dazu ist auch ein anderes Beispiel sehr anschaulich. Als nämlich die Folgen des Anbaus von Palmöl immer deutlicher wurden, formierte sich der „Runde Tisch für nachhaltiges Palmöl“, kurz RSPO, auf Betreiben von WWF, Unilever und der Palmölindustrie. Das war eine reine Industrieveranstaltung, unter deren grünem Deckmäntelchen Menschenrechtsverletzungen und Waldzerstörung bis heute ununterbrochen weitergehen – und zwar mit dem Segen der EU, die das RSPO-Siegel als Nachhaltigkeitsnachweis für nachwachsende Rohstoffe akzeptiert hat. Und auch mit jenem der Bundesregierung: Die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit hat zusammen mit WWF und Palmöl verbrauchenden Konzernen wie Henkel, Lidl, Nestlé und Unilever das Forum für nachhaltiges Palmöl initiiert, das diesen Konzernen helfen soll, nur noch nachhaltiges Palmöl zu verwenden – das es schlicht nicht gibt. Das ist nicht nur staatlich finanziertes Greenwashing, sondern institutionalisierte Verantwortungslosigkeit. Denn die gravierenden Missstände in Indonesien werden so nicht nur zementiert sondern auch noch legitimiert.
Was würde Nachhaltigkeit für Sie denn bedeuten?
„Nachhaltigkeit“ ist ein anderes Wort für „Systemerhalt“. Worum es stattdessen gehen muss, ist ökologische und soziale Gerechtigkeit. Zum Vergleich: „Nachhaltigkeit“ ist, wenn es im Bio-Supermarkt eine Menge überflüssiger Produkte wie Bio-Tütensuppen mit Palmöl oder importierte tropische Bio-Schrimps gibt. Ökologisch und sozial gerecht hingegen ist eine selbstbestimmte kleinbäuerliche Landwirtschaft, regional, ökologisch, ohne Monokulturen, gigantische Aquakulturen, Plantagen für Futterpflanzen und „nachwachsende Rohstoffe“ für den Export – das ist ein Schlüssel für globale Gerechtigkeit und die Bewahrung der Ressourcen. Das ist das Konzept der Ernährungsunabhängigkeit, für das viele Bewegungen des Südens kämpfen, die Widerstand gegen die mächtige und gewalttätige Agrarindustrie leisten.
Dafür müssen wir kämpfen – nicht dafür, dass jedes noch so absurde Produkt zu jeder Zeit bei uns in Bio-Qualität zu haben ist. Neuerdings gibt es wegen des Smoothie-Trends sogar schon im Sommer Grünkohl im Bio-Supermarkt. Und im Winter Erdbeeren. Was für eine Idiotie! Der imperiale Lebensstil ist eben auch im grünen Kapitalismus nicht verhandelbar.
Und welche Folgen genau zeitigt das für uns und unser Ökosystem? Können Sie das vielleicht anhand des Palmöls und ggf. noch eines Beispiels etwas konkreter skizzieren?
Gern. Ich habe in Indonesien versucht, dieses „nachhaltige Palmöl“ zu finden. Gefunden habe ich nur unvorstellbare Zerstörung und furchtbares Leid. Wochenlang bin ich durch nichts als gigantische Palmöl-Monokulturen und abgeholzte Flächen gefahren. Die Menschen, die ich getroffen habe, waren entweder Vertriebene, Enteignete, Gewaltopfer oder Sklaven auf Plantagen mit Nachhaltigkeitssiegel, die völlig verarmt unter lebensgefährlichen Bedingungen arbeiten, auch Kinder. Ich habe in Sumatra eine indigene Gemeinde besucht, die seit Jahren unter einem der brutalsten und längsten Landkonflikte leidet. Man hat ihnen ihren Wald weggenommen, ihre Dörfer zerstört, ihr Mitglieder misshandelt. Einen von ihnen, Puji, haben im März 2014 Militär und Security der Palmölfirma PT Asiatic Persada totgeschlagen. Direkt neben dieser Plantage wird der „Wald der Hoffnung“ geschützt und aufgeforstet – ein Projekt der deutschen Klimainitiative, unterstützt von KfW-Entwicklungsbank, Umweltministerium, Naturschutzbund. Ein Pilotprojekt, mit dem man Erkenntnisse für Reducing Carbon Emissions from Deforestation and Degradation sammeln will, ein UN-Programm, das auf dem Pariser Klimagipfel beschlossen werden wird. Damit sollen Länder wie Indonesien mit geschützten Wäldern am Emissionshandel teilnehmen können – damit sich die reichen Länder ihr Recht auf Verschmutzung kaufen können. Aber auch aus diesem Wald wurden Menschen vertrieben: Indigene müssen sich zu Bäumchenpflanzern für Hungerlöhne „zivilisieren“ lassen und Kleinbauern werden als Holzdiebe kriminalisiert und verjagt. So werden die Menschen im Süden zwischen Cash-Crop- und Nachhaltigkeitsregime zerrieben.
