Haben wir uns schon an staatliche Bevormundung gewöhnt?
Sind die angekündigten «Lockerungen» nur ein Vorwand, um vom Sachverhalt abzulenken, dass die exekutiven, also vollziehenden Behörden längst den «Verlockungen» der absoluten Macht erlegen sind?
Der am vergangenen Donnerstag veröffentlichte «Appell an das demokratische Gewissen» (www.forum-ouverture.ch/appell) hat bereits einige Resonanz gefunden. Die entsprechende Website wurde mehrere hundert Mal aufgerufen und es trafen zahlreiche positive Rückmeldungen ein. Nicht ganz unerwartet fand der Aufruf hingegen bei den Medien bisher vergleichsweise wenig Beachtung.
Was kann ein «Appell an das demokratische Gewissen» so kurz vor dem für morgen Mittwoch angekündigten «Freudentag» also bewirken? Besteht jetzt nicht endlich Hoffnung auf ein Ende der Pandemie und somit auf eine Beendigung aller Massnahmen?
So berechtigt diese hoffnungsvolle Erwartungshaltung nach nahezu zweijährigem Ausnahmezustand auch sein mag, ist sie doch ein untrügliches Anzeichen dafür, in welchem Mass wir uns bereits an die staatliche Bevormundung gewöhnt haben.
Ehrlich gefragt: Ändert sich etwas an der Beziehung zwischen «Hündchen» und «Herrchen», wenn letzteres das «Stöckchen» etwas weniger weit wegwirft? Oder mit anderen Worten: Gibt es aktuell glaubwürdige Indizien für den überfälligen Krisenaustritt, d.h. für einen Ausstieg aus dem «Massnahmenmodus» durch die Beendigung der «besonderen Lage»?
Verhält es nicht eher so, dass wir gerade auf eine zeitlich unbefristete, also dauerhafte «endemische» Phase eingeschworen werden, in welcher nach Meinung von Virologen bereits im Februar Massnahmen zu treffen sind im Hinblick auf den kommenden Herbst?
An dieser Stelle ein Hinweis: Das BAG hat kurz vor der «pandemischen Zeitrechnung» ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, um die Aufgaben, Zuständigkeiten und Kompetenzen des Bundes in besonderen und ausserordentlichen Lagen gemäss dem Epidemiengesetz (EpG) zu analysieren.
Der Schlussbericht vom 31. August 2018 stellt unmissverständlich klar, dass eine unbefristete Kompetenzverschiebung zum Bund für die Dauer von mehr als einem Jahr dem verfassungsrechtlich verankerten Bundesstaatsprinzip widerspricht und somit keine gesetzliche Grundlage im EpG haben kann. Aus Gründen der Rechtssicherheit halten es die beauftragten Rechtsexperten zudem für notwendig, Beginn, voraussichtliche Dauer und Beendigung der besonderen Lage jeweils unmittelbar mit der Anordnung von Massnahmen durch den Bund förmlich festzustellen.
Weshalb wird das öffentliche Interesse an der Verfassungsmässigkeit des staatlichen Handelns von den zuständigen Behörden nicht respektiert? Weshalb verhallen bei ihnen Aufrufe der Zivilgesellschaft, ja sogar gerichtliche Entscheide, welche die Rückkehr zur verfassungsmässigen Grundordnung verlangen, zumeist ungehört?
Ein ungutes Gefühl stellt sich ein: Sind die angekündigten «Lockerungen» nur ein Vorwand, um vom Sachverhalt abzulenken, dass die exekutiven, also vollziehenden Behörden längst den «Verlockungen» der absoluten Macht erlegen sind? Halten sie sich deswegen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern gar nicht mehr für rechenschaftspflichtig in Bezug auf die Rechtmässigkeit ihres Handelns?
Richten sie ihr Handeln aus diesem Grund nicht an den konkreten Bedürfnissen von Individuen, sondern an den abstrakten «Interessen» eines Kollektivs aus? Anerkennen sie also in der Konsequenz nur das abstrakte Kollektiv als «rechtsfähige Person» an und sind sie letztlich sogar dazu bereit, jedes individuelle Mitglied der Gesellschaft (sogar ohne Angabe eines Grundes) für die angeblichen «Interessen» des Kollektivs zu opfern?
Der «Appell an das demokratische Gewissen» ist mit der Hoffnung verbunden, dass die bewusste Auseinandersetzung mit diesen Fragen den lebensbejahenden, kulturaufbauenden Weg in eine zukunftsfähige offene Gesellschaft wieder zu eröffnen vermag. Bleiben wir wachsam und verantwortungsvoll!
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Der Autor ist Urheber des interdisziplinären Appells an das demokratische Gewissen «Bleiben wir in guter Verfassung!»
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