Die Doha-Verhandlungen, der Sieg der Hamas und Israels Verluste

Die Verhandlungen über einen Waffenstillstand in Gaza und ein Geiselabkommen sind in Doha wieder aufgenommen worden. Die jüngste Antwort der Hamas deutet auf den möglichen Willen der Hamas hin, eine Einigung zu erzielen. Was das bedeuten könnte.

Doha
Die Hauptstadt von Qatar ist Schauplatz der Verhandlungen über einen Waffenstillstand in Gaza. Foto: Wikipedia

Das Hauptinteresse der Hamas ist die Beendigung des Krieges, wobei sie weiterhin die Kontrolle über den Gazastreifen hat. Einer der Hamas-Unterhändler teilte seinen Vorschlag wie folgt mit:

Wir wollen, dass Israel klare Positionen vorlegt: 
1- Ein dauerhafter Waffenstillstand (möglicherweise in Etappen)
2- Der Rückzug der israelischen Streitkräfte aus dem gesamten Gazastreifen (in Etappen)
3- Die Rückkehr der Vertriebenen an ihre Wohnorte.
Israel beschwert sich, dass die von der Hamas geforderte Zahl der Gefangenen zu hoch ist. Wir haben gesagt, dass wir bereit sind, grosse Flexibilität in der Frage der Gefangenen zu zeigen, wenn wir eine positive Position zu den drei Themen finden.

Weitere Antworten der Hamas, die von Reuters übermittelt wurden, enthielten mehr Details, darunter die Freilassung von etwa 40 Geiseln – Frauen, Kinder, ältere Menschen und Verwundete. Darunter befinden sich auch Soldatinnen – das ist eine neue Entwicklung, die bisher in allen Diskussionen fehlte. Im Gegenzug will die Hamas die Freilassung von etwa 1000 palästinensischen Gefangenen, darunter etwa 100 Gefangene, die lebenslange Haftstrafen verbüssen. Es gibt widersprüchliche Berichte darüber, ob es sich bei den 100 lebenslänglich Verurteilten um die gefährlichsten Gefangenen handelt, um diejenigen, die die meisten Israelis ermordet haben, wie Abdallah Barghouthi, Hasan Salameh und andere, darunter der Palästinenserführer Marwan Barghouthi.

Die Flexibilität des Vorschlags der Hamas besteht darin, dass sie offenbar bereit ist, die erste Phase des Abkommens ohne eine vollständige Verpflichtung Israels zur Beendigung des Krieges und zum Rückzug aus dem gesamten Gazastreifen zu erreichen. Dies ist nicht ganz klar, aber aus dem obigen Text, in dem von Stufen die Rede ist, geht hervor, dass dies der Fall sein könnte. Dies wird in den kommenden Verhandlungstagen klarer werden.

Israel muss alle Anstrengungen unternehmen, um die Geiseln nach Hause zu bringen, und wir müssen um unser aller Willen einen Weg finden, diesen Krieg zu beenden. Die Chancen, dass die Netanjahu-Regierung einer Beendigung des Krieges zustimmt, solange die alte Hamas-Führung in Gaza noch am Leben ist, sind gering. Es gibt auch keine Bereitschaft in Israel, der Hamas irgendeinen Sieg zuzugestehen: Und es würde als Sieg verstanden, wenn die Hamas an der Macht bleibt, wenn Israel den Gazastreifen verlässt. 

Wie nicht nur ich, sondern auch viele andere Personen bereits mehrfach gesagt haben, hat Netanjahu eindeutig den Wunsch, diesen Krieg so lange wie möglich zu verlängern, weil seine eigene politische Zukunft davon abhängt. Wenn der Krieg zu Ende ist, wird es Massendemonstrationen überall in Israel geben. Sie werden Neuwahlen fordern und Netanjahu persönlich die Schuld geben am Versagen, das zum 7. Oktober geführt hat, und am Versagen des 7. Oktober selbst. Solange der Krieg andauert, hat Netanjahu eine Art Schutzschild, der ihm bisher ausreichte, um die mehr als berechtigte Kritik an ihm und seinen Fehlern abzuwehren. Denn er ist der schlechteste Führer, den das jüdische Volk je hatte.

Netanjahus konzeptionelle Fehler seit 2009 sind für alle offensichtlich, einschliesslich der Finanzierung der Hamas und der Tatsache, dass er die Hamas all die Jahre an der Macht gehalten hat, um die Zwei-Staaten-Lösung zu verhindern. Aber Netanjahus konzeptionelles Versagen setzt sich fast sechs Monate nach diesem Krieg fort. Das Versäumnis Israels, ein politisches Ziel zu präsentieren, das in der Lage ist, die Hamas an der ideologischen Front herauszufordern und die arabischen Nachbarn Israels, einschliesslich Saudi-Arabien, für eine Partnerschaft zu gewinnen, ist ein weiterer kolossaler Fehler. Diese Fehlkalkulation Netanjahus lässt den Unterhändlern in Doha im Moment Optionen offen, die die Hamas weiter stärken und den Krieg gegen sie schwächen.

