Pseudo-linke Neocons – die Antideutschen und die Linke

Die Magdeburger Tortenattacke auf Sahra Wagenknecht war für die Massenmedien eine klassische Steilvorlage – ausführlich und bisweilen hämisch wurde über das Ereignis selbst geschrieben und gesendet. Die Hintergründe interessierten dann schon weniger; nach Ende des Parteitags der Linken wurde das Thema größtenteils verdrängt. Nicht so auf den NachDenkSeiten, die den politischen Hintergrund des Täters im politischen Spektrum einer skurrilen Splittergruppe verorteten, die sich die „Antideutschen“ nennt. Wer sind diese Antideutschen? Und wofür oder wogegen sind sie eigentlich? Darüber sprach Jens Wernicke für die NachDenkSeiten mit dem Publizisten und Linken-Politiker Jules Jamal El-Khatib[*].

Herr El-Khatib, Sie sind einer der Journalisten, denen wir das Webportal „Die Freiheitsliebe“ verdanken, und waren als Delegierter auch auf dem Parteitag der Linkspartei vor Ort mit dabei. Können Sie mir sagen, was in und mit der Partei gerade geschieht? Da bewerfen Mitglieder oder Sympathisanten derselben die eigene Fraktionsvorsitzende mit einer Torte, weil diese angeblich eine furchtbare „Menschenfeindin“ sei. Sind Linke und Rechte jetzt plötzlich ein und dasselbe? Was geschieht hier? Und wieso soll ausgerechnet Sahra Wagenknecht eine Menschenfeindin sein?
Der Bundesparteitag der Linken sollte eigentlich ein Zeichen des Aufbruchs sein im Kampf gegen Rassismus und neoliberale Politik. Der Angriff auf Sahra Wagenknecht hat dieses Aufbruchssignal leider schon sehr früh schwer beschädigt.
Wichtig ist allerdings zu sagen, dass es sich bei den Angreifern nicht um Genossen oder Genossinnen aus der Partei gehandelt hat, sondern um Menschen aus dem Hardcore-Flügel der sogenannten Antideutschen. Während einer Sahra die Torte ins Gesicht warf, haben andere Flyer verteilt.
Es ist lohnenswert, sich anzuschauen, was dort geschrieben steht. Da wird erstens Sahra Wagenknechts eigene Aussage zum Gastrecht, von der sie sich klar distanziert hat, gleichgesetzt mit den Äußerungen der AfD, und zweitens ihre Kritik an der EU und den USA als „nationalistische Borniertheit“ eingestuft, wofür sogar Marx als Kronzeuge missbraucht wird.
Der erste Punkt ist, wenn man es wohlwollend formulieren will, nur eine unglaubliche Übertreibung. Weniger wohlwollend könnte man es Rufmord nennen, denn Sahra Wagenknecht ist tatsächlich Fraktionsvorsitzende der Partei, die als einzige geschlossen gegen alle Asylrechtsverschärfungen gestimmt hat und sich immer wieder klar gegen Abschiebungen positioniert. Ihre falschen Äußerungen zu Jahresbeginn hat sie widerrufen und dies auch am Wochenende in einer kämpferischen Rede verdeutlicht, als sie nicht nur Rassismus, sondern auch Abschiebungen verurteilte. Desweiteren hat die Linke sich auf dem Parteitag auch klar gegen alle Formen von Obergrenzen und Abschiebungen gestellt.
Der zweite Punkt offenbart, wie wenig die Tortenwerfer mit linker Politik zu tun haben. Wer im Angesicht der amerikanischen Bomben, die in den letzten Jahren in immer mehr Ländern niedergingen, und der Drohneneinsätze, die zu unzähligen zivilen Toten führen, Kritik an der US-Politik als „nationale Borniertheit“ bezeichnet, der hat mit linker internationalistischer Politik schlicht nichts zu tun. Diese muss sich klar gegen Krieg und Terror stellen. Überhaupt ist das eins der Merkmale dieser sogenannten Antideutschen, die sich selbst als „links“ verstehen: Sie bedienen auf widerlichste Art und Weise Militarismus und Krieg, geben dies aber mittels intellektueller Verdrehungen als „Antirassismus“ oder „Friedenspolitik“ aus. Man stelle sich einmal vor: Wer die USA kritisiert, der ist für sie Nationalist und also eigentlich schon Nazi, von dem ein potentieller neuer Faschismus ausgeht!
Die dritte Lüge ist die Behauptung, Sahra Wagenknecht würde die Fluchtursachen aus nationalistischen Motiven bekämpfen. Wie man aber den Wunsch, dass Kriege und neoliberale Freihandelsabkommen ihr Ende finden, als nationalistisch umdeuten kann, ist mir absolut unerklärlich, da dies linke Grundsätze sind.
Nein, Sahra Wagenknecht ist mit Sicherheit keine Rechte oder Menschenfeindin. Fraglich ist dies dagegen bei denjenigen, die Bomben auf andere Länder verteidigen und Kritik am Imperialismus als falsch bezeichnen.

Wer also Ross und Reiter und also die Kriegstreiber dieser Welt als solche benennt, der wird selbst zum Kriegstreiber und also Feind erklärt?
Nicht ganz, zumindest nicht als Kriegstreiber, denn Teile der Antideutschen äußern durchaus Verständnis für Kriege, sei es nun der Irakkrieg oder der israelische Angriff auf Gaza. Aber das Feindbild ist klar, alles was nicht dem ach so toleranten Westen angehört, wird erstmal skeptisch beäugt. Auch bei Kriegen wird mit doppeltem Maß gemessen: die russischen Bomben auf Syrien werden berechtigterweise kritisiert, die amerikanischen dagegen als humanistische Hilfe dargestellt. Dabei treffen beide „Interventionen“ die Bevölkerung und ob man nun durch eine Bombe der USA, Frankreichs oder Russlands stirbt, ist den Familien der toten Zivilisten ziemlich egal.
Noch schlimmer ist es bei der EU und Kritik an dieser. Die EU wird unverfroren als Projekt der Toleranz und des Internationalismus verkauft, während gleichzeitig Frontex dafür sorgt, dass Flüchtlinge nicht nach Europa können und eine eigene Armee geschaffen wird.
Aus diesem Grund greifen Sie dann auch Sahra Wagenknecht an, die eine durchaus berechtigte Kritik an der EU und ihren neoliberalen Verträgen äußert. Das ist ihr dritter – der zweite waren ja die Bomben – Punkt: Während Millionen Menschen im Süden Europas ihre Arbeitsplätze oder Wohnungen aufgrund des Troika-Diktats verloren haben, wird die EU als ein Hort des Fortschritts dargestellt, ein Projekt des Internationalismus, ein Ort des Friedens. Tatsächlich jedoch ist sie ein militaristisches, undemokratisches und neoliberales Staatenbündnis. Das zeigt deutlich, wie diese vermeintlich linke fortschrittliche Kritik die realen Gegebenheiten und Folgen der EU ignoriert, eine linke Kritik kann aber nicht ignorieren, wenn in einem Land Hunderttausende hungern, eine linke Kritik muss deutlich machen: wir brauchen ein internationalistisches Bündnis, eines der progressiven Kräfte, das den Neoliberalismus hinwegfegt.

Inwiefern?
Lassen Sie mich mit einem Verweis auf zwei Autoren antworten, die die sogenannten „intellektuellen Prämissen“ dieser Antideutschen bereits vor Jahren seziert und widerlegt haben. Michael Sommer und Susann Witt-Stahl schreiben:
„Der Faschismus war eine antikapitalistische Revolte, und die Naziterroristen des NSU sind ein Erbe des real existierenden Sozialismus. Diese und andere Ergebnisse der heutigen Faschismusdebatte muten – gelinde gesagt – irritierend an. Was aber ist der Faschismus? Der Streit darüber ist so alt wie er selbst. Und ebenso lange gilt, was der Faschismusforscher Reinhard Opitz Mitte der 1970er Jahre festhielt: ‚Die Diskussion um den Faschismusbegriff ist alles andere als eine abseitig akademische Debatte. Sie ist ein Teil des politisch-ideologischen Kampfes zwischen den antidemokratischen und den demokratischen Kräften.‘ (…)
Friedrich August von Hayek – einer der exponiertesten Vertreter des Neoliberalismus – schrieb 1944 in seinem Buch ‚Der Weg zur Knechtschaft‘, der Grund für den Sieg des Faschismus liege gerade nicht in einer ‚kapitalistischen Reaktion gegen das Fortschreiten des Sozialismus‘. ‚Im Gegenteil‘, meinte er, ‚die Kraft, die diese Gedanken zur Macht brachte, kam vielmehr gerade aus dem sozialistischen Lager. Sicherlich verhalf ihnen nicht die Bourgeoisie, sondern gerade das Fehlen einer starken Bourgeoisie zur Macht.“

Gemeinsam haben Hayek und der Hardcore-Flügel der Antideutschen die Sicht: „Faschismus ist ein Projekt des Sozialismus“. Dabei ist das Gegenteil der Fall, der Faschismus ist nicht ein Projekt des Sozialismus, sondern ein Mittel um die Arbeiterbewegung zu zerschlagen.
„Die proletarische Revolution bedeutet die Zerstörung des bürgerlichen Staatsapparates und damit die Aufhebung des bürgerlichen Staates überhaupt. Die faschistische Konterrevolution ist die Verselbständigung der bürgerlichen Exekutivgewalt, die Stärkung des bürgerlichen Staatsapparates“, schrieb etwa die Plattform der kommunistischen Opposition im Jahr 1930.
Oder ein weiteres Zitat, diesmal von Trotzki: „Der deutsche wie der italienische Faschismus stiegen zur Macht über den Rücken des Kleinbürgertums, das sie zum Rammbock gegen die Arbeiterklasse und die Einrichtungen der Demokratie zusammenpressten. Aber der Faschismus, einmal an der Macht, ist alles andere als eine Regierung des Kleinbürgertums“.

Die, wenn man sich mit der Materie ein wenig beschäftigt, ja nicht nur „Juchu!“ schreien, sobald es um Krieg, der vermeintlich um der Menschenrechte willen geführt werden soll, geht… Nein, von denen Ihre Partei in Teilen inzwischen auch regelrecht unterwandert zu sein scheint. „Von innen umzingelt“ titelt etwa Jens Mertens seinen geistreichen Kommentar im Hintergrund-Magazin.
Jens Mertens nennt einige wichtige Daten und Fakten. Zum Verständnis dieser Politik braucht es aber Klarheit darüber, was die antideutsche Strömung heute ausmacht. Das ist zum einen die bedingungslose Solidarität mit Israel und den USA, sowie eine Ablehnung von antiimperialistischen Positionen, da diese als reaktionär gelten und ein positiver Bezug auf die sogenannten westlichen Werte, was bei dem Hardcore-Flügel auch zu mehr oder weniger offenem antimuslimischen Rassismus führt.
Auch sozialen Bewegungen, wie die Anti-TTIP-Bewegung oder Blockupy, steht diese Gruppe kritisch gegenüber, da sie diese als antiamerikanisch analysiert, statt den berechtigten und wichtigen Kampf gegen Freihandelsabkommen zu unterstützen. In der Partei „Die Linke“ sind inzwischen allerdings kaum Vertreter des Hardcore-Flügels. Diese befinden sicher eher in autonomen Gruppen oder verschiedenen losen Zusammenhängen.
Im Text von Mertens werden auch Personen wie Katja Kipping als Antideutsche bezeichnet. Diese Einschätzung mag früher zutreffend gewesen sein, würde ich aber heute strikt ablehnen, da sie nicht bedingungslos israelische Kriege unterstützt und sich klar zu Antikriegspositionen bekennt.
Ich würde sagen, der Anteil der Antideutschen, den wir innerhalb der Partei haben, ist in den letzten Jahren gesunken, was auch daran liegt, dass in der Linken mit offenen Pro-Kriegs-Positionen kein Meter gewonnen werden kann.
Deutlich wird dies auch in der Bundestagsfraktion, dort sind zwar durchaus Personen, die zu bestimmten Auslandseinsätzen eine Zustimmung fordern, dies geschieht allerdings weniger aus einer antideutschen, sondern eher aus einer reformistischen pro-Regierungsposition heraus.
Allerdings sind im Jugendverband noch ein paar offene Vertreter des Hardcore-Flügels, auch wenn ihr Einfluss schwindet.

Was ist über diese Antideutschen denn bekannt? Weiß man, wie sie sich organisieren und finanzieren? Woher gewinnen sie ihren Einfluss?
Ein Teil des soften Flügels, also diejenigen die sagen, im Zweifel stehen wir hinter Israel und den USA, aber lieber würden wir uns eigentlich für Frieden einsetzen, findet sich in der Linken. Der Hardcore-Flügel dagegen organisiert sich eher autonom oder teilweise in der Grünen Jugend.
Die Personenzahl der harten Antideutschen ist allerdings nicht wirklich hoch, ihr Gewicht gewinnen sie eher dadurch, dass ihre Stimmungsmache gegen den linken antiimperialistischen Flügel der Partei nur allzu gerne von den bürgerlichen Medien aufgegriffen wird.
So werden immer wieder Personen angegriffen und diffamiert, die sich beispielsweise gegen israelische Bombardements oder amerikanische Kriege aussprechen. Das geht teilweise so weit, dass selbst antizionistische israelische Filmemacher und Aktivisten von ihnen attackiert werden. Diese Angriffe werden dann nur allzu gerne von rechtskonservativen Zeitungen und Onlineportalen aufgegriffen, um die Linke und linke Bewegungen zu diffamieren.
Die feministische Aktivistin Laurie Penny hat allerdings gezeigt, wie mit einer solchen Art von „Politik“ umzugehen ist und einen mehr als lesenswerten Brief an die Antideutschen verfasst.
Da es keine wirklich großen bundesweiten antideutschen Strukturen gibt, mit Ausnahme von Onlineportalen, ist die Finanzierung relativ unklar. An einigen Universitäten lassen sie sich allerdings Veranstaltungen und Materialien über ASten finanzieren, an denen sie selbst beteiligt sind.

Gibt’s irgendeinen Trick, woran man die Antideutschen einfach erkennt? Und aber auch: Wie geht man als humanistischer Linker mit derlei Ideologie denn um? Was raten Sie?
Wenn man auf ner Demo ist und Leute mit Bannern wie „Bomber Harris, do it again!“ oder ähnlichem Schwachsinn sieht, dann kann man sich sicher sein, dass das Antideutsche sind. Ähnlich verhält es sich bei Facebook-Seiten, die immer mal wieder gerne alle Deutschen als Rassisten darstellen, anstatt die Ursachen von Rassismus zu untersuchen und deutlich zu machen, dass es eine Klassenperspektive braucht. Am deutlichsten wird es natürlich wenn gefordert wird, Deutschland solle aufgelöst und zwischen Polen und Frankreich aufgeteilt werden. Ungeniert wird dabei negiert, welcher Rassismus in beiden Ländern herrscht, wobei dies an Wahlergebnissen wohl mehr als deutlich ist.
Als Marxist bin ich vor allem erst einmal der Meinung, dass wir nicht Völker zum Gegenstand unserer Untersuchung oder unseres Bezugspunktes, ob nun positiv oder negativ, machen sollten, sondern Klassen. Das beste Mittel, um die pro-kriegs-Positionen zu bekämpfen, ist der Aufbau einer wirklichen Friedensbewegung, die sich klar gegen jede Form von Imperialismus und Rassismus stellt. Das zweite ist eine klare Orientierung auf soziale Bewegung und Aktivierung von Menschen aus der Arbeiterklasse, denn dort sind solche Ideen nicht sehr verbreitet. Schließlich ist die antideutsche Ideologie meist auch sehr skeptisch gegenüber sozialen Bewegungen und Klassenkämpfen eingestellt, da sie diesen antisemitische oder reaktionäre Tendenzen unterstellt.
Der dritte Punkt ist, dass wir in Bezug auf den Nahen Osten praktische Solidarität mit den dortigen Linken, israelisch wie palästinensisch aufbauen müssen, ihre Erfahrungen zeigen die Absurdität, wenn Deutsche meinen die Besatzung als links oder progressiv zu verkaufen. Das vierte ist, dass wir uns nicht einschüchtern lassen dürfen, wenn wir diffamiert werden, weil wir alle Kriege ablehnen, Kritik am Siedlungsbau und der Unterdrückung der Palästinenserinnen und Palästinenser üben oder die EU als neoliberales Projekt bezeichnen.
Wichtig ist, daher, dass wir mehr in Klassenkämpfe und soziale Bewegung eingreifen müssen und gleichzeitig klare antirassistische und antiimperialistische Positionen beziehen. Wir sollten aber deutlich machen, dass diejenigen, die ernsthaft der Meinung sind Bomben helfen oder sind etwas Positives, linke Positionen verlassen haben.
Allen anderen, die auf Grund der deutschen Geschichte erstmal einen zu positiven Bezug zur aktuellen israelischen Politik haben, sollten wir in Gespräche einbinden und in Kontakt mit Aktiven aus der Region bringen, die dort engagiert sind gegen Besatzung und Krieg.

Noch ein letztes Wort?
Ich bin froh, dass die Partei sich so klar gegen den Angriff auf Sahra gestellt und Sahra Wagenknecht gleichzeitig deutlich gemacht hat, dass sie aufsteht gegen jede Form von Rassismus.

Ich bedanke mich für das Gespräch.

Jules Jamal El-Khatib, geboren 1991, ist Autor für verschiedener linker Portale, Gründer der Freiheitsliebe sowie Landesvorstandsmitglied der Linken Nordrhein-Westfalen. Er wohnt in Essen.

Dieser Text erschien zuerst auf den "NachDenkSeiten - die kritische Website". Die Verwertung durch uns erfolgt im Rahmen der Creative Commons Lizenz 2.0 Non-Commercial, unter welcher er publiziert wurde.

16. Juni 2016
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