«Grüner Korridor» Ukraine – Ökodörfer bieten Geflüchteten eine Heimat

Anastasiya Volkova ist Leiterin der NGO «Permakultur in der Ukraine» und Mitglied von «GEN Ukraine» und lebt seit 9 Jahren im Ökodorf Zeleni Kruchi bei Kiew. Gemeinsam mit Irina Kazakova gründete sie das Projekt «Grüner Korridor» in der Ukraine. Es bietet Menschen aus Kriegssituationen eine Unterkunft oder sogar eine neue Heimat in einem Ökodorf innerhalb der Ukraine oder in anderen Ländern Europas. Aufgrund unserer Fragen schrieb Anastasiya diesen Beitrag. Auch wenn wir politisch nicht mit der ukrainischen Regierung übereinstimmen, finden wir diese humanitäre Hilfe sinnvoll.

© Zur Verfügung gestellt von GEN Ukraine

Zeleni Kruchi, der Name unseres Ökodorfes, bedeutet «grüne Hügel». Zeleni Kruchi ist eine Gemeinschaft von Menschen, die bewusst aus der Grossstadt aufs Land gezogen sind. Wir wollen damit Werte wie gesunden Lebensstil, ökologischen Lebensmittelanbau, natürliches Bauen und spirituelle Entwicklung verwirklichen. Wir befinden uns in einem ganz normalen ukrainischen Dorf. Vor dem Krieg gehörten neun Familien zu unserer Gemeinschaft. Nach Kriegsbeginn gingen vier Familien ins Ausland, aber fünf neue Familien schlossen sich uns an. So sind wir sogar gewachsen.

 

Wir befinden uns in einer wunderschönen hügeligen Gegend. Wir bauen unsere eigenen Lebensmittel an: Jede Familie hat ihren eigenen Garten, aber wir haben auch vier Hektar Gemeinschaftsland, auf denen wir einen essbaren Wald anlegen und Getreide für den Bedarf der Gemeinschaft anbauen. Wir haben auch ein Permakulturzentrum und veranstalten seit 4 Jahren Permakulturkurse.

 

GEN Ukraine (GEN= Global Ecovillage Network = Globales Netzwerk der Ökodörfer) als Organisation entstand 2018 mit der Idee, Ökodörfer und ökologische Initiativen in einem Netzwerk zu vereinen und sich dem internationalen GEN-Netzwerk anzuschliessen. Das haben wir seither erfolgreich getan. Mit der Unterstützung unserer Freunde von GEN Europe und insbesondere des dänischen Ökodorf-Netzwerks «LØS» entstand ziemlich schnell ein breites Netzwerk. Wir erstellten eine Website mit einer Karte, hielten zweimal im Jahr Versammlungen ab und nahmen an allen Veranstaltungen von GEN Europe teil. Vor dem Krieg hatte GEN Ukraine etwa 60 Mitglieder.

In der Ukraine gibt es eine weitere Ökodorfbewegung: die Anastasia-Familiengüter. Einige der Anastasia-Ökodörfer schlossen sich unserem Netzwerk an, andere nicht. 

Wir konnten uns einfach nicht vorstellen, dass so eine Gewalt mitten in Europa von heute noch geschehen könnte.

Der Kriegsausbruch hat uns überrascht. Zwar hatten wir über die Möglichkeit gesprochen, aber die meisten von uns glaubten, dass die Politiker die Probleme schon irgendwie lösen würden. Wir konnten uns einfach nicht vorstellen, dass so eine Gewalt mitten in Europa von heute noch geschehen könnte. Für niemanden von uns wird das Leben jemals wieder so sein wie früher. Mehrere Ökodörfer oder ökologische Zentren wurden zerstört oder beschädigt. Einige der Mitglieder von GEN Ukraine sind an der Front oder werden nie wieder unter uns sein.

 

Schon kurz nach Kriegsausbruch gründeten wir das Projekt «Grüner Korridor der Ökodörfer». Wenn wir nach sechs Monaten zurückblicken, was wir damit erreichen konnten, klingt es unglaublich. Als am 24. Februar die Menschen in den Grossstädten von den Explosionen erwachten, versuchten viele, an sicherere Orte auf dem Land zu fliehen. So kamen Verwandte und Freunde der Ökodorfbewohner in die Gemeinschaften und zogen mit in ihre Häuser ein. Bereits am zweiten Tag der Angriffe telefonierten die Koordinatoren der beiden Ökodorfbewegungen. Uns war klar, dass wir etwas tun mussten. Auf der einen Seite gab es Menschen, die Zuflucht suchten. Und auf der anderen Seite gab es Orte auf dem relativ sicheren Land, die sie aufnehmen konnten. Aber diese Orte brauchten Unterstützung: schnelle Renovierung alter verlassener Häuser, wie sie in den meisten ukrainischen Ökodörfern zu finden sind, Matratzen, Lebensmittel, Hygieneartikel usw. Also mobilisierten wir unsere Netzwerke von Ökodörfern und Permakultur-Zentren, erstellten zunächst eine Liste und ziemlich schnell eine Karte von ihnen und begannen, nach Spenden und Zuschüssen zu suchen und sie an die Orte zu verteilen. 

 

Und dann begann wirklich der Strom von Menschen. Das Netzwerk wuchs von Tag zu Tag: Neue Orte kamen hinzu, die bereit waren, Vertriebene aufzunehmen. Neue Menschen trafen ein. Die Listen mit den Bedürfnissen wuchsen. Die Koordinatoren suchten nach Ressourcen und verteilten sie. Inzwischen sind rund 60 Orte auf der Karte verzeichnet. In den ersten Monaten blieben viele Menschen nur eine oder mehrere Nächte in unseren Unterkünften, da sie auf dem Weg zur Westgrenze waren. So entstand der Name «Grüner Korridor» oder «Grüne Strasse». Rund 3000 Menschen wurden an ihren Standorten für kurze oder längere Zeit untergebracht.

Karte von Ökodörfern

Ein weiterer grosser Teil des Grünen Korridors geschah im Ausland. GEN Europe reagierte mit dem Vorschlag, ihre Ökodörfer für Ukrainer zu öffnen. Nach und nach tauchten auf der Landkarte Adressen auf, an denen Menschen aus der Ukraine willkommen waren. Verschiedene Länder ernannten nationale Koordinatoren, die sich um die Logistik kümmerten. Inzwischen sind mehr als 300 Orte in Westeuropa auf der Karte verzeichnet. 

 

Es gab Menschen, die auf dem Weg in ein anderes Land in diesen Ökodörfern Zwischenhalt machten. Es gab andere, die so lange blieben, wie es für die Gemeinschaften möglich war, bevor sie eine andere Unterkunft fanden. Und es gibt Menschen, die immer noch in den Ökodörfern verschiedener Länder leben, sich in die Gemeinschaften integrierten und dort glücklich sind.

 

Zurück zu den Ereignissen in der Ukraine: Irgendwann wurde deutlich, dass die Angriffe nicht so bald enden würden. So erkannten wir, dass wir über die Deckung der Grundbedürfnisse der Vertriebenen hinaus denken mussten. Wir mussten ein langes Zusammenleben von Ökodorfbewohnern und ihren neuen Nachbarn organisieren. D.h. wir mussten z.B. über Ernährungssicherheit, Verbesserung der Infrastruktur und Verdienstmöglichkeiten nachdenken, da die meisten Familien beider Kategorien ihr Einkommen verloren hatten. 

 

Dafür beantragten wir finanzielle Unterstützung. Und damit geschahen in den ukrainischen Ökodörfern während des Sommers viele schöne Dinge. So wurden verschiedene Haushaltsgeräte gekauft, die den vertriebenen Familien, insbesondere den Frauen mit Kindern, das Leben erleichterten. Werkzeuge für Bauarbeiten und Gartenarbeit wurden bereitgestellt, Wasserpumpen für Brunnen und vieles mehr. Wir sind noch weit davon entfernt, den gesamten Bedarf zu decken, aber wir haben die Gemeinschaften des Netzwerks bereits sehr unterstützen können. 

 

Bei Werkzeugen und anderen Investitionen, die von GEN Ukraine zur Verfügung gestellt werden, hat Vorrang, was vielen Menschen und nicht nur einer Familie dienen kann. Auf diese Weise wird in den ukrainischen Ökodörfern die Kultur des Teilens und der gemeinsamen Infrastruktur eingeführt.

Ein Gewächshaus von 35

Eine der wichtigsten Errungenschaften im Hinblick auf die Ernährungssicherheit waren 35 Gewächshäuser, die mit Hilfe von Spenden aus aller Welt an den Standorten des Grünen Korridors gekauft wurden. Diese Gewächshäuser sind nicht nur eine Quelle für Gemüse für die Gemeinschaften. Sie dienen auch als Treffpunkte für Gastgeber und Gäste und als Orte gemeinsamer Arbeit. Viele Initiativen entstanden innerhalb des Netzwerks von selbst. Dazu gehören Kindersommercamps, Erholungswochenenden für Freiwillige, regelmässige Telefonkonferenzen zur psychologischen Unterstützung, Teams zum Schreiben von Unterstützungsanträgen, Austausch von Lebensmittelüberschüssen usw.

 

In dem vom Krieg zerrissenen Land entstand ein Netzwerk aktiver Oasen, in denen sich die Menschen gegenseitig unterstützten und in denen es eine Entwicklung gab: Wiederaufbau der Häuser, verbesserter Nahrungsmittelanbau, neue Werkzeuge. Und mehr Bewohner: Etwa 450 Vertriebene haben beschlossen, zumindest in diesem Winter in den Öko-Gemeinschaften der Ukraine zu bleiben. Einige von ihnen haben sogar eigene Häuser gekauft und sich den Gemeinschaften angeschlossen.

 

Es ist jedoch jetzt schon klar, dass der kommende Winter hart werden wird. Eine Eskalation der Gewalt ist möglich, und es wird mit Treibstoffmangel und Problemen bei der Stromversorgung gerechnet. Das grosse Problem ist, dass viele der Häuser, in denen die Menschen vorübergehend leben, nicht für den harten ukrainischen Winter gerüstet sind: Sie müssen isoliert werden, brauchen neue Fenster, neue Öfen und fliessendes Wasser. Einige Ökodörfer haben beschlossen, Gemeinschaftshäuser zu bauen oder zu restaurieren, um im Falle neuer Migrationswellen im Winter mehr Menschen unterbringen zu können. Und zum Heizen der Häuser wird Holz benötigt, das teuer geworden ist.

----------------------

Das Projekt braucht weiterhin finanzielle Unterstützung. 

Kontakt: [email protected]:

GEN Ukraine: genukraine.com

Sie können unsere Neuigkeiten auf unseren Instagram und Facebook-Seiten verfolgen.