Die Festtagsfrage: Was wirklich in der Nacht zum 25.12. vor 2023 Jahren geschah

Zwei Menschen, Maria und Josef, schlichen nachts durch den letzten der vielen Orte auf ihrem Weg der Suche - nach einer geeigneten Schlafstätte und wohl auch dem Geburtsort des Kindes in Marias Bauch. Beide waren sehr erschöpft und missmutig.

Eltern werden
Das Kind ist von einem anderen? Ich liebe es trotzdem! Foto: Pixabay

Festtagsfrage

...das fragten wir unsere Leser und Leserinnen.

und wenn Sie eine Lieblings-Weihnachtsanekdote oder Adventsgeschichte haben, – sei sie selbst erlebt, selbst ausgedacht oder irgendwo einmal gehört - würden wir die sehr gerne auch lesen.

Schreiben Sie uns ein paar Zeilen – wir veröffentlichen (möglicherweise gekürzt) einige der Antworten hier auf unserem Zeitpunkt-Info-Portal der nächsten Wochen. Schreiben Sie bitte an: [email protected]

Die vielen unfreundlichen Absagen und kurzerhand vor der Nase zugeworfenen Türen waren nicht ohne Wirkung geblieben. In dieser Weise ohne Hilfe, ohne Zuwendung, ohne Verständnis und Fürsorge einer Gemeinschaft zu sein, erschien ihnen wie eine bittere Lektion der Einsamkeit, ja, fast der Strafe, denn sie waren nicht miteinander verheiratet und das Kind in Marias Bauch war nicht von Josef.

Josef, der sonst so geduldig friedfertige Freund an Marias Seite, hatte Zornestränen in den Augen. Eine harte Zeit lag hinter ihm und wenn er nicht ein so gottesgläubiger Mensch gewesen wäre – was hätte er mit Marias Beteuerungen anfangen sollen, dass dieses Kind nicht von einem anderen Mann, sondern von GOTT (bei diesem Gedanken geriet er zuverlässig in Rage) höchstselbst und das auch noch auf völlig unübliche Weise, und dazu weit vor ihrer beider Hochzeit, in ihre ansonsten bislang keusche Beziehung geraten sei.… Niemand, wirklich überhaupt niemand aus ihrer Gemeinschaft, hatte auch nur die geringste Mühe erkennen lassen, dieser irrwitzigen Geschichte glauben zu schenken.

Sie beide hatten das akzeptieren müssen und froh sein, dass sie nicht verstossen wurden. Ihre Gemeinschaft hatte die Tatkraft der Schreiners und der Dorflehrerin Maria sicher nicht einfach hergeben wollen.

Josef schüttelte sich, rieb sich über die Augen, schaute unglücklich an sich herunter und dann zu Maria, seiner stets so zuversichtlichen Gefährtin. Diese fluchte leise vor sich hin. Ihr Bauch war riesig und daher schwer, die Füsse geschwollen und sehr müde vom Laufen. Unregelmässig auftauchende Wehen liessen kleine Panikwellen in ihr aufsteigen, denn es war stockdunkler Winter, die kälteste Jahreszeit in diesem ansonsten doch eher warmen Land und noch war keine Herberge gefunden. Josef sass beschämt und mit gebeugtem Rücken auf dem Esel.

Er hatte sich etliche Tage zuvor den Knöchel verstaucht und Maria hatte darauf bestanden, dass er die ganze Sache nicht noch schlimmer werden lassen sollte, der Esel nun eben seine Rettung sei. 

Am Ende des Ortes entdeckten sie einen windschiefen Stall, der weit genug abseits stand, sodass sie unbemerkt hineinschlüpfen konnten. Er war zugig, stinkig und keinesfalls einladend. Dieser Stall war offensichtlich eher das Zuhause von Ratten und Mäusen, als von Schafen oder Pferden. Josef wollte weiter, weil er Marias Ordnungsvorstellungen kannte und fürchtete, dass ihre Laune noch schlechter werden würde. Aber ein heftiger Aufschrei machte klar, dass nun die Geburt losgehen würde.

Josef brach der Schweiss aus. Als Mann er war natürlich nie direkt bei einer Geburt dabei gewesen und stellte sich dieses Ereignis als etwas übermächtig grausames und kompliziertes vor. Diese fürchterlichen Schreie kannte er von Klein an. Die Frauen seiner Gemeinschaft sahen jedes mal wie von einem anderen Stern aus, rannten mit blinden Blicken hin und her und stiessen alle beiseite. Und die Eisesstille, die entstand, wenn ein Bündel hinausgetragen werden musste, stellte für ihn den grössten Schrecken dar.

