Der Anfang hat begonnen

Um das Ausmass der Kreditkrise zu verstehen, muss man zwei Dinge kennen: die Geschichte vergangener Zusammenbrüche und den Zustand des Fundamentes unseres Systems. Genau dahin wollen die meisten Menschen nicht schauen. Es wäre zu unangenehm.    

 
Eigentlich könnten wir uns beim Zeitpunkt jetzt auf die Schulter klopfen. Wir haben es ja immer gesagt! Aber danach ist uns nicht zumute. Denn erstens ist die Krise noch längst nicht ausgestanden und zweitens wissen wohl nur ganz wenige, wie sie verlaufen wird. Ich gehöre jedenfalls nicht dazu.
Aber ein bisschen nachdenken kann nicht schaden, solange das Tempo der Veränderung noch Zeit dazu lässt. Denn es könnte plötzlich so schnell gehen, dass man erst wieder Zeit zum Nachdenken hat, wenn man in der langen, langen Schlange vor der Bank steht. Der Nachteil: Beim Warten kann man nicht handeln.
Zuerst also ein bisschen Geschichte: Finanzcrashs gab es immer wieder, und alle funktionieren nach demselben Muster: Der Staat macht Schulden über seine Verhältnisse und zahlt sie mit gedrucktem Geld zurück. Eine Idee, eine Erfindung schaltet die Spekulationshoffnungen der Menschen ein und alle Vorsichtsmassnahmen aus – die anderen handeln ja ebenso. Das «Geld» finanziert den spekulativen Aufschwung, die Erwartungen der Spekulanten werden erfüllt bis die Blase schliesslich in sich zusammenfällt. Weil es so einfach und wichtig ist, gleich nochmals: Schulden, Kunstgeld, Euphorie, Zusammenbruch – das ist der Ablauf aller Finanzkrisen, der Tulpen-, der Südsee-, der Internet- oder der Immobilienkrise.

Nicht alle Finanzkrisen reissen ein ganzes Land mit, aber schon die erste führte  1720 die damalige Grossmacht Frankreich an den Abgrund. Weil sie so typisch und mit einem Namen von grösster Symbolkraft verbunden ist – John Law – soll sie hier kurz erzählt werden. Als der Sonnenkönig Louis XIV 1715 starb, hinterliess er 2,4 Mrd. Livres Schulden und dies bei Steuereinnahmen von jährlich 160 Mio. Livres, von denen er allein 90 Mio. an Zinsen abführen musste. Die Schulden betrugen, einfach ausgedrückt, 30 Jahreslöhne! Da war guter Rat teuer, aber er tauchte auf in der Person des schottischen Gamblers John Law. Dieser wurde 1697 in England zum Tod verurteilt und trieb sich seither in Europas Spielbanken umher, wo er das beträchtliche Vermögen seines Vaters, eines Goldschmieds und Bankers, in den Sand setze. 1716 gründete Law zusammen mit dem Herzog von Orléans, der für den unmündigen Louis XV die königlichen Geschäfte führte, die Banque Générale, deren Banknoten durch die königlichen Ländereien und die zu erwartenden Steuereinnahmen (!) abgesichert waren. 1717 kaufte Law das Handelsmonopol über die nordamerikanischen Kolonien von einem Kaufmann und gründete die Mississippi-Kompanie. In Fahrt kam das Geschäft aber erst 1718, als die Banque Générale in eine königliche Bank umgewandelt wurde und Law hemmungslos ungedecktes Geld drucken konnte. Law versprach riesige Gewinne aus den zu erwartenden Bodenschätzen und der Kurs kletterte bis 1720 von 300 auf 20‘000 Livres, dann brach die ganze Euphorie zusammen, Law musste fliehen und starb 1729 verarmt in Venedig. Der Schaden traf nicht nur die Anleger, sondern ganz Frankreich, weil die Preise auch für Güter des Grundbedarfs um ein Mehrfaches anstiegen.

Die Parallelen zu heute sind unübersehbar: Auch heute wird das wichtigste Geld und die Reservewährung der Erde, der Dollar, von einer privaten Institution (dem amerikanischen Federal Reserve System) als Kredit aus dem Nichts geschöpft. Auch heute sind die Staatsschulden in einer Höhe, dass an eine Rückzahlung nicht zu denken ist. Um den hintersten und letzten Dollar in einen realen Wert umzuwandeln, müssten die Amerikaner rund 25 Jahre lang Sklavenarbeit leisten – undenkbar, nicht nur für ein Volk, das es sich gewohnt ist, auf Pump und finanziert vom Rest der Welt zu leben.
Was heute anders ist: Der Spekulationsstrudel hat die ganze Welt und das hinterletzte Altersguthaben erfasst. Alle sind Teil desselben globalisierten Systems mit schlecht ausgebauten nationalen Barrieren. Die Kontrollen, das muss man zugeben, sind in den letzten 300 Jahren besser geworden. Aber kontrolliert wird nicht die Nachhaltigkeit des Systems, sondern nur die Uniform der Matrosen auf diesem Riesendampfer, der in die komplett falsche Richtung fährt.
Die seit dem letzten Sommer laufende Krise der amerikanischen Immobilien ist nur die Spitze des Eisbergs, auf den die manövrierunfähige Titanic zusteuert. Ein paar zahlungsunfähige Einfamilienhausbesitzer in den USA können doch nicht den grossen Crash verursachen, von dem mitt-lerweile sogar Alan Greenspan in seiner gewohnt sibyllinischen Art spricht. Das Übel sitzt tiefer, in den Kellern der Zentralbanken. Dort sind die Kisten mit den Treasury Bills des amerikanischen Staates im Wert von mehreren Billionen Dollar aufbewahrt, die Sicherheit hinter dem Dollar und in geringerem und unterschiedlichem Ausmass hinter jeder Währung. Der Wert dieser verzinslichen Papiere ruht auf drei Säulen:
• Erstens muss der amerikanische Steuerzahler als Schuldner diese Papiere irgendeinmal wieder in reale Werte umwandeln können. Kann er nicht, wie wir oben festgestellt haben.
• Zweitens müssen diese Papiere handelbar sein, damit man sie in Geld umtauschen kann, wenn es Rechnungen zu bezahlen gilt. Geht auch nicht, wie wir weiter unten zeigen.
• Drittens müssen die Zinsen bezahlt werden. Das geht noch, aber der Glaube bei den grossen Gläubigern ist am Erodieren. Sie setzen auf den Euro. Dass die Treasury Bills verkäuflich sind, haben wir an dieser Stelle schon mehrmals bezweifelt. Kürzlich erhielt ich den Beweis dafür aus erster Hand, und zwar von einem Leser, der im Auftrag eines Organs des chinesischen Staates Treasury Bills im Wert von bloss zwei Milliarden Dollar bei den Amerikanern belehnen wollte. Die Zürcher Banker erhielten sowohl vom Fed, vom State Department, der Treasury und mehreren amerikanischen Banken schwammig formulierte aber letztlich glasklare Absagen. Die Burschen akzeptieren also ihre eigenen Versprechen nicht mehr als Sicherheiten. Alles klar? Die Situation ist im Moment die folgende: Die Big Shots wissen, dass der High Noon naht, sind aber offenbar noch nicht parat für den Showdown. Entweder rechnen sie damit, noch mehr Nonvaleurs in echte Werte umtauschen zu können oder das neue Geldsystem ist noch nicht operationell oder beides. In der Zwischenzeit pumpt die amerikanische Nationalbank munter Liquidität ins System, seit neustem mit der so genannten «Temporary Auction Facility» sogar ohne Information der Öffentlichkeit. Bis sich die Erkenntnis durchsetzt, dass der Dollar nichts und mit ihm viele Währungen wenig wert sind, haben wir also noch etwas Zeit. Fragen Sie mich nicht, wie Sie Ihre Schäfchen ans Trockene bringen. Was dauerhaften Lebenswert hat, ist auf jeden Fall besser als irgendetwas Papierenes oder Elektronisches. Gold ist für mich nur dritte Wahl. Die besten Lösungen wären felsenfeste basisdemokratische Verhältnisse und ein wasserdichtes Szenario, das den Crash auffangen könnte – Geld ist schliesslich ein Gesellschaftsvertrag. Weil das unwahrscheinlich ist, empfehle ich gute soziale Beziehungen, nicht zuletzt auch zu Bauern. Dann sind Sie gerüstet, wenn der Anfang aufhört.
Herzlich, Geni Hackmann 
28. Februar 2008
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