Geplanter Verschleiß als organisierter Betrug
Ob Drucker, Mobiltelefon oder Fernseher – bereits kurz nach Ablauf der Garantie sind viele Geräte reif für den Müll. Eine Reparatur lohnt sich nicht oder ist gar nicht erst möglich. Kalkuliert sorgen die Hersteller dafür, dass ihre Produkte frühzeitig kaputtgehen, damit wir Verbraucher mehr konsumieren. Sinnlose Müllberge und ein enormer Ressourcenverbrauch sind die Folge. Jens Wernicke sprach mit Christian Kreiß, der seit Langem zum Thema forscht und publiziert.
Herr Kreiß, das Thema „Geplante Obsoleszenz“ geistert immer wieder einmal durch die Medien, dennoch wissen wir viel zu wenig hiervon. Sie sind Autor eines der wichtigsten Bücher zum Thema. Um was geht es bei dieser „Obsoleszenz“?
Es geht darum, dass Hersteller verdeckt die ökonomische Haltbarkeit von Produkten verkürzen, so dass wir als Kunden vorzeitige Ersatzkäufe machen müssen. Das ist ein sehr effektives Absatzinstrument und eine Spielart der verdeckten Produktverschlechterung.
Wenn wir Kunden ein Produkt kaufen, erwerben wir im Normalfall die Nutzung des Gutes für eine bestimmte Zeit. Gelingt es dem Hersteller, die Haltbarkeit des Produktes zu verkürzen, ohne dass der Preis entsprechend gesenkt wird, steigt der Preis pro Nutzung. So eine verdeckte Preiserhöhung hat für den Hersteller den großen Vorteil, dass wir Kunden sie normalerweise nicht so leicht erkennen, weil es oft Jahre dauert, bis man es merkt.
Verstehe ich recht: Die Verbraucher werden also … raffiniert behumst?
Ja, betrogen, mittels eines ganz legalen Betrugssystems. Seit ungefähr 90 Jahren bekommen wir beispielsweise minderwertige Glühbirnchen, werden seit drei Generationen also mit schlechter Qualität über den Tisch gezogen. Denn 1926 beschlossen alle namhaften Glühbirnenhersteller in einem internationalen Kartell in Genf, die Lebensdauer der Glühbirnen ungefähr zu halbieren. Das hat über ein internes Kontroll- uns Strafensystem auch perfekt funktioniert und funktioniert auch heute noch. Die Vorgehensweise dazu kann man in den Akten nachlesen, das ist ganz offen bewiesen. Und dieses System wird auf ganz vielen Gebieten bis heute angewandt.
Früher hat man ganz anders darüber gesprochen. Zum Beispiel sagte ein führender Manager des großen US-Autobauers General Motors in den 20er Jahren: „Our big job is to hasten obsolescence“, unsere große Aufgabe ist die Verkürzung der Lebensdauer. Und bei General Electric hieß es in den 30er Jahren zur heimlichen Reduzierung der Produktlebensdauer etwa: „We are giving no publicity whatever to the fact“. Na logisch, wer wirbt schon mit: „Neu, unser neuestes Produkt hält jetzt kürzer!“ ?
Also die Strategie war ganz klar: Machen, aber ja nicht darüber reden, das würde den Umsatz killen. Einer der führenden US-Entwicklungsingenieure, Brooks Stevens, sagte schon 1958: „Our whole economy is based on planned obsolescence“. Das Betrugssystem ist also alt, etabliert und funktioniert bis heute einwandfrei.
Und wie müssen wir uns das genau vorstellen? Können Sie bitte beschreiben, wie derlei organisiert wird?