Dieses Entsetzen, dieses Unglück, diese Tage voller Trauer waren die tragischsten Erinnerungen seiner Kindheit. Nun war er also hier in diesem scheusslichen Stall mit seiner Verlobten Maria, deren Kind auf die Welt wollte. Und ausser dem Esel stand nur er selbst bereit.

Maria hatte ihn unterwegs ein wenig vorbereitet. Sie wusste – viel deutlicher als er – es gab nur einen Weg, nur eine Richtung, in die nun zu gehen war. Sie hatte sich so gut sie konnte aufklären und einstimmen lassen durch die Erfahrungen der Frauen in ihrer Gemeinschaft.

Für ihn hingegen gehörte das zu ausschliesslich weiblichem Wissen und so nahm er all seinen männlichen Mut zusammen. Aber er konnte sich nicht wirklich merken was er da gehört hatte, zu fremd waren ihm die Zusammenhänge. Als Schreinerssohn war er auch nicht vertraut mit den Geburten der Hoftiere. Einmal hatten ihn seine Freunde mit zu einer Kalbsgeburt genommen, als aber der mächtige Arm des Bauern im Hinterteil der Kuh verschwand, war kurz darauf auch Josef verschwunden.

Grosse Angst schnürte ihm jetzt die Kehle zu. Als erneut ein schriller Schrei die muffige Luft erfüllte, riss dieser Josef aus seinen Gedanken, er drehte sich heftig um. Er sah, dass Maria bereits ein Lager gebaut hatte. Altes Heu als Unterlage, ein reines Tuch aus ihrem Beutel daraufgelegt, ein Messer daneben, ebenfalls auf einem reinen Tuch. Dazu abgekochtes Wasser in einem irdenen Krug. Diese Dinge hatte sie gehütet wie einen Schatz, sogar darauf bestanden, sie selbst auf ihrem Rücken zu tragen, während des langen Marsches.

Sie hatte die untere Kleidung abgestreift - er wagte nicht hinzuschauen - ihr Bauch bewegte sich heftig, Schweissperlen standen ihr auf der Stirn. Josef kniete neben ihrem Kopf nieder und hielt ihre Hand. Er wartete auf Befehle, war bereit alles zu tun, das sie von ihm verlangen würde.

Immer wenn ein lautes Stöhnen aus ihrem Mund drang, zuckte er zusammen, aber da sich die Lage danach augenblicklich zu entspannen schien, entspannte auch er sich ein wenig. So ging es eine ganze Weile, wie ihm schien vergingen Stunden, aber er konnte deutlich erkennen, dass sich die Abstände zwischen den Schreien verkürzten und Marias Gesichtsausdruck immer schmerzlicher aber auch immer zielstrebiger wurde.

Josef konnte nicht umhin, tiefe Bewunderung zu empfinden, bekam er nun doch eine reale Vorstellung von dem, was er sonst nur hinter den Türen oder Vorhängen hatte stattfinden hören. Ihm schien, als gäbe diese starke gemeinsame Konzentration auf das unmittelbare unbekannte Geschehen ihnen beiden eine Intimität und ein Einverständnis, das einer völlig neuen, unvergleichlichen Erfahrung gleichkam. 

Der Esel, von der Intensität des Geschehens offensichtlich berührt, hatte sich an Marias Füssen aufgestellt und wärmte mit seinem Atem ihre nackten Beine. Als ein markerschütternder langgezogener Wehschrei zu hören war und Marias Atem gepresst zu klingen schien, wurde klar, dass Josef seinen sicheren Platz an ihrem Kopf verlassen musste. Vorsichtig und auf das Schlimmste gefasst, kroch er auf allen Vieren vor den Esel. Was er dort sah verwirrte ihn heftig, aber er riss sich zusammen und folgte Marias Anweisung, sich die Hände mit dem Wasser aus dem Krug gründlichst zu reinigen.

Im nächsten Moment schon sah er den Kopf des Kindes heraustreten, hörte, dass er Marias Haut rundherum abstützen solle und schon kamen die Schultern und dann der gesamte Leib des Kindes herausgequollen und dazu noch eine Unmenge Flüssigkeit. Eilig legte er weitere Tücher bereit, wickelte das Kind hinein und sah voller Staunen, dass eine dicke pulsierende Schnur von dem Bauch des Kindes in den Bauch seiner Maria führte. Sie wies ihn an, diese Schnur mit dem Messer zu durchtrennen und das eine Ende dicht am Bauch des Kindes zuzuknoten. Er widerstand dem heftigen Impuls, einfach abzuhauen und befolgte ihre Bitte.