Ist das ein besonders schlimmer Einzelfall oder lässt sich das verallgemeinern?
Ähnliches habe ich auch im Südwesten von Bangladesch recherchiert. Dort haben Aquakulturen, in denen Garnelen für den Export nach Europa, Japan und USA gezüchtet werden, wo Menschen nicht einmal satt werden müssen von diesem Snack, die Lebensgrundlange Hunderttausender zerstört. Denn da, wo jetzt Salzwasserbecken sind, waren früher Reis- und Gemüsefelder oder Mangrovenwälder. Deshalb hat sich der Hunger verstärkt, die Armut verfestigt, die Folgen des Klimawandels sind schlimmer geworden und die Degradierung der Böden schreitet voran.
Das Absurde ist: Die Aquakultur wurden – mit Unterstützung von Weltbank, FAO und Vereinten Nationen – in Bangladesch angesiedelt, um dort den Hunger zu bekämpfen. Noch dazu sollte die Aquakultur die Meere vor der Überfischung bewahren – ein weiterer grüner Irrtum, denn mittlerweile wird fast ein Drittel der gefangenen Meeresfische zur Fütterung in Aquakulturen verwendet.
Die nächste durchgeknallte grüne „Lösung“ ist übrigens, dass man auch in Aquakulturen gentechnisch verändertes Soja verfüttert, für dessen Monokulturen in Südamerika Wald und Savannen vernichtet werden. Aber statt mit dem Irrsinn aufzuhören, werden sowohl die Aquakultur als auch die Soja-Monokulturen mit Nachhaltigkeitssiegeln versehen – wieder mit Hilfe der Industrie, des WWF und dem Segen der Politik.
Und diese Logik ist dem gesamten „Grünen Kapitalismus“ immanent?
Die Ideologie des Grünen Wachstums suggeriert, dass das wachstums- und konsumorientierte System, das für alle ökologischen und sozialen Schäden verantwortlich ist, völlig in Ordnung ist und allenfalls „Fehler“ oder „Auswüchse“ korrigiert werden müssten. Sie lässt menschengemachte Katastrophen wie Klimawandel, Armut oder Hunger wie große Menschheitsrätsel erscheinen, auf deren technische Lösung grüne Daniel Düsentriebe eines Tages kommen werden wie auf die Erkenntnis, dass die Erde keine Scheibe ist. So lange man daran glauben kann, dass wir nur einen Quantensprung entfernt sind, das Unmögliche möglich zu machen, muss sich ja auch strukturell nichts ändern. Diese Technikeuphorie trennt aber die ökologische von der sozialen Frage, obwohl beide untrennbar zusammenhängen. Das andere ist, dass in der Logik des grünen Kapitalismus die Zerstörer – also Elite und Wirtschaft – als Retter erscheinen. Das ist eine zynische Täter-Opfer-Umkehr.
Ausbeutung und Umweltzerstörung werden also vor allem unsichtbar gemacht, schön gelabelt und uns dann als Wohlfühl-Kapitalismus-Update verkauft, für das man gleich noch die Preise erhöht?