Ganz einfach. Angenommen im Markt für elektrische Rasierapparate gibt es zwei große Anbieter. Anbieter A hat die Idee, bei einer neuen Modellreihe billigeres Material zu verwenden, zum Beispiel Plastik statt Stahl. Das bringt ihm zwei Vorteile: 1. Kosteneinsparungen durch die billigeren Materialien: Dadurch gehen die Gewinne hoch. 2. Die Lebensdauer verkürzt sich um vielleicht ein Zehntel, also vielleicht um ein Jahr – das merkt kein Mann: oder wissen Sie noch, wann Sie Ihren Rasierer gekauft haben? – und wir Männer müssen uns früher einen Ersatzrasierer anschaffen. Dadurch geht der Umsatz hoch und die Gewinne steigen nochmal.
Ein Zahlenbeispiel dazu: Angenommen, ein elektrischer Rasierer kostet 100 Euro und hat eine Laufzeit von 2.000 Rasuren, dann kostet einmal rasieren 5 Cent. Wird die Laufzeit um 20 Prozent auf 1.600 Rasuren reduziert, dann steigt der Preis für einmal rasieren um satte 25 Prozent auf 6,25 Cent. Bei gleichbleibenden oder gar sinkenden Herstellkosten bedeutet das einen riesigen Anstieg der Gewinne. Das ist ein gigantischer Anreiz für Hersteller.
Konkurrent B sieht den Erfolg von Anbieter A und macht dasselbe. So wird das Spiel und werden dessen Regeln zum Normalfall und jeder konkurriert mit jedem um das beste Mitspiel-Ergebnis. Für uns bedeutet das, dass über viele Jahre hin die Lebensdauer der Produkte ständig leicht abnimmt, sodass sie sich zum Beispiel über einen Zeitraum von 20 Jahren halbiert.
Ja, aber auf sowas Primitives fallen die Kunden doch nicht herein – die wandern doch sofort ab zur Konkurrenz!
Es funktioniert natürlich nur, wenn wir Kunden es nicht merken, genauer: wenn wir nicht gescheit vergleichen können.
Stellen wir uns mal vor, wir wollen einen Staubsauger in einem großen Elektromarkt einkaufen. Wir schauen sie uns an und fragen uns, ob auf den Staubsaugern draufsteht:
Das müssten wir nämlich alles wissen, damit wir herausbekommen, was eigentlich eine Stunde staubsaugen tatsächlich kosten wird – wie hoch also die so genannten Total Costs of Ownership sind. Und nur wenn wir den Preis pro Nutzung wissen, können wir uns überhaupt vernünftig entscheiden und ggf. zur Konkurrenz abwandern. Wir wissen es aber nicht – und vom Konkurrenten wissen wir es genauso wenig. Der schreibt es ja auch nicht drauf. Und wo das Wasser so trübe ist, funktioniert die Strategie der verdeckten Preiserhöhung durch verdeckte Produktverkürzung eben wunderbar; weil wir Kunden ja sozusagen wehrlos dagegen sind.
Können Sie denn belegen, dass das irgendwer macht? Ein Beispiel, ein nachweisbares, wäre gut…
Na, nichts leichter als das. Schrauben Sie mal einen Laserdrucker auf und sehen sich den Toner bzw. den eingebauten Chip an. Der signalisiert zum Beispiel nach 2.500 Druckseiten „Toner leer“ und druckt daher nicht weiter. Stimmt aber gar nicht. Der Toner hat dann oft noch Saft für weitere 2.500 oder 5.000 Seiten. Man braucht nur den Chip neu zu programmieren, schon findet ein kleines Druckwunder statt. Zufall?
Oder versuchen Sie mal den Akku aus einer elektrischen Zahnbürste oder so manchem anderen Elektrogerät auszubauen, wenn er seinen Geist aufgegeben hat. Gerät funktioniert noch tadellos, da der Akku aber in aller Regel nicht austauschbar ist, liegt ein Totalschaden vor. Dummer Zufall? Zufällig wirken alle diese Phänomene immer zugunsten der Gewinne der Hersteller und zulasten der Geldbeutel der Verbraucher.