Erneute Wehen liessen Maria aufstöhnen und mit namenlosem Entsetzen sah Josef ein grosses Stück Fleisch aus ihrem Bauch heraustreten. Fast hätte er sich übergeben, aber da fiel ihm ein, dass sie ihm genau so etwas vor ein paar Tagen erzählt hatte. Dieser Klumpen war auch tatsächlich ein gut geformtes Stück, aus dem, wie es schien, das andere Ende dieser pulsierenden Schnur herausragte. Er konnte sich keinen rechten Reim darauf machen, aber das war jetzt auch nicht wichtig, denn der kleine Junge fing lauthals an zu brüllen.

Maria hatte sich aufgerichtet, um ihn an ihre Brust zu legen. Und wieder wusste Josef nicht, wohin er schauen sollte, entschied sich dann aber, auch alles weitere einfach geschehen zu lassen. Neugierig betrachteten sie beide dieses neugeborene, ganz offensichtlich kerngesunde Kind.

Wenn das hier GOTTES Sohn war, der ihn in aller Augen zum gehörnten Mann gemacht hatte, dann konnte Josef nur feststellen: der sah aus wie ein ganz normales Kind! Nichts legte irgendetwas Grossartiges, Heiliges oder gar Göttliches nahe. Dieses Kind hier saugte gierig, die Augen geschlossen, und langsam wich auch die bläuliche Farbe aus seiner Haut. Maria schaute Josef glücklich an und beide waren diesem Gott aus tiefstem Herzen dankbar, dass alles so gut verlaufen war.

Im Stillen befand Josef, dass das auch das Mindeste war, das dieser Vater Gott im Himmel, für seinen Sohn tun konnte, tun MUssTE. Hier auf Erden würde er nun also der Vater sein. Daran bestand kein Zweifel, denn dieses Erlebnis band ihn an das Kind. Josef bettete sich neben seine Maria, das Kind legten sie in ihre Mitte. Der Esel sank neben Maria zu Boden um sie zu wärmen.

Und während er in einen erschöpften Schlaf fiel, dachte Josef noch tief bewegt, dass es eigentlich allen Vätern möglich sein sollte, bei der Geburt ihrer Kinder unmittelbar anwesend zu sein. Vielleicht nicht gerade nur in Gesellschaft eines Esels, aber eben dabei sein, ihren Frauen Liebe und Stütze geben, diese einzigartige Verbundenheit erleben, um die Geburt auch als den Moment der Geburt ihrer Vaterschaft erkennen zu können.

«Herr Gott, der du ja immer machst, was du für richtig hältst, auch ohne mich zu fragen, sei so gnädig und höre dir meine Bitte an! Alle Väter! gleichgültig von wem die Kinder sind..... alle Väter.....ja..... und vielleicht sorgst du noch dafür, dass sie besser vorbereitet werden .... muss ja nicht alles erst im letzten Moment klar werden .....und bitte, mach sie dafür mutiger, schliesslich tut ihnen ja nichts weh....und danke nochmal, dass Maria nichts passiert ist und auch ich das alles überstanden habe.....»

Draussen vor dem windschiefen Stall stand ein Schaf. Es hörte hin und wieder ein leises Schnauben, ein zartes Wimmern, die sanfte beruhigende Stimme einer Frau und das laute Schnarchen eines offensichtlich sehr erschöpften Mannes. Kurz danach würde ein heller Stern am Himmel stehen. Den Rest der Geschichte kennt alle Welt.
 

17. Dezember 2023
von:

Über

angelika oft-roy

Submitted by cld on Fr, 02/02/2024 - 11:28
angelika oft-roy

geboren 1955 in bonn
studium der heil- und sonderpädagogik in frankfurt/main
von 1983 bis 2014 tätig als lehrerin in berlin und kassel, u.a. im fach kunst

schwerpunkte meiner künstlerischen arbeit: 
der mensch in malerei und skulptur, 
projekte mit narrativem konzept

heute einzelunterrichtsangebote und wochenendkurse im atelier in vellmar bei kassel, anfragen unter [email protected]

ich folge konsequent meinen intuitionen und instinkten, die mich zu den unterschiedlichsten techniken und themen führen. roter faden dabei ist der grundgedanke: 

+alles ist mit allem verknüpft+

 

 

kunst : 

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