Es geht um sehr viel mehr, als nur darum, bequemen Konsumenten für viel Geld ein gutes Gewissen zu verkaufen. Dem grünen Kapitalismus liegen geopolitische Interessen zugrunde. Solche Nachhaltigkeitsinitiativen wie der Runde Tisch für nachhaltiges Palmöl oder „verantwortliches Soja“ sollen den Zugriff auf Ressourcen sichern. Es wird gerade einmal so viel Umweltschutz betrieben, dass die Expansion von Plantagen und der Nachschub von Rohstoffen gesichert ist. Die Menschen sollen gerade einmal so weit aus Armut und Hunger befreit werden, dass sie sich für den westlichen Wohlstand abrackern können aber immer noch arm und erpressbar genug sind, das für Hungerlöhne zu tun. Das ist Kolonialismus in Grün.
Und indem die Politik solche Siegel akzeptiert und unterstützt, schafft sie einen Pseudo-Ordnungsrahmen, der Ordnungspolitik – also Regulierung, Verbote oder Sanktionen für Konzerne, die innerhalb der Lieferkette Menschenrechts- und Umweltverbrechen begehen – ersetzt. Gleichzeitig wälzt die Politik ihre Verantwortung auf den Bürger ab, der dann einfach immer „das Richtige“ einkaufen soll – eben Produkte mit solchen Siegeln. Vor allem aber soll er schweigen und kaufen – denn in der marktkonformen Demokratie ist der Bürger nur noch als „Verbraucher“ gefragt.
Und wer sind die Nutznießer dieser Entwicklung?
Es ist ein Mythos, das Wachstum für Gerechtigkeit sorgt. In der globalen Wirtschaft landen von jedem Dollar Wohlstand, der erarbeitet wird, 93 Cent in den Taschen des reichsten einen Prozents. Das heißt: Auch vom grünen Kapitalismus profitiert die Elite, die gleichzeitig auch die meisten Ressourcen verbraucht. Der grüne Kapitalismus ändert nichts an diesem Machtgefälle, er erhält es und sichert es ab.
Und warum laufen die Umweltverbände hiergegen nicht Sturm?
Natürlich leisten viele NGOs eine wertvolle Arbeit, vor allem, was Aufklärung, Kampagnen und auch Mobilisierung von Bürgern betrifft. Allerdings schleicht sich bei NGOs ein gefährlicher Pragmatismus ein, indem sie sich mit der Industrie „an einen Tisch“ setzen und Verbesserungen innerhalb der per se schädlichen Lieferkette zu erreichen versuchen. Dahinter steckt die irrige Annahme, wenn man „die Großen“ zu mehr freiwilliger Verantwortung bringt, hätte das auch einen großen positiven Einfluss.
Der WWF etwa, der von Adeligen, Großwildjägern und Industriellen mitbegründet wurde, wird für seine Nähe zu Konzernen schon lange kritisiert. Aber auch Greenpeace setzt sich mit Konzernen ins Benehmen. Als die französische Umweltministerin Ségolène Royal zum Nutella-Boykott aufrief, verteidigte Greenpeace den Konzern Ferrero und lobt diesen für sein Versprechen, sich um die Verwendung von nachhaltigem Palmöl zu bemühen. Greenpeace arbeitet außerdem mit dem größten Papierkonzern der Welt, Asian Pulp&Paper, kurz APP, in einem Waldschutzprojekt in Indonesien. Doch APP ist in die fürchterlichen Waldbrände verwickelt, die in Indonesien allein bis Ende September diesen Jahres eine Fläche so groß wie Teneriffa vernichtet haben. Die Aktivisten, die ich vergangenes Jahr in Indonesien getroffen habe, waren alle ziemlich sauer auf Greenpeace – denn sie kämpfen nicht für einen netteren Kolonialismus mit „besseren“ Lieferketten oder „nachhaltigem“ Palmöl – sondern für ihr Land, ihren Wald und ein gutes Leben.
Was könnten und sollten wir, die uns diese Zustände stören, aktuell denn am besten tun?
