Auf der Walz
Es ist kurz vor Weihnachten. In einem Dorf bei Olten gehen fünf Wandergesellen durch die Kälte der aufziehenden Winternacht. Einer von ihnen ist der damals 30-jährige Mättu aus Bern. Nach zweieinhalb Jahren Wanderschaft ist er nun auf dem Weg nachhause. «Ich bin kein Weitgereister,» sagt er bescheiden und wird mir gleich neun Länder nennen, in die ihn seine Wanderschaft führte. Nachdem er ein Jahr lang mit einem zugeteilten Altgesellen unterwegs gewesen war, machte sich der junge Zimmermann alleine auf die Socken. Zu zweit, sagt er, verlasse man sich zu sehr auf den Anderen, habe es nicht nötig, Leute kennenzulernen. Alle paar Wochen weiterzureisen und immer aufs neue nach Unterkunft und Arbeit zu fragen, verlangt den Wandergesellen viel ab. Mehr als einmal musste Mättu unter freiem Himmel übernachten. Auf kleine Annehmlichkeiten, wie Zelt oder Gaskocher, müssen die Wandergesellen dabei verzichten. Sie haben nur das, was sie am Leibe tragen und eine zweite Tracht in einer Kleiderrolle zusammengeschnürt, die man «Charly» nennt. Wenn die Gesellen früher in Berlin-Charlottenburg (deswegen auch «Charly») Arbeit annehmen wollten, mussten sie eine Kleiderrolle dabeihaben, um sich von herumstreichendem Gesindel zu unterscheiden.
Auch das Wanderbuch, dass jeder Geselle mit sich führt, hat eine lange Tradition. In früheren Zeiten diente es als Ersatz für die heute üblichen Dokumente, wie Pass oder Identitätskarte. Heute ist es mehr zum romantischen Accessoire geworden. Stempeln lassen es die jungen Männer aber noch heute. Der schönste Stempel: Kopenhagen. Auch Mättu hat auf seiner Wanderschaft viele Stempel bekommen. Deutschland, Slowenien, Baltikum, Spanien und Skandinavien – wie ist es, überall aufzufallen? Die Tracht sei ein Türöffner, bestätigt Mättu. «Wenn die Leute dich anstarren, lächelst du oder sagst etwas und schon ist das Eis gebrochen». Darauf, dass ihre Tracht immer sauber, das Hemd weiss und gebügelt ist, achten die Wandergesellen sehr. Sie haben eine zum Arbeiten und eine «Schöne». Sie zeigt nicht nur die Zusammengehörigkeit unter den Gesellen, sondern nimmt die jungen Männer auch in die Pflicht. Sich anständig zu benehmen ist dabei Ehrensache. Dramatische Folgen hatten Ausrutscher für die Wandergesellen früherer Jahrhunderte. Ihnen riss man den Ohrring weg, worauf sie lebenslänglich als «Schlitzohr» gebrandmarkt waren.
Schlechte Erfahrungen hat Mättu keine gemacht. Wohl aber die Menschen besser kennengelernt. «Leute, die selber wenig haben, geben gerne», erklärt er mir, so wie jene alleinerziehende Mutter in einem Vorort von Olten, die an einem frostigen Winterabend fünf fremden Männern Sandwiches mit «eme Gläsli Wisse» machte, bevor sich Mättu in der warmen Stube, zu seiner letzten Nacht auf Wanderschaft zusammenrollte.
Weitere Geschichten und Aufsätze zum Thema im Schwerpunktheft «Lebensreisen», erscheint am 25. Juni.
Auch das Wanderbuch, dass jeder Geselle mit sich führt, hat eine lange Tradition. In früheren Zeiten diente es als Ersatz für die heute üblichen Dokumente, wie Pass oder Identitätskarte. Heute ist es mehr zum romantischen Accessoire geworden. Stempeln lassen es die jungen Männer aber noch heute. Der schönste Stempel: Kopenhagen. Auch Mättu hat auf seiner Wanderschaft viele Stempel bekommen. Deutschland, Slowenien, Baltikum, Spanien und Skandinavien – wie ist es, überall aufzufallen? Die Tracht sei ein Türöffner, bestätigt Mättu. «Wenn die Leute dich anstarren, lächelst du oder sagst etwas und schon ist das Eis gebrochen». Darauf, dass ihre Tracht immer sauber, das Hemd weiss und gebügelt ist, achten die Wandergesellen sehr. Sie haben eine zum Arbeiten und eine «Schöne». Sie zeigt nicht nur die Zusammengehörigkeit unter den Gesellen, sondern nimmt die jungen Männer auch in die Pflicht. Sich anständig zu benehmen ist dabei Ehrensache. Dramatische Folgen hatten Ausrutscher für die Wandergesellen früherer Jahrhunderte. Ihnen riss man den Ohrring weg, worauf sie lebenslänglich als «Schlitzohr» gebrandmarkt waren.
Schlechte Erfahrungen hat Mättu keine gemacht. Wohl aber die Menschen besser kennengelernt. «Leute, die selber wenig haben, geben gerne», erklärt er mir, so wie jene alleinerziehende Mutter in einem Vorort von Olten, die an einem frostigen Winterabend fünf fremden Männern Sandwiches mit «eme Gläsli Wisse» machte, bevor sich Mättu in der warmen Stube, zu seiner letzten Nacht auf Wanderschaft zusammenrollte.
Weitere Geschichten und Aufsätze zum Thema im Schwerpunktheft «Lebensreisen», erscheint am 25. Juni.
21. Juni 2012
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