Ein Hofnarr bei einer neuen Partei

Durch Zufall erfuhr ich von der sich in Gründung befindenden Partei „Intergale Politik“ (IP). Da ich für 2 Monate im Zentrum Berns wohnte und mich Politik von jeher interessierte, entschloss ich mich, an der Versammlung vom 7. März 2011 der Regionalgruppe BE, VS, FR (deutsch)  im Calvinhaus teilzunehmen.
Ich wollte herausfinden, was die IP von der SVP oder einer Sekte unterscheidet.  


Folgendes hatte ich erlebt:
So gegen 19 Uhr suche ich im Calvinhaus den richtigen Saal. Etwa 10-15 Menschen sind schon da. Ich werde als Neuling erkannt und werde zu einem Tisch geführt, wo ich einen Klebstreifen mit meinem Vornamen beschrifte und auf meinen Pulli klebe. Daneben auf dem Tisch liegen weitere Namenschildchen für noch nicht eingetroffene Personen. Ich schaue mich um. „Aha, ich bin der einzige Frischling.“


Nachdem noch einige Nachzügler eingetroffen sind,  nach setzen wir uns auf die Stühle, die in der Raummitte in einem Quadrat angeordnet sind. Ein älterer Mann, anscheinend der Leiter der Gruppe, eröffnet die Versammlung. Er gibt das Wort gleich weiter an eine Frau, welche in der gegenüberliegenden Ecke sitz. Sie teilt uns Anwesenden mit, dass wir die Versammlung wie üblich mit Schweigen beginnen. Dieses Schweigen werde diesmal ergänzt durch einen Wunsch einer Teilnehmerin, den jene in die Stille geben würde. Wir sollten das Gehörte einfach auf uns wirken lassen.
Also sitzen wir und schweigen. Nach einer Weile äussert eine in indische Kleidung gehüllte Frau ihren Wunsch, der darin besteht, den Menschen in Libyen ganz viel Mut, Kraft und Durchhaltewillen zu senden. Dann noch einmal Stille.
Oh, ich hätte ganz grosse Lust, die Leiterin zu bitten, noch einmal eine Stille anzusetzen, in welche ich dann meinen Wunsch geben könnte. Mein Wunsch würde folgendermassen lauten: „Lasst uns der Frau mit der indischen Tunika ganz viel Klarheit und Bewusstheit schicken, damit sie von ihrem Helfersyndrom erlöst wird.“
Oh, ich hätte grosse Lust, den Wütenden zu spielen und empört zu sagen, dass dies sehr parteiisch gewesen sei, weil die armen von den Überschwemmungen betroffen Australier keine Kraft geschickt bekommen haben (vom Tsunami in Japan wusste zu jenen Zeitpunkt noch niemand). – Ich lasse es, da mich niemand gebeten hat, heute Abend hier den Hofnarren zu spielen.


Der Leiter erklärt uns den ersten wichtigen Punkt der Traktandenliste, nämlich eine Statutenänderung, über welche an der Gründungsversammlung vom 7. Mai 2011 abgestimmt werden soll. Im Wesentlichen geht es darum, ob die IP eine politische Partei oder eine politische Bewegung sein soll. Rund eine halbe Stunde wird kontrovers darüber diskutiert.
Wieder habe ich Lust, mich einzubringen und den Anwesenden drei Fragen zu stellen: „Wer mag gerne Rösti?“ – Handheben – „Wer mag gerne Schokolade?“ – Handheben – „Und wer mag gerne Rösti mit Schokolade?“ – Handheben.
Seltsam: Anscheinend mag die Mehrheit der Anwesenden Rösti mit Schokolade und stimmt dem vom Zentralvorstand vorgeschlagenen Sowohl-als-auch zu…


Nach diesem Parforceakt ist es wiederum an der Frau, welche die Stille geleitet hatte, die Anwesenden zu lockern. Sie bittet uns, die Stühle zurückzuschieben und uns in einem Kreis aufzustellen. Wer den Ball zugeworfen bekommt soll ein gleichklingendes Wort in die Mitte rufen und den Ball einem Anderen zuwerfen. Es beginnt mit „Maus“. „Haus“ und der Ball geht weiter.
„Aha, ich bin also in einer Spielgruppe gelandet.“ Gleich kamen mir 2-3 weiter Speile in den Sinn, die man so mit 20 Erwachsenen und einem kleinen Ball spielen könnte.
Ich halte mich zurück, diese Vorschläge in die Runde zu werfen, stelle meinen Stuhl wieder an den alten Ort und setze mich.  


Als nächstes werden Listen herumgereicht, mit deren Hilfe Sympathisanten und Neumitglieder geworben werden sollen. Während Einige die Listen ergänzen werden Freiwillige gesucht, welche die bereits vorhanden Institutionen und Personen anrufen.
Einmal mehr wundere ich mich: Wäre es nicht das Nächstliegende, mich, den einzigen Neuling im Saal, zu fragen, was mich bewegen würde beizutreten.


Nachdem auch dieses Traktandum abgearbeitet worden ist, wird ein Delegierter für den gesucht, welcher die Berner Regionalgruppe vertreten soll. Als erstes muss sich der Leiter für eine Peinlichkeit entschuldigen. In der Einladung zur schweizerischen Gründungsversammlung vom 7. Mai 2011 wurde der Name der heute Abend zu wählenden Person schon genannt. Die Anwesenden wären natürlich trotzdem frei, irgend ein Mitglied zu bestimmten. Es folgt eine ausführliche Rechtfertigung.
„Aha“, denke ich, „die IP funktioniert schon vor ihrer Gründung wie die anderen Parteien.“ Wieder schweige ich, denn ich will ja kein Spielverderber sein.
Nach einigem Palaver wird dann beschlossen, nicht nur eine sondern die schon benannte noch eine weitere Person in den Zentralvorstand zu delegieren und abzuwarten, ob der Zentralvorstand und die Gründungsversammlung dies akzeptieren werden.


Als nächtest wird eine Person gesucht, welche die Printmedien beobachtet und alles, was über die IP geschrieben wird, kopiert oder ausschneidet und sammelt. Nachdem sich niemand meldet, schlägt einer vor, man könnte ja das Medienbeobachtungsunternehmen Argus damit beauftragen. Die Nachfrage des Leiters nach den Kosten ergibt 120 Franken pro Monat. Mit dem Einwand „viel zu teuer - können wir uns nicht leisten“, sucht der Leiter weiter einen Freiwilligen als Medienbeobachter. Einer der wenigen jungen Anwesenden teilt mit, dass er im Geschäft bei einem anderen Medienbeobachtungsunternehmen schon ein Auftrag laufe und man wahrscheinlich für wenig Geld den Zusatzbegriff „Integrale Politik“ in den Auftrag einschliessen könne. Sein Vorschlag wird überhört.
Eine Frau fragt, was man den konkret tun müsse und wie viele Zeitungen man denn durchsehe müsse. Mindestens der Bund und die BZ müssten es schon sein, erklärt der Leiter, doch je mehr Zeitungen je besser. Der junge Mann meldet sich wieder zu Wort und sagt, dass der Auftrag an seinem Arbeitsplatz alle Schweizer Printmedien umfasst. Sein Vorschlag wird überhört.
Noch einmal bitte der Leiter darum, dass sich doch ein Freiwilliger melden möge, was denn auch geschieht.
„Aha“, denke ich, „es geht in dieser Gruppe also darum, es so zu machen, wie es geplant war, ums Erfahrungen sammeln, ums Spielen - nur, dass niemandem bewusst ist, dass gespielt wird.“


Eine Pause unterbricht die Versammlung. Ich ergreife die günstige Gelegenheit, um mich auf den Heimweg zu machen. Niemand hatte mit mir gesprochen. Und meine Frage konnte ich auch nicht stellen.
Daheim surfe ich nochmals die Seite der IP ab und forsche nach der Antwort auf meine ursprüngliche Frage. Enttäuscht stelle ich fest, dass sie „Nichts Wesentliches!“ lautet: Alle drei – die IP,  die SVP und die Sekten – haben Patentrezepte und „wissen“, wie es für uns alle funktioniert. Sie unterscheiden sich lediglich beim „wie“.


Fazit: Das einzige Bewusste, das ich diesem Abend erlebt hatte, war das Ballspiel – jeder im Raum war sich bewusst, dass gerade gespielt wurde.
15. April 2011
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