Wir müssen verstehen, dass all die Probleme – Armut, Hunger, Klimawandel, Ressourcenknappheit usw. – dieselbe Ursache haben, nämlich das wachstumsgetriebene kapitalistische System. Man kann diese Probleme daher nicht getrennt voneinander abschaffen. Um das System zu ändern, können wir nicht unsere Verantwortung auf NGOs oder „die Politik“ abwälzen – das schaffen wir nur gemeinsam in einer sozialen Bewegung, die sich mit den Bewegungen des Südens solidarisiert. Jean Ziegler hat dafür den tollen Begriff der „planetarischen Zivilgesellschaft“ geprägt
So sehr mich das, was ich bei meinen Recherchen gesehen habe, erschüttert hat, bin ich auch mit großer Hoffnung heimgefahren. Die vielen Aktivisten, widerständigen Indigenen, die Gewerkschafter und politischen Kleinbauern, mit denen ich unterwegs war, haben mich ungeheuer beeindruckt. Sie kämpfen mit so viel Klugheit, Kraft, Liebe, Mut und Solidarität und dem Glauben an bedingungslose Gerechtigkeit gegen das herrschende System und für ein gutes Leben.
Und alle Alternativen, die sie erkämpft und umgesetzt haben – seien es intakte Walddörfer, Inseln ohne Aquakultur, zurückeroberte Wälder, eine selbstbestimmte solidarische Landwirtschaft – funktionieren ganz hervorragend!
Wir können von ihnen viel lernen, wenn wir uns mit ihnen solidarisieren. Dafür gibt es keinen Reißbrettplan, aber es gibt gerechte und emanzipatorische Alternativen zum herrschenden System, die wir nur gemeinsam entwickeln können und gegen die Eliten politisch durchsetzen müssen. Dazu müssen wir wieder lernen, Ungerechtigkeit nicht zu akzeptieren, wütend zu werden und vor allem aber: Daran zu glauben, dass Alternativen möglich sind.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Kathrin Hartmann, geboren 1972 in Ulm, studierte in Frankfurt/Main Kunstgeschichte, Philosophie und Skandinavistik. Nach einem Volontariat bei der »Frankfurter Rundschau« war sie dort Redakteurin für Nachrichten und Politik. Von 2006 bis 2009 arbeitete sie als Redakteurin bei »Neon«. 2009 erschien bei Blessing „Ende der Märchenstunde. Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt.“, 2012 erregte ihr Buch über die neue Armut – „Wir müssen leider draußen bleiben“ – großes Aufsehen. Kathrin Hartmann lebt und arbeitet in München.
Ich beschäftige mich schon lange mit Greenwashing. Als ich mein erstes Buch „Ende der Märchenstunde“ geschrieben habe, dachte ich, dass sich dieser Trend womöglich erledigt, es ist ja einfach zu lächerlich und durchschaubar. Doch das Gegenteil ist der Fall: Je absurder die grünen Lügen werden, desto bereitwilliger werden sie auch geglaubt. Greenwashing ist inzwischen zur politischen Agenda der reichen Länder des Nordens geworden.
Und letztlich ist genau das die Ideologie der Green Economy: Dahinter steckt die Vorstellung, man könne Wachstum und Naturzerstörung voneinander „entkoppeln“. Ein grünes Perpetuum mobile also, und diese Vorstellung gefällt der konsumfreudigen Mittelschicht sehr gut. Denn das hieße, Hyperkonsum und Verschwendung wären gut für die Welt. Diese zynische Mischung aus Anti-Aufklärung und Besitzstandswahrung macht mich wütend. Denn selbstverständlich brauchen Wachstum und Profit Rohstoffe, Energie und billige Arbeitskraft. Naturzerstörung ist daher die Grundlage des grünen Kapitalismus und Armut seine wichtigste nachwachsende Ressource.
Im Buch skizzieren und kritisieren Sie ja, dass all das Gerede von „Nachhaltigkeit“ nicht etwa Menschheit und Umwelt nützten, sondern diese nur weiter zerstörten. Wie kommen Sie darauf? Und wie begründen Sie das?
Es geht nicht darum, die Ursachen von Armut, Hunger und Zerstörung zu ändern, sondern das per se schädliche System zu „verbessern“. Mit „nachwachsenden Rohstoffen“, Nachhaltigkeitssiegeln für problematische Rohstoffe wie Palmöl und Futter-Soja, neuen Technologien, Fracking, Handel mit Verschmutzungsrechten, Biotechnologie usw. usf. Und das Hand in Hand mit Institutionen wie den Vereinten Nationen, Entwicklungsorganisationen, industriefreundlichen NGOs wie WWF und Großkonzernen.