Eine kleine Anekdote hierzu auch noch: Auf einer wissenschaftlichen Tagung zu geplanter Obsoleszenz, auf der ich anwesend war, wurde der Vertreter der Stiftung Warentest gefragt, ob denn Stiftung Warentest diesen Vorwürfen mit den Chips nachgehe und einfach einmal Drucker aufschraube und nachsehe. Die Antwort war sinngemäß: Solchen unhaltbaren Gerüchten würde man aus Prinzip nicht nachgehen. Man hat also nichts aufgeschraubt. Dabei sind diese sogenannten Gerüchte hundertfach belegt, auch durch Reparatur-Profis. Merkwürdig. Und das von sogenannten Verbraucherschützern…
Und um was für Produkte geht es dabei?
Hauptsächlich um Haushalts-Elektroprodukte wie Kühlschränke, Bügeleisen, Glühbirnen oder Fernseher. Aber auch andere Produkte wie Kleidung, Möbel oder Schuhe sind davon betroffen. Ein Beispiel: Wenn Sie ein Sofa kaufen: Wissen Sie, wie viele Sitzstunden das hält? Oder bei einem Paar Schuhe? Oder beim Kauf einer Hose? Und solange wir das nicht wissen, ist es für den Hersteller im Zweifelsfall klüger, ein kürzer haltendes, billiger herzustellendes Produkt anzubieten. Der Hersteller darf natürlich nicht so dumm oder dreist sein, dass er sich durch Kurzlebigkeit von der Konkurrenz abhebt. Dann wird er durch Kundenabwanderung bestraft. Aber solange er diesen Fehler nicht macht, ist es eine lohnende Strategie.
Geben Sie doch bitte noch ein wenig „Butter zu die Fische“… Hat man Hersteller schon bei derlei „ertappt“? Was ist in Summe bekannt und nachweisbar? Gibt es Beispiele von verschiedenen Geräten, bei denen die Problematik besonders deutlich wird?
Das Problem ist: Die Absicht kann man dem Hersteller nie nachweisen, nur die Ergebnisse ihres Tuns. Und sie behaupten natürlich stets, wenn es einmal zum Thema kommt, dass alles eben keine Absicht sei; das müssen sie auch, denn sonst würden sie verknackt.
Zusätzlich zu den Glühbirnen und Druckern mit den eingebauten Chips, zu nicht auswechselbaren Akkus und horrend teuren oder sogar verunmöglichten Reparaturen gibt es als Beispiel vor allem noch die geplante und gemachte „Inkompatibilität“ unter Produkten, wie sie etwa Wolfgang Heckl, der Chef des Deutschen Museums, humorvoll in seinem Buch „Die Kultur der Reparatur“ skizziert. Geplante Inkompatibilität heißt, dass nachfolgende Produktgenerationen nicht mit den vorherigen zusammenpassen, dass zum Beispiel die Bauteile der neuen Produkte nicht zum Reparieren der alten verwendet werden können – mit Absicht laut Heckel.
Und erwähnenswert in diesem Kontext ist auch noch die Resolution der 140 deutschen Repair-Cafés vom 11. Oktober 2014 in München, in der es heißt: „Geplanter Verschleiß ist kein Mythos. Bei jeder Reparatur-Aktion entdecken wir Schwachstellen an elektrischen und elektronischen Geräten, ebenso an Gehäusen, die nicht oder nur sehr schwer zu öffnen sind.“ Damit ist gemeint, dass gewollt falsch dimensionierte beziehungsweise fehlplatzierte Eletrolytkondensatoren für schätzungsweise zwei Drittel aller Bildschirmausfälle verantwortlich sind. Eine Tatsache, die zigfach nachgewiesen worden ist.