Daber ist die Zwei-Staaten-Lösung der Weg, die Hamas zu besiegen, die von der Mehrheit des palästinensischen Volkes und allen gemässigten sunnitischen arabischen Staaten unterstützt wird. Es muss daher eine klare und kohärente israelische Strategie geben, die anerkennt, dass der Gazastreifen an eine palästinensische Regierung übergeben werden muss, die den bewaffneten Kampf ablehnt, die die Gefahr einer radikal-islamischen Herrschaft versteht und die bereit ist, dafür zu sorgen, dass es im Gazastreifen keine andere bewaffnete Gruppe als eine legitime palästinensische Polizei- und Sicherheitskraft gibt. 

Keine palästinensische Regierung kann Stabilität und Sicherheit erreichen und für die internationale Gemeinschaft die Investition in den Wiederaufbau des Gazastreifens legitimieren, wenn nicht zuvor eine palästinensische Regierung eine bedeutende militärische Schutzkraft in den Gazastreifen einlädt. Bei dieser Militärtruppe mit einem klaren, aber zeitlich begrenzten Mandat, das vielleicht durch einen Beschluss der Arabischen Liga gestützt wird, sollte es sich um eine multinationale arabische Truppe handeln. Doch zuvor muss es eine palästinensische Führung geben, die in den Augen des palästinensischen Volkes im Westjordanland und im Gazastreifen legitimiert ist und über die nötige Regierungsgewalt verfügt.

Präsident Abbas hat einen neuen Premierminister ernannt, Dr. Mohammed Mustafa. Ich kenne Dr. Mustafa recht gut. Er ist ein anständiger Mensch, der in der internationalen Wirtschaftswelt respektiert wird. Doch innerhalb Palästinas gibt es viel Kritik an ihm von denen, die ihn als zu nah an Präsident Abbas und daher als nicht legitimiert ansehen. Ich wünsche ihm viel Erfolg, aber ich bezweifle, dass er eine Regierung zu bilden vermag, die die Legitimität zum Regieren besitzt. Ich bezweifle auch, dass Präsident Abbas ihm genügend Autorität und Macht zum Regieren überlassen wird. Die Palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah hat ohnehin derzeit nur sehr begrenzte Befugnisse und Macht über den grössten Teil des Westjordanlandes und keinerlei Macht und Befugnisse im Gazastreifen. Ich wage die Vermutung, dass die Wahl von Dr. Mustafa deshalb von Netanjahu und seinem nationalen Sicherheitsberater gebilligt wurde, weil sie wissen, dass er keine Regierung bilden wird, die tatsächlich regieren kann. Dies ist ein weiteres Beispiel für das schlechte Urteilsvermögen Netanjahus in Bezug auf unsere Zukunft.

Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass alle Geiseln nach Hause kommen und dieser Krieg beendet wird. Es besteht die Chance, dass die Verhandlungen in Doha zu einer Einigung führen, die die Heimkehr weiterer Geiseln ermöglicht. Die Verhandlungsführer befinden sich in einer schwierigen Lage, weil sie nur ein begrenztes Mandat haben. Und vor allem haben sie keine Möglichkeit, ein Abkommen zu erzielen, das die Hamas nicht für die von ihr begangenen Gräueltaten belohnt.

Die Bürger Israels müssen das verstehen und begreifen, dass Netanjahu und seine Regierung schlecht für Israel sind. Jeden Abend hören wir in den Nachrichten, dass die Armee langsamer wird, dass sie steckenbleibt und es keine Fortschritte gibt. Und alle Fortschritte, die je bei einem militärischen Sieg über die Hamas gemacht wurden, sind umsonst, solange es kein politisches Ziel gibt. 

Israel hat die Unterstützung des grössten Teils der Welt verloren und verliert derzeit auch die Unterstützung der Vereinigten Staaten. Es gibt keine Möglichkeit, die massiven zivilen Opfer unter der Zivilbevölkerung in Gaza und die unerklärbaren physischen Zerstörungen, die Israel in Gaza angerichtet hat, zu verstehen. Nichts davon kann ungeschehen gemacht werden, aber es ist immer noch möglich, die politischen Ziele zu erreichen: nämlich sicherzustellen, dass die Hamas den Gazastreifen nicht mehr beherrscht und Israel nie wieder bedroht. Das geht aber nur durch die Bedingungen eines umfassenden und kohärenten «Endspiels» mit politischen Zielen: die Beendigung der israelischen Besatzung, den Aufbau der palästinensischen Eigenstaatlichkeit und einen regionalen Plan für Sicherheit, Stabilität, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Im Moment befinden wir uns eindeutig auf dem Weg zu einem Lose-Lose-Szenario sowohl für Israel als auch für Palästina. Das ist die logische Folge der militärischen Option. Es gibt keine militärische Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt. Wir alle erleben noch immer das Trauma des 7. Oktobers und der darauf folgenden Monate. ,Ich verstehe, wenn unser Denken noch immer von Wut, Trauer, Schmerz und Verzweiflung getrübt ist. Aber das ist kein Plan, und wir müssen einen Plan haben. Es muss eine politische Lösung für diesen Krieg und für diesen Konflikt geben. Es ist schwer, durch die Wut und den Wunsch nach Rache hindurch zu erkennen, dass es eine Lösung gibt. Aber es gibt sie. Sie ist nicht einfach und erfordert eine Menge Arbeit. Sie erfordert, dass wir grosse Anstrengungen unternehmen, um aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Leider wird nichts davon geschehen, solange wir nicht die Führer (auf beiden Seiten) wechseln. Also lasst uns endlich damit anfangen!