Als die EU vor zehn Jahren die Beimischungsquote für Biosprit ankündigte, sorgte das in Indonesien dafür, dass gigantische Flächen Regenwald abgebrannt und abgeholzt wurden, um dort Palmölplantagen anzulegen, denn Palmöl wird für Biodiesel gebraucht. Dafür wurden tausende Kleinbauern und Indigene gewaltsam enteignet und aus ihren Wäldern und von ihrem Land vertrieben. Es gibt in Indonesien daher 5.000 Konflikte wegen Landraubs und das Land ist durch die Abholzung der drittgrößte CO2-Emittent der Welt.
Und das angeblich für den Klimaschutz…
Ja, das ist das grüne Feigenblatt. In Wahrheit soll der Biosprit die Abhängigkeit vom Erdöl verringern und das Wachstum des Verkehrs absichern. Nie ist es darum gegangen, die Mobilität umzugestalten, sodass weniger Autos fahren und weniger Rohstoffe verbraucht würden.
Da geht es also in dem Sinne gar nicht „um uns“ und unsere Interessen, sondern vielmehr um, ja, wie soll ich sagen: Geo- und Standortpolitik?
Genau. Dazu ist auch ein anderes Beispiel sehr anschaulich. Als nämlich die Folgen des Anbaus von Palmöl immer deutlicher wurden, formierte sich der „Runde Tisch für nachhaltiges Palmöl“, kurz RSPO, auf Betreiben von WWF, Unilever und der Palmölindustrie. Das war eine reine Industrieveranstaltung, unter deren grünem Deckmäntelchen Menschenrechtsverletzungen und Waldzerstörung bis heute ununterbrochen weitergehen – und zwar mit dem Segen der EU, die das RSPO-Siegel als Nachhaltigkeitsnachweis für nachwachsende Rohstoffe akzeptiert hat. Und auch mit jenem der Bundesregierung: Die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit hat zusammen mit WWF und Palmöl verbrauchenden Konzernen wie Henkel, Lidl, Nestlé und Unilever das Forum für nachhaltiges Palmöl initiiert, das diesen Konzernen helfen soll, nur noch nachhaltiges Palmöl zu verwenden – das es schlicht nicht gibt. Das ist nicht nur staatlich finanziertes Greenwashing, sondern institutionalisierte Verantwortungslosigkeit. Denn die gravierenden Missstände in Indonesien werden so nicht nur zementiert sondern auch noch legitimiert.
Was würde Nachhaltigkeit für Sie denn bedeuten?
„Nachhaltigkeit“ ist ein anderes Wort für „Systemerhalt“. Worum es stattdessen gehen muss, ist ökologische und soziale Gerechtigkeit. Zum Vergleich: „Nachhaltigkeit“ ist, wenn es im Bio-Supermarkt eine Menge überflüssiger Produkte wie Bio-Tütensuppen mit Palmöl oder importierte tropische Bio-Schrimps gibt. Ökologisch und sozial gerecht hingegen ist eine selbstbestimmte kleinbäuerliche Landwirtschaft, regional, ökologisch, ohne Monokulturen, gigantische Aquakulturen, Plantagen für Futterpflanzen und „nachwachsende Rohstoffe“ für den Export – das ist ein Schlüssel für globale Gerechtigkeit und die Bewahrung der Ressourcen. Das ist das Konzept der Ernährungsunabhängigkeit, für das viele Bewegungen des Südens kämpfen, die Widerstand gegen die mächtige und gewalttätige Agrarindustrie leisten.
Dafür müssen wir kämpfen – nicht dafür, dass jedes noch so absurde Produkt zu jeder Zeit bei uns in Bio-Qualität zu haben ist. Neuerdings gibt es wegen des Smoothie-Trends sogar schon im Sommer Grünkohl im Bio-Supermarkt. Und im Winter Erdbeeren. Was für eine Idiotie! Der imperiale Lebensstil ist eben auch im grünen Kapitalismus nicht verhandelbar.