Die Debatte zum Thema wird ja wirklich heiß geführt und Kritiken wie der Ihren dabei ein Denken in „Verschwörungstheorien“ testiert – ein Stigma, nachdem weiteres Argumentieren in aller Regel gar nicht mehr lohnt, da man sozusagen als Spinner diskreditiert worden ist. So bezeichnete etwa Andreas Hirstein in der NZZ „geplante Obsoleszenz im Sinne einer gezielten Produkte-Selbstzerstörung zur Ankurbelung des Konsums“ als moderne Legende. Er argumentiert, dass Hersteller eine Abwägung zwischen Lebensdauer und Preis auf der einen sowie Zahlungsbereitschaft der Kunden auf der anderen Seite treffen müssten. Und auch eine Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes kam zu dem Schluss, dass derlei Probleme … nun ja, eigentlich nicht wirklich vorhanden seien.
Das stimmt leider. Marktgläubige Menschen wie Andreas Hirstein gehen dabei implizit von transparenten Märkten aus, die es in Wirklichkeit jedoch kaum jemals gibt. Eliminiert man diese Voraussetzung aber – was die Realität de facto deutlich besser beschreibt -, bricht auch schon die ganze Argumentation in sich zusammen – genau wie die des führenden wissenschaftlichen Referenzartikels zu geplanter Obsoleszenz von Jeremy Bulow aus dem Jahre 1986: Eine völlig weltfremde Theorie mit völlig falschen Ergebnissen, die jedoch ständig zitiert wird und dazu führt, dass man geplanten Verschleiß als „Legende“ und also Märchen abstempelt. Sehr praktisch für die Gewinnlage der Großkonzerne.
Zur Studie des Umweltbundesamtes nur soviel: Ich kann Ihnen gern einmal ein paar Zitate aus der 104 Seiten umfassenden Studie vom Februar 2015 vorlesen, die man eben auch ganz anders zu lesen vermag als dies üblicherweise geschieht: „Das Durchschnittsalter ‚kaputter Geräte‘ beträgt in den Jahren 2012/113 12,5 Jahre, in den Jahren 2004 und 2008 lag dies noch bei 13,9 bzw. 13,5 Jahren.“ Oder: „Außerdem kann der Tabelle 8 entnommen werden, dass alle Haushaltsgroßgeräte (…) in 2012/13 etwas früher aufgrund eines Defektes (…) getauscht werden mussten als im Jahre 2004.“ Und noch eindeutiger: „Zwischen 2004 und 2012 stieg der Anteil der Haushaltsgroßgeräte, die nach weniger als 5 Jahren aufgrund eines Defektes ausgetauscht werden mussten, von 3,5 Prozent auf 8,3 Prozent der Gesamtersatzkäufe“. Das zeigt doch deutlich, dass die Qualität von Neugeräten deutlich gesunken ist: Statt 3,5 Prozent wie 2004 gehen acht Jahre später bereits mehr als doppelt so viele in den ersten 5 Jahren kaputt. Qualitätsoase Deutschland? Made in Germany? Ein Witz.
Wer genau gewinnt eigentlich durch geplante Obsoleszenz?
Durch gezielte, verdeckte Verkürzung der Produktlebenszeit steigen, wie oben erwähnt, die Konzerngewinne und damit die Rendite auf das eingesetzte Kapital. Nutznießer sind deshalb vor allem die Aktionäre der Großunternehmen. Das Eigentum an Unternehmen ist sehr ungleich verteilt. So sind beispielsweise nur 10 Prozent der deutschen Bevölkerung im Besitz von Betriebsvermögen, nur etwa 11 Prozent der deutschen Haushalte besitzen Aktien. Dabei ist die Eigentumskonzentration an der Spitze besonders stark. So kontrollieren in Deutschland laut dem Historiker Wehler 7700 Haushalte, das sind 0,02 Prozent aller deutschen Haushalte, über die Hälfte des deutschen Betriebsvermögens. Ähnlich ungleiche Verteilungsverhältnisse finden sich in fast allen anderen Ländern der Erde.
Die Vertriebsstrategie „Geplante Obsoleszenz“ könnte man daher als eine Besteuerung aller Verbraucher zu Gunsten der kleinen Schicht der Kapitaleigentümer von Großunternehmen ansehen, das erhebliche Kollateralschäden für die Umwelt bewirkt. Ein absurdes, aber sehr stabiles System.
