Wie ein junger Mann aus Sachsen-Anhalt Bäcker in Guatemala wurde, berichtet unser Autor im dritten Teil seiner Guatemala-Story.

Indigene Guatemala
Masken einmal anders. Foto: Yosimar Flores Soria

«Dreimal», erzählt Philip, «habe ich in Deutschland versucht, ein Geschäft zu eröffnen, einmal ein Café, dann ein Restaurant und schliesslich eine Bäckerei. Jedes Mal bin ich an den bürokratischen Hürden gescheitert. ‚Machen Sie erst mal Ihre Meisterprüfung, dann ist alles paletti‘, bekam ich zu hören. Noch einmal 13 Monate investieren und obendrein 10.000 Euro, das war mir zu viel. Hier fragt keiner nach deiner Meisterprüfung. Deine Sachen müssen gut sein, du musst dich an die Gesetze halten und fertig.» Philips Weg zur eigenen Bäckerei in Guatemala war freilich alles andere als einfach.

Gelernt, was Stress heisst

Nach frisch bestandener Gesellenprüfung kam Philip mit 19 Jahren als Jungkoch nach Dresden in die «totale Touristenabzocke», wie er das Restaurant «Dresden 1900» direkt an der Frauenkirche nennt. «An manchen Tagen haben wir 1000 Mittagessen verkauft; da habe ich gelernt, was es heisst, unter Stress zu arbeiten. Wer nicht funktioniert hat, der bekam schon mal einen Teller hinterhergeschmissen. Dafür bekam ich 900 Euro auf die Hand. Nach einem Jahr ging ich für eine Saison in ein Hotel-Restaurant nach Obergurgel in Österreich. Da gab’s für die gleiche Arbeit und weniger Stress 1300 Euro. Trotzdem bin ich danach doch wieder im ‚Dresden 1900‘ bei meinen Kumpels gelandet, bei schlechterer Bezahlung.»

In Dresden die Goldkarte gezogen

Ein Jahr später ergab sich die Möglichkeit, «allerdings wurde ich da reingelegt», nach Australien zu gehen. «Ich bekam gesagt, ‚du brauchst nicht viel Geld mitbringen, du kannst ja gleich bei mir arbeiten‘. Also kam ich mit 300 Dollar in der Tasche an, aber das war gelogen, es gab keine Arbeit. Na ja, von da aus hab ich dann in verschiedenen Häusern als Koch gejobbt, kehrte aber wieder nach Dresden zurück. Und dort hab ich dann die Goldkarte gezogen.»

Mit «mehr Glück als Verstand» bekam Philip einen Job im «elements DELI Restaurant» mit einem guten Ruf für internationale Küche mit Küchenchef Stefan Miesner. «Dort konnte ich in einer tollen Atmosphäre arbeiten und lernen. Die ersten drei Jahre waren, als ob ich nochmals eine Lehre mache. Klar gab’s einen Chef, aber das war keine Hierarchie wie üblich, sondern alle haben für die beste Qualität an einem Strang gezogen. Da konnte es beim Shrimp-Putzen schon mal nachts um zwei werden. Auch der Verdienst war total fair für alle. Etliche Wochen haben wir für einen gemeinsamen Traum, einen Michelin-Stern, gekämpft. Stefan Miesner war einer der besten, grosszügigsten Menschen, die ich in meinem Leben kennengelernt habe.»

Grasanbau in den USA

Trotzdem zog es Philip und einen Kumpel nach vier Jahren in die USA. Easy Life und das Geld lockten. «In Dresden wollte ich mir ein Tattoo am Hals machen lassen. Aber das hätte bedeutet, dass ich meinen Job verliere.» Durch illegalen Grasanbau, vier Jahre in Kalifornien und zwei Jahre in Oregon, verdiente er in einer Woche so viel wie in Dresden im Monat.

«Im Vergleich zu Deutschland war das die totale Freiheit und der totale Männerjob. Und kiffen konnte ich, so viel ich wollte. Ich erinnere mich wie heute an den ersten Tag, als der Typ mir eine grosse Halle aufschob, die voll mit Marihuana-Stapeln war. Tonnen! Alles für den Schwarzmarkt.» Nach einer Anbausaison wusste sein Chef: Die Deutschen können arbeiten. Die weissen amerikanischen Arbeiter wurden vor die Tür gesetzt, und er und sein Freund wurden die Vorarbeiter für einen Trupp Mexikaner.

Das leichte Leben nahm ein Ende, als Philip nach Dresden zurückmusste, weil ein Kumpel von ihm wegen Grasanbau die Polizei im Haus hatte. «Irgendwie konnte ich das mit einem Anwalt deichseln. Die Situation war ziemlich verfahren. Mein guter alter Chef wollte mich nicht mehr. Als ich in die USA ging, hatte er enttäuscht von mir gesagt: ‚Du schmeisst dein Leben weg.‘ Sogar mein Handy wurde abgehört und ich musste mir ein neues kaufen, um ungestört telefonieren zu können.

Wo liegt eigentlich Guatemala?

Genau zu dieser Zeit bekam ich einen Anruf von einem Kumpel aus den USA, der in San Marcos am Lago Atitlan in Guatemala ein Hostel aufbauen wollte und mich fragte, ob ich Lust hätte, ihm dabei zu helfen. Das war 2016. Ich hab in meinem Leben schon immer Glück gehabt. Erst mal hab ich gegoogelt, wo Guatemala liegt, und einen Monat später, im Dezember, waren mein Kumpel und ich dort, genau zur High Season.» Fünf Jahre hat es ihn dort gehalten. «Wir haben die Gäste nach Strich und Faden verwöhnt, jeder bekam individuell nach seinen Wünschen sein Frühstück gemacht, wann er wollte. Das hat sich schnell rumgesprochen. Manchmal hatten wir 15 deutsche Gäste im Haus.»

An den See kam er damals so gut wie gar nicht. «Ich hab mal wieder von morgens bis abends geschuftet.» Das Leben teilte sich auf in drei Monate Guatemala und drei Monate USA. Die Monate dazwischen verbrachte er meistens in Mexiko. Aber irgendwann lohnte sich die Arbeit in den USA nicht mehr. Dort wurde Marihuana legalisiert und die Preise fielen ins Bodenlose.

«Also entschied ich mich für Guatemala, wo ich mich mehr und mehr zu Hause fühlte. Ich hatte in den USA genug Geld gemacht, um mich sorgenlos umschauen zu können.» Im Hostel gab es keine Arbeit mehr, weil es verkauft worden war. Im Dezember 2021 lief Philip gelangweilt durchs Zentrum von San Marcos und kam an einer Bäckerei vorbei, die von einer jungen Engländerin namens Becky geleitet wurde.

«Die ist von rechts nach links gesprungen vor lauter Arbeit und kam doch nicht rum. Da hab ich mir gedacht: ‚Vielleicht kann die mich brauchen?‘ Es war morgens und sie hatte grade Teig in der Hand, als sie sagte: ‚Ja, ich brauche jemanden, aber ich hab keine Zeit für deine Geschichten.‘»

Danke, Corona

«Also hab ich angefangen und den Tag durchgearbeitet, was immer mir möglich war. Als ich nachts das Haus verlassen wollte, hat mich die Polizei zurückgetrieben.» Becky liess ihn in einem Raum über der Bäckerei schlafen. Am nächsten Tag war wegen Corona hundertprozentiger Shutdown.

«Über ein Verkaufsfenster nach draussen hin durften wir verkaufen – als einziger Laden in der Strasse, weil Becky ihren Betrieb immer vorbildlich gesetzestreu geführt hatte.» Danke, Corona, hatte er gesagt, weil er einen Monat lang im Haus «mehr oder weniger eingeschlossen» war und genau das backen konnte, wozu er Lust hatte: Brot, Pizza, Croissants, Brezen. «Von so was hab ich schon immer geträumt. Morgens um acht standen die Leute Schlange, um bei uns kaufen zu können. Das war eine Zeit, da hab ich oft nur drei Stunden geschlafen.»

Seitdem ist Philip im Circles Café und Bakery geblieben. Philip meinte zu Becky: «Wir arbeiten jetzt zusammen. Zu zweit machen wir das klar hier!» Inzwischen managt Becky, die alleinerziehend ist, den Betrieb mit inzwischen 13 Mitarbeiterinnen – allesamt Indigene – und macht alles, was mit Einkauf zu tun hat, Philip schmeisst die Backstube.

Im Verkauf helfen sie beide. «Aber keiner von uns lässt sich den Chef raushängen. Wir arbeiten mindestens genauso viel wie die anderen, meistens mehr, das respektieren sie.»

Seine Leute, sagt er, werden gut bezahlt, bekommen vom ersten Tag an den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn von 3200 Quetzales (ca. 400 Euro) – an den sich aber so gut wie niemand hält, ungestraft –, dazu ein 13. und 14. Monatsgehalt, ausserdem Kranken- und Rentenversicherung. Je länger die Mitarbeiter dabeibleiben, desto höher steigt ihr Gehalt.

«Manche sind schon sechs Jahre bei uns, und jede Woche kommt einer, der bei uns arbeiten möchte.» Jeden Monat werden pro Mitarbeiter 200 Quetzales zurückgelegt, Geld, auf das sie ein juristisches Anrecht haben, wenn sie aus irgendeinem Grund mit der Arbeit aufhören und nicht nach dreimaliger Mahnung entlassen werden. Doch auch diese Vorschrift wird meist nicht eingehalten, so dass viele Guatemalteken ihr Recht vor Gericht erstreiten müssen – was in Guatemala noch schwieriger ist als in Deutschland. Ein Mitarbeiter, der 3200 Q bekommt, kostet ihn als Unternehmer 4050 Q. «Dieses Verhältnis ist deutlich günstiger als in Deutschland, wo du fast das Doppelte obendrauf zahlst.»

«Die Fairness, die ich von meinem Meister Stefan Miesner in Dresden gelernt habe, die versuche ich jetzt hier umzusetzen. Wir sind ein Team! Und wieder einmal hat mir mein Schutzengel geholfen, diesmal in Gestalt von Becky, die mir in Sachen Fairness eher noch was vormacht.»

Allmählich beruhigen sich Philips Lebenswogen ein wenig. Seine Freundin ist schwanger und will alles richtig machen, Hausgeburt mit Maya-Hebamme inklusive. «Ich hatte schon wieder hochfliegende Ideen», sagt er, aber jetzt ist erst mal ‚Vatersein‘ dran.»


Zu Teil 1

Zu Teil 2

Über

Bobby Langer

Submitted by cld on Mi, 04/05/2023 - 07:30
Bobby Langer

*1953, gehört seit 1976 zur Umweltbewegung und versteht sich selbst als «trans» im Sinn von transnational, transreligiös, transpolitisch, transemotional und transrational. Den Begriff «Umwelt» hält er für ein Relikt des mentalen Mittelalters und hofft auf eine kopernikanische Wende des westlichen Geistes: die Erkenntnis nämlich, dass sich die Welt nicht um den Menschen dreht, sondern der Mensch in ihr und mit ihr ist wie alle anderen Tiere. Er bevorzugt deshalb den Begriff «Mitwelt».