Und welche Folgen genau zeitigt das für uns und unser Ökosystem? Können Sie das vielleicht anhand des Palmöls und ggf. noch eines Beispiels etwas konkreter skizzieren?
Gern. Ich habe in Indonesien versucht, dieses „nachhaltige Palmöl“ zu finden. Gefunden habe ich nur unvorstellbare Zerstörung und furchtbares Leid. Wochenlang bin ich durch nichts als gigantische Palmöl-Monokulturen und abgeholzte Flächen gefahren. Die Menschen, die ich getroffen habe, waren entweder Vertriebene, Enteignete, Gewaltopfer oder Sklaven auf Plantagen mit Nachhaltigkeitssiegel, die völlig verarmt unter lebensgefährlichen Bedingungen arbeiten, auch Kinder. Ich habe in Sumatra eine indigene Gemeinde besucht, die seit Jahren unter einem der brutalsten und längsten Landkonflikte leidet. Man hat ihnen ihren Wald weggenommen, ihre Dörfer zerstört, ihr Mitglieder misshandelt. Einen von ihnen, Puji, haben im März 2014 Militär und Security der Palmölfirma PT Asiatic Persada totgeschlagen. Direkt neben dieser Plantage wird der „Wald der Hoffnung“ geschützt und aufgeforstet – ein Projekt der deutschen Klimainitiative, unterstützt von KfW-Entwicklungsbank, Umweltministerium, Naturschutzbund. Ein Pilotprojekt, mit dem man Erkenntnisse für Reducing Carbon Emissions from Deforestation and Degradation sammeln will, ein UN-Programm, das auf dem Pariser Klimagipfel beschlossen werden wird. Damit sollen Länder wie Indonesien mit geschützten Wäldern am Emissionshandel teilnehmen können – damit sich die reichen Länder ihr Recht auf Verschmutzung kaufen können. Aber auch aus diesem Wald wurden Menschen vertrieben: Indigene müssen sich zu Bäumchenpflanzern für Hungerlöhne „zivilisieren“ lassen und Kleinbauern werden als Holzdiebe kriminalisiert und verjagt. So werden die Menschen im Süden zwischen Cash-Crop- und Nachhaltigkeitsregime zerrieben.
Ist das ein besonders schlimmer Einzelfall oder lässt sich das verallgemeinern?
Ähnliches habe ich auch im Südwesten von Bangladesch recherchiert. Dort haben Aquakulturen, in denen Garnelen für den Export nach Europa, Japan und USA gezüchtet werden, wo Menschen nicht einmal satt werden müssen von diesem Snack, die Lebensgrundlange Hunderttausender zerstört. Denn da, wo jetzt Salzwasserbecken sind, waren früher Reis- und Gemüsefelder oder Mangrovenwälder. Deshalb hat sich der Hunger verstärkt, die Armut verfestigt, die Folgen des Klimawandels sind schlimmer geworden und die Degradierung der Böden schreitet voran.
Das Absurde ist: Die Aquakultur wurden – mit Unterstützung von Weltbank, FAO und Vereinten Nationen – in Bangladesch angesiedelt, um dort den Hunger zu bekämpfen. Noch dazu sollte die Aquakultur die Meere vor der Überfischung bewahren – ein weiterer grüner Irrtum, denn mittlerweile wird fast ein Drittel der gefangenen Meeresfische zur Fütterung in Aquakulturen verwendet.
Die nächste durchgeknallte grüne „Lösung“ ist übrigens, dass man auch in Aquakulturen gentechnisch verändertes Soja verfüttert, für dessen Monokulturen in Südamerika Wald und Savannen vernichtet werden. Aber statt mit dem Irrsinn aufzuhören, werden sowohl die Aquakultur als auch die Soja-Monokulturen mit Nachhaltigkeitssiegeln versehen – wieder mit Hilfe der Industrie, des WWF und dem Segen der Politik.
Und diese Logik ist dem gesamten „Grünen Kapitalismus“ immanent?
Die Ideologie des Grünen Wachstums suggeriert, dass das wachstums- und konsumorientierte System, das für alle ökologischen und sozialen Schäden verantwortlich ist, völlig in Ordnung ist und allenfalls „Fehler“ oder „Auswüchse“ korrigiert werden müssten. Sie lässt menschengemachte Katastrophen wie Klimawandel, Armut oder Hunger wie große Menschheitsrätsel erscheinen, auf deren technische Lösung grüne Daniel Düsentriebe eines Tages kommen werden wie auf die Erkenntnis, dass die Erde keine Scheibe ist. So lange man daran glauben kann, dass wir nur einen Quantensprung entfernt sind, das Unmögliche möglich zu machen, muss sich ja auch strukturell nichts ändern. Diese Technikeuphorie trennt aber die ökologische von der sozialen Frage, obwohl beide untrennbar zusammenhängen. Das andere ist, dass in der Logik des grünen Kapitalismus die Zerstörer – also Elite und Wirtschaft – als Retter erscheinen. Das ist eine zynische Täter-Opfer-Umkehr.
Ausbeutung und Umweltzerstörung werden also vor allem unsichtbar gemacht, schön gelabelt und uns dann als Wohlfühl-Kapitalismus-Update verkauft, für das man gleich noch die Preise erhöht?
Es geht um sehr viel mehr, als nur darum, bequemen Konsumenten für viel Geld ein gutes Gewissen zu verkaufen. Dem grünen Kapitalismus liegen geopolitische Interessen zugrunde. Solche Nachhaltigkeitsinitiativen wie der Runde Tisch für nachhaltiges Palmöl oder „verantwortliches Soja“ sollen den Zugriff auf Ressourcen sichern. Es wird gerade einmal so viel Umweltschutz betrieben, dass die Expansion von Plantagen und der Nachschub von Rohstoffen gesichert ist. Die Menschen sollen gerade einmal so weit aus Armut und Hunger befreit werden, dass sie sich für den westlichen Wohlstand abrackern können aber immer noch arm und erpressbar genug sind, das für Hungerlöhne zu tun. Das ist Kolonialismus in Grün.
Und indem die Politik solche Siegel akzeptiert und unterstützt, schafft sie einen Pseudo-Ordnungsrahmen, der Ordnungspolitik – also Regulierung, Verbote oder Sanktionen für Konzerne, die innerhalb der Lieferkette Menschenrechts- und Umweltverbrechen begehen – ersetzt. Gleichzeitig wälzt die Politik ihre Verantwortung auf den Bürger ab, der dann einfach immer „das Richtige“ einkaufen soll – eben Produkte mit solchen Siegeln. Vor allem aber soll er schweigen und kaufen – denn in der marktkonformen Demokratie ist der Bürger nur noch als „Verbraucher“ gefragt.
Und wer sind die Nutznießer dieser Entwicklung?
Es ist ein Mythos, das Wachstum für Gerechtigkeit sorgt. In der globalen Wirtschaft landen von jedem Dollar Wohlstand, der erarbeitet wird, 93 Cent in den Taschen des reichsten einen Prozents. Das heißt: Auch vom grünen Kapitalismus profitiert die Elite, die gleichzeitig auch die meisten Ressourcen verbraucht. Der grüne Kapitalismus ändert nichts an diesem Machtgefälle, er erhält es und sichert es ab.
Und warum laufen die Umweltverbände hiergegen nicht Sturm?
Natürlich leisten viele NGOs eine wertvolle Arbeit, vor allem, was Aufklärung, Kampagnen und auch Mobilisierung von Bürgern betrifft. Allerdings schleicht sich bei NGOs ein gefährlicher Pragmatismus ein, indem sie sich mit der Industrie „an einen Tisch“ setzen und Verbesserungen innerhalb der per se schädlichen Lieferkette zu erreichen versuchen. Dahinter steckt die irrige Annahme, wenn man „die Großen“ zu mehr freiwilliger Verantwortung bringt, hätte das auch einen großen positiven Einfluss.
Der WWF etwa, der von Adeligen, Großwildjägern und Industriellen mitbegründet wurde, wird für seine Nähe zu Konzernen schon lange kritisiert. Aber auch Greenpeace setzt sich mit Konzernen ins Benehmen. Als die französische Umweltministerin Ségolène Royal zum Nutella-Boykott aufrief, verteidigte Greenpeace den Konzern Ferrero und lobt diesen für sein Versprechen, sich um die Verwendung von nachhaltigem Palmöl zu bemühen. Greenpeace arbeitet außerdem mit dem größten Papierkonzern der Welt, Asian Pulp&Paper, kurz APP, in einem Waldschutzprojekt in Indonesien. Doch APP ist in die fürchterlichen Waldbrände verwickelt, die in Indonesien allein bis Ende September diesen Jahres eine Fläche so groß wie Teneriffa vernichtet haben. Die Aktivisten, die ich vergangenes Jahr in Indonesien getroffen habe, waren alle ziemlich sauer auf Greenpeace – denn sie kämpfen nicht für einen netteren Kolonialismus mit „besseren“ Lieferketten oder „nachhaltigem“ Palmöl – sondern für ihr Land, ihren Wald und ein gutes Leben.
Was könnten und sollten wir, die uns diese Zustände stören, aktuell denn am besten tun?
Wir müssen verstehen, dass all die Probleme – Armut, Hunger, Klimawandel, Ressourcenknappheit usw. – dieselbe Ursache haben, nämlich das wachstumsgetriebene kapitalistische System. Man kann diese Probleme daher nicht getrennt voneinander abschaffen. Um das System zu ändern, können wir nicht unsere Verantwortung auf NGOs oder „die Politik“ abwälzen – das schaffen wir nur gemeinsam in einer sozialen Bewegung, die sich mit den Bewegungen des Südens solidarisiert. Jean Ziegler hat dafür den tollen Begriff der „planetarischen Zivilgesellschaft“ geprägt
So sehr mich das, was ich bei meinen Recherchen gesehen habe, erschüttert hat, bin ich auch mit großer Hoffnung heimgefahren. Die vielen Aktivisten, widerständigen Indigenen, die Gewerkschafter und politischen Kleinbauern, mit denen ich unterwegs war, haben mich ungeheuer beeindruckt. Sie kämpfen mit so viel Klugheit, Kraft, Liebe, Mut und Solidarität und dem Glauben an bedingungslose Gerechtigkeit gegen das herrschende System und für ein gutes Leben.
Und alle Alternativen, die sie erkämpft und umgesetzt haben – seien es intakte Walddörfer, Inseln ohne Aquakultur, zurückeroberte Wälder, eine selbstbestimmte solidarische Landwirtschaft – funktionieren ganz hervorragend!
Wir können von ihnen viel lernen, wenn wir uns mit ihnen solidarisieren. Dafür gibt es keinen Reißbrettplan, aber es gibt gerechte und emanzipatorische Alternativen zum herrschenden System, die wir nur gemeinsam entwickeln können und gegen die Eliten politisch durchsetzen müssen. Dazu müssen wir wieder lernen, Ungerechtigkeit nicht zu akzeptieren, wütend zu werden und vor allem aber: Daran zu glauben, dass Alternativen möglich sind.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Kathrin Hartmann, geboren 1972 in Ulm, studierte in Frankfurt/Main Kunstgeschichte, Philosophie und Skandinavistik. Nach einem Volontariat bei der »Frankfurter Rundschau« war sie dort Redakteurin für Nachrichten und Politik. Von 2006 bis 2009 arbeitete sie als Redakteurin bei »Neon«. 2009 erschien bei Blessing „Ende der Märchenstunde. Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt.“, 2012 erregte ihr Buch über die neue Armut – „Wir müssen leider draußen bleiben“ – großes Aufsehen. Kathrin Hartmann lebt und arbeitet in München.
Dieser Text erschien zuerst auf den "NachDenkSeiten - die kritische Website". Die Verwertung durch uns erfolgt im Rahmen der Creative Commons Lizenz 2.0 Non-Commercial, unter welcher er publiziert wurde. Wir bedanken uns bei den NachDenkSeiten für ihre gute Arbeit sowie die Unterstützung der Creative Commons-Bewegung.
07. November 2015
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