Und was tun wir als Verbraucher nun am besten? Was raten Sie?
Nicht nur auf den Preis schauen, weniger „Geiz ist geil“-Mentalität, sich auf Internet-Portalen und in Fachzeitschriften informieren. Aber gute Infos über die tatsächlichen Nutzungskosten pro Einheit gibt es fast nirgends.
Und: Jeder von uns hat im Durchschnitt an die 10.000 Produkte zu Hause. Da können wir uns fragen: Brauche ich die wirklich? Man könnte etwa sinnieren über dem Satz: „Wo kann ich auf Unnötiges verzichten?“ Wenn man das lange Zeit über macht, kann langsam eine neue Kultur im Umgang mit den uns anvertrauten Dingen entstehen. Das wäre wunderbar.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Christian Kreiß, Jahrgang 1962, studierte Volkswirtschaftslehre und promovierte in München über die Große Depression 1929 bis 1932. Nach neun Jahren Berufstätigkeit als Bankier in verschiedenen Geschäftsbanken, davon sieben Jahre als Investment Banker, unterrichtet er seit 2002 als Professor an der Hochschule Aalen Finanzierung und Wirtschaftspolitik. Er ist Autor dreier Bücher und zahlreicher Veröffentlichungen.
Es geht darum, dass Hersteller verdeckt die ökonomische Haltbarkeit von Produkten verkürzen, so dass wir als Kunden vorzeitige Ersatzkäufe machen müssen. Das ist ein sehr effektives Absatzinstrument und eine Spielart der verdeckten Produktverschlechterung.
Wenn wir Kunden ein Produkt kaufen, erwerben wir im Normalfall die Nutzung des Gutes für eine bestimmte Zeit. Gelingt es dem Hersteller, die Haltbarkeit des Produktes zu verkürzen, ohne dass der Preis entsprechend gesenkt wird, steigt der Preis pro Nutzung. So eine verdeckte Preiserhöhung hat für den Hersteller den großen Vorteil, dass wir Kunden sie normalerweise nicht so leicht erkennen, weil es oft Jahre dauert, bis man es merkt.
Verstehe ich recht: Die Verbraucher werden also … raffiniert behumst?
Ja, betrogen, mittels eines ganz legalen Betrugssystems. Seit ungefähr 90 Jahren bekommen wir beispielsweise minderwertige Glühbirnchen, werden seit drei Generationen also mit schlechter Qualität über den Tisch gezogen. Denn 1926 beschlossen alle namhaften Glühbirnenhersteller in einem internationalen Kartell in Genf, die Lebensdauer der Glühbirnen ungefähr zu halbieren. Das hat über ein internes Kontroll- uns Strafensystem auch perfekt funktioniert und funktioniert auch heute noch. Die Vorgehensweise dazu kann man in den Akten nachlesen, das ist ganz offen bewiesen. Und dieses System wird auf ganz vielen Gebieten bis heute angewandt.
Früher hat man ganz anders darüber gesprochen. Zum Beispiel sagte ein führender Manager des großen US-Autobauers General Motors in den 20er Jahren: „Our big job is to hasten obsolescence“, unsere große Aufgabe ist die Verkürzung der Lebensdauer. Und bei General Electric hieß es in den 30er Jahren zur heimlichen Reduzierung der Produktlebensdauer etwa: „We are giving no publicity whatever to the fact“. Na logisch, wer wirbt schon mit: „Neu, unser neuestes Produkt hält jetzt kürzer!“ ?
Also die Strategie war ganz klar: Machen, aber ja nicht darüber reden, das würde den Umsatz killen. Einer der führenden US-Entwicklungsingenieure, Brooks Stevens, sagte schon 1958: „Our whole economy is based on planned obsolescence“. Das Betrugssystem ist also alt, etabliert und funktioniert bis heute einwandfrei.
Und wie müssen wir uns das genau vorstellen? Können Sie bitte beschreiben, wie derlei organisiert wird?
Ganz einfach. Angenommen im Markt für elektrische Rasierapparate gibt es zwei große Anbieter. Anbieter A hat die Idee, bei einer neuen Modellreihe billigeres Material zu verwenden, zum Beispiel Plastik statt Stahl. Das bringt ihm zwei Vorteile: 1. Kosteneinsparungen durch die billigeren Materialien: Dadurch gehen die Gewinne hoch. 2. Die Lebensdauer verkürzt sich um vielleicht ein Zehntel, also vielleicht um ein Jahr – das merkt kein Mann: oder wissen Sie noch, wann Sie Ihren Rasierer gekauft haben? – und wir Männer müssen uns früher einen Ersatzrasierer anschaffen. Dadurch geht der Umsatz hoch und die Gewinne steigen nochmal.
Ein Zahlenbeispiel dazu: Angenommen, ein elektrischer Rasierer kostet 100 Euro und hat eine Laufzeit von 2.000 Rasuren, dann kostet einmal rasieren 5 Cent. Wird die Laufzeit um 20 Prozent auf 1.600 Rasuren reduziert, dann steigt der Preis für einmal rasieren um satte 25 Prozent auf 6,25 Cent. Bei gleichbleibenden oder gar sinkenden Herstellkosten bedeutet das einen riesigen Anstieg der Gewinne. Das ist ein gigantischer Anreiz für Hersteller.
Konkurrent B sieht den Erfolg von Anbieter A und macht dasselbe. So wird das Spiel und werden dessen Regeln zum Normalfall und jeder konkurriert mit jedem um das beste Mitspiel-Ergebnis. Für uns bedeutet das, dass über viele Jahre hin die Lebensdauer der Produkte ständig leicht abnimmt, sodass sie sich zum Beispiel über einen Zeitraum von 20 Jahren halbiert.
Ja, aber auf sowas Primitives fallen die Kunden doch nicht herein – die wandern doch sofort ab zur Konkurrenz!
Es funktioniert natürlich nur, wenn wir Kunden es nicht merken, genauer: wenn wir nicht gescheit vergleichen können.
Stellen wir uns mal vor, wir wollen einen Staubsauger in einem großen Elektromarkt einkaufen. Wir schauen sie uns an und fragen uns, ob auf den Staubsaugern draufsteht:
- Wie lange halte ich?
- Kann man mich reparieren (bin ich verklebt oder verschraubt)?
- Gibt es für mich nach 3 Jahren noch Ersatzteile?
- Was kosten meine Ersatzteile?
- Was kostet meine Reparatur in 3 Jahren?
Das müssten wir nämlich alles wissen, damit wir herausbekommen, was eigentlich eine Stunde staubsaugen tatsächlich kosten wird – wie hoch also die so genannten Total Costs of Ownership sind. Und nur wenn wir den Preis pro Nutzung wissen, können wir uns überhaupt vernünftig entscheiden und ggf. zur Konkurrenz abwandern. Wir wissen es aber nicht – und vom Konkurrenten wissen wir es genauso wenig. Der schreibt es ja auch nicht drauf. Und wo das Wasser so trübe ist, funktioniert die Strategie der verdeckten Preiserhöhung durch verdeckte Produktverkürzung eben wunderbar; weil wir Kunden ja sozusagen wehrlos dagegen sind.
Können Sie denn belegen, dass das irgendwer macht? Ein Beispiel, ein nachweisbares, wäre gut…
Na, nichts leichter als das. Schrauben Sie mal einen Laserdrucker auf und sehen sich den Toner bzw. den eingebauten Chip an. Der signalisiert zum Beispiel nach 2.500 Druckseiten „Toner leer“ und druckt daher nicht weiter. Stimmt aber gar nicht. Der Toner hat dann oft noch Saft für weitere 2.500 oder 5.000 Seiten. Man braucht nur den Chip neu zu programmieren, schon findet ein kleines Druckwunder statt. Zufall?
Oder versuchen Sie mal den Akku aus einer elektrischen Zahnbürste oder so manchem anderen Elektrogerät auszubauen, wenn er seinen Geist aufgegeben hat. Gerät funktioniert noch tadellos, da der Akku aber in aller Regel nicht austauschbar ist, liegt ein Totalschaden vor. Dummer Zufall? Zufällig wirken alle diese Phänomene immer zugunsten der Gewinne der Hersteller und zulasten der Geldbeutel der Verbraucher.
Eine kleine Anekdote hierzu auch noch: Auf einer wissenschaftlichen Tagung zu geplanter Obsoleszenz, auf der ich anwesend war, wurde der Vertreter der Stiftung Warentest gefragt, ob denn Stiftung Warentest diesen Vorwürfen mit den Chips nachgehe und einfach einmal Drucker aufschraube und nachsehe. Die Antwort war sinngemäß: Solchen unhaltbaren Gerüchten würde man aus Prinzip nicht nachgehen. Man hat also nichts aufgeschraubt. Dabei sind diese sogenannten Gerüchte hundertfach belegt, auch durch Reparatur-Profis. Merkwürdig. Und das von sogenannten Verbraucherschützern…
Und um was für Produkte geht es dabei?
Hauptsächlich um Haushalts-Elektroprodukte wie Kühlschränke, Bügeleisen, Glühbirnen oder Fernseher. Aber auch andere Produkte wie Kleidung, Möbel oder Schuhe sind davon betroffen. Ein Beispiel: Wenn Sie ein Sofa kaufen: Wissen Sie, wie viele Sitzstunden das hält? Oder bei einem Paar Schuhe? Oder beim Kauf einer Hose? Und solange wir das nicht wissen, ist es für den Hersteller im Zweifelsfall klüger, ein kürzer haltendes, billiger herzustellendes Produkt anzubieten. Der Hersteller darf natürlich nicht so dumm oder dreist sein, dass er sich durch Kurzlebigkeit von der Konkurrenz abhebt. Dann wird er durch Kundenabwanderung bestraft. Aber solange er diesen Fehler nicht macht, ist es eine lohnende Strategie.
Geben Sie doch bitte noch ein wenig „Butter zu die Fische“… Hat man Hersteller schon bei derlei „ertappt“? Was ist in Summe bekannt und nachweisbar? Gibt es Beispiele von verschiedenen Geräten, bei denen die Problematik besonders deutlich wird?
Das Problem ist: Die Absicht kann man dem Hersteller nie nachweisen, nur die Ergebnisse ihres Tuns. Und sie behaupten natürlich stets, wenn es einmal zum Thema kommt, dass alles eben keine Absicht sei; das müssen sie auch, denn sonst würden sie verknackt.
Zusätzlich zu den Glühbirnen und Druckern mit den eingebauten Chips, zu nicht auswechselbaren Akkus und horrend teuren oder sogar verunmöglichten Reparaturen gibt es als Beispiel vor allem noch die geplante und gemachte „Inkompatibilität“ unter Produkten, wie sie etwa Wolfgang Heckl, der Chef des Deutschen Museums, humorvoll in seinem Buch „Die Kultur der Reparatur“ skizziert. Geplante Inkompatibilität heißt, dass nachfolgende Produktgenerationen nicht mit den vorherigen zusammenpassen, dass zum Beispiel die Bauteile der neuen Produkte nicht zum Reparieren der alten verwendet werden können – mit Absicht laut Heckel.
Und erwähnenswert in diesem Kontext ist auch noch die Resolution der 140 deutschen Repair-Cafés vom 11. Oktober 2014 in München, in der es heißt: „Geplanter Verschleiß ist kein Mythos. Bei jeder Reparatur-Aktion entdecken wir Schwachstellen an elektrischen und elektronischen Geräten, ebenso an Gehäusen, die nicht oder nur sehr schwer zu öffnen sind.“ Damit ist gemeint, dass gewollt falsch dimensionierte beziehungsweise fