Sind wir Europäer Lemminge?

Am St. Petersburg International Economic Forum im Juni 2016 warnte Vladimir Putin uns Europäer, nicht zum ersten Mal1 zu den Raketenabwehrsystemen in Rumänien, welche die Nato unter dem Vorwand des vermeintlichen iranischen Nuklearwaffenprogramms dort stationiert haben, sagte er: „... Die USA erzählen Euch Märchen, welche ihr euren Bürgern weiter verbreitet. Euer Volk aber spürt die drohende Gefahr nicht - das ist was mir Sorgen macht. Wie könnt ihr nicht erkennen, dass die Welt in eine unumkehrbare Richtung gezogen wird. … Ich weiss nicht mehr, wie ich an Euch gelangen kann.“

Mit anderen Worten, ihr seid blind, taub und stumm. Ihr haltet Euch für informiert, aber ihr seht nicht, wie Amerika den Nahen Osten destabilisiert, wie die USA unseren Abrüstungsvertrag einseitig kündigt, wie sie in osteuropäischen Staaten Waffenbasen errichtet, deren Potential widerrechtlicherweise weit über eine Verteidigung ausgehen. Sie decken Euch mit Beschwichtigungen ein und ihr glaubt das. Putin n:„… Sie rechtfertigen es als Verteidigungssystem, als Waffen, welche nicht dem Zweck eines Angriffs dienen. Systeme, welche „Aggression verhindern“. … „Wie sollen wir wissen, welche Art von Geschossen dort drin ist? Man muss nur das Programm ändern. Das würde sehr schnell gehen, nicht einmal die Rumänische Regierung würde wissen, was vor sich geht. ... Niemand wird wissen, was gemacht wird, weder die Rumänen noch die Polen. Denken Sie, ich wäre nicht mit ihren Strategien vertraut? Aus meiner Sicht sind wir in grosser Gefahr. ...“

Vielleicht ist es nur seine Rechtfertigung, die russische Waffenindustrie wieder aufzubauen. Tatsache ist, dass die USA illegale Kriege in fremden Kontinenten führt(e), zu welchen Russland als Mitglied des UNO-Sicherheitsrates sein Einverständnis nicht gab.2


Putin ist kein Unschuldslamm, und er hat ein Land zu regieren und zu verteidigen, das unter harten wirtschaftlichen Sanktionen steht. Es bleibt ihm nicht viel anderes übrig, als mit Aufrüstung auf die Provokation zu reagieren. Die sogenannten amerikanischen Partner bauen zwischenzeitlich vor Russlands Grenzen weitere Stützpunkte mit Truppen und Waffen auf und lassen das Land wirtschaftlich ausbluten. Und wir, die Mitbewohner Russlands in Europa, lassen das zu und unterstützen die USA. Obama blendet uns in seinen letzten Wochen mit dem Besuch seiner „engen Freundin“ Angela Merkel diese Tage gerade nochmals. Kein Wort vom blutenden Russland, das trotz abgewendeter iranischer Gefahr weiter widerrechtlich von der Nato bedroht wird. Und kein Wort von den Konsequenzen, wenn Russland sich in die Enge gedrängt sieht. Wie verhält sich Russland im Konfliktfall?


Wissen wir wenigstens, was wir tun? Lasst uns einmal uns selbst hinterfragen. Wir haben uns in den letzten 70 Jahren vollkommen von der amerikanischen Haltung einnehmen lassen. Wirtschaftlich, geldpolitisch, geopolitisch, kulturell und im Alltag. Wir tragen ihre Kleidung, hören ihre Musik, sprechen wie sie, verbauen unsere ganze Landschaft nach ihren Vorbildern. Wir haben beinahe alles von den USA übernommen und schauen jeden Tag, was sie in ihrer grossen Misere für Possen machen. Dabei vergessen wir, dass Russland teilweise in Europa liegt. Wir haben einige Jahrhunderte gemeinsamer Geschichte, blutiger Geschichte. Auch vergessen wir, dass Russland weit mehr Opfer für uns oder wegen uns erbracht hat, als die USA. Im ersten Weltkrieg starben 1.8 Millionen Russen und 200’000 Amerikaner. Im 2. Weltkrieg starben ca. 27 Millionen Russen und etwa 400’000 Amerikaner. Trotzdem halten wir vorbehaltslos zur USA und stellen unser Leben in den Dienst ihrer Finanzprobleme.3


Und was tun wir für die Russen? Was sind wir ihnen schuldig? Gründet unsere „Freiheit“ eher auf den geopferten Leben gefallenen Amerikaner oder Russen?

Welche Freiheit? Medienfreiheit? Kein einziges Wort dieser russischen Warnung ist mir aus einer Zeitung oder einem Radio begegnet, obwohl namhafte Presseagenturen da waren. Putin hat recht. Momentan sind wir nicht erreichbar.



1    Mitschnitt Putins Rede am besagten Forum: https://www.youtube.com/watch?v=kqD8lIdIMRo

2     siehe Interview im Zeitpunkt 146 mit Daniele Ganser.
3    Yanis Varoufakis: Der globale Minotaurus. Verlag Antje Kunstmann 2012.
21. November 2016
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