Eine kleine Stadt stellt sich gegen die Sanktionspolitik Deutschlands

Königs Wusterhausen mit weniger als 40.000 Einwohnern liegt inmitten zahlreicher Seen im Süden von Berlin. Mit der Politik der deutschen Hauptstadt liegt sie aber überkreuz. Darauf lässt zumindest der offene Brief schliessen, den der Stadtrat am 20. Oktober in einer Sondersitzung beschloss und am nächsten Tag auf der offiziellen Webseite der Stadt veröffentlichte.

(C) Gemälde von Renate Niethammer von 1962: Der Hafen von Königs Wusterhausen

Die Stadt positioniert sich in diesem Brief konsequent gegen die Ukraine-, Russland- und Sanktionspolitik der Bundesregierung. Dort heisst es etwa: «Völlig anders als bei allen sonstigen Konflikten, gibt es seitens der Bundesregierung keinerlei wahrnehmbares Bemühen um Diplomatie. Allein Waffen und völlig entfesselte Sanktionsmassnahmen sollen diesmal das alleinige Mittel der Wahl sein. (…) Die Länder, von denen wir abhängig sind, haben in der Regel ihr eigenes konträres ‚Wertesystem‘, oft führen sie seit Jahren Kriege gegen ihr eigenes oder andere Völker. Wollen wir also künftig mit all diesen Ländern im Kriegszustand sein?! (…) Alle weiteren Entwicklungen sind absehbar, ohne dass damit den Menschen in der Ukraine geholfen ist.»

In ihrem offenen Brief kritisieren die Stadtverordneten vor allem die Waffenlieferungen an die Ukraine. «Eine Politik, die sich darauf versteift, dass es nur eine militärische Lösung dieses Konfliktes geben könne, nimmt Tod und Zerstörung – vor allem für zigtausende Unbeteiligte und Unschuldige – billigend in Kauf», heisst es. Opfer dieser Politik seien auch viele ärmere Länder auf der Welt, darüber hinaus aber die deutsche Wirtschaft.

«Der Umfang des Gesamtschadens ist unabsehbar. Die Arbeitslosigkeit wird explodieren, gleichzeitig steigt die Zahl der Flüchtlinge, die Sozialsysteme sind jetzt schon völlig überlastet. Daraus folgende soziale und politische Unruhen sind zwangsläufig», heisst es weiter. Der Brief endet mit der Forderung, «alles zu unterlassen, was diesen Krieg verlängert und alles dafür zu tun, dass die Waffen schweigen. Sowohl im Waffenkrieg als auch im Wirtschaftskrieg».

Die Veröffentlichung des Briefes wurde letztlich mit grosser Mehrheit beschlossen: 17 Stadtverordnete stimmten mit Ja, sechs mit Nein, einer enthielt sich. Dass das Ergebnis so klar sein würde, hatte die Abgeordneten überrascht. Hatte der Brief doch im Vorfeld grosse Spannungen ausgelöst, sowohl zwischen als auch innerhalb einzelner Fraktionen.

Christian Dorst, Fraktionsvorsitzender der Vereinigten Bürgerfraktion, hatte den Brief eingebracht. Seiner Meinung nach sind es die Waffenlieferungen, die den Krieg in der Ukraine immer weiter verlängern. Auf die erste Version gab es scharfe Kritik, sowohl aus den eigenen Reihen als auch von SPD und Grünen. So waren es jetzt auch SPD und Grüne, die geschlossen mit Nein stimmten. Die CDU hingegen war sich in der Bewertung des Briefs nicht einig. Dorst brachte den Brief deshalb nicht als Fraktionsantrag ein, sondern suchte sich Mitunterzeichner aus verschiedenen Parteien.

Schliesslich wurde eine gekürzte und abgemilderte Version beschlossen. In der Debatte sie die ausdrückliche Zustimmung einer breiten Mehrheit von Linken bis AfD gefunden. Zuhörerinnen und Zuhörer des Stadtrates applaudierten.

Grüne und SPD hatten den Brief geschlossen abgelehnt. Beide Fraktionen brachten kurz vor der Sitzung noch als Alternativvorschlag einen eigenen, kürzeren Brief ein. Darin verzichteten sie darauf, die möglichen Kriegsfolgen aufzuführen. Er enthielt auch keine direkte Kritik an der Politik der Bundesregierung. Diese Version fiel in der Debatte jedoch durch. Ebenso wie der Antrag der Grünen, vorher noch in den Ausschüssen über Formulierungen zu diskutieren.

Teresa Nordhaus (Grüne) sagte dem RBB Brandenburg: «Der Brief enthält absolute Aussagen und Unterstellungen und spannt eine Drohkulisse auf, was alles mit Deutschland passieren wird – das können wir einfach so nicht akzeptieren.»

«Als Pazifistin werde ich gegen alles stimmen, was mit Waffen Konflikte lösen will.»

Ludwig Scheetz von der SPD fürchtet, dass der Brief populistischen Kräften in die Hände spielt. «Es gibt die Freiheitsboten in Königs Wusterhausen, die jede Woche Demonstrationen veranstaltet, wenn Sie sich anhören, was die sagen, wird Ihnen ganz anders. Die sehen den Brief als Solidarisierung und wollen ihn verlesen. Das halte ich für einen ziemlichen Kollateralschaden.»

Der Fraktionsvorsitzende der CDU, Christian Möbus, fand hingegen, dass zu häufig Kritik an der Bundesregierung als rechts bewertet wird. «Das demokratische Spektrum bleibt da zu oft aussen vor. Ich denke, es ist ganz wichtig, dass auch mal demokratische Parteien aufstehen und das Wort erheben, denn es ist nicht alles richtig, was da draussen passiert.»

Eine grosse Mehrheit stimmte schliesslich für die Originalversion des Briefes, auch Bürgermeisterin Michaela Wiezorek: «Als Pazifistin werde ich gegen alles stimmen, was mit Waffen Konflikte lösen will. Bei uns in der Stadt werden die Auswirkungen des Wirtschaftskrieges bereits spürbar.» Der Brief wurde am Tag darauf, am Freitag auf der Seite der Stadt Königs Wusterhausen veröffentlicht.

Königs Wusterhausen ist somit eine der ersten Städte Deutschlands, deren Stadtverordnetenversammlung sich gegen die Ukraine-Politik der Bundesregierung ausspricht. Christian Dorst, der selbst Unternehmer in Königs Wusterhausen ist, sagte nach der Abstimmung: «Uns ist allen klar, dass man sich damit in den Wind stellt, aber das ist das, was uns derzeit alle umtreibt. Ich wünsche mir jetzt, dass unser Beschluss auch beispielgebend für andere Kommunen sein wird.»

31. Oktober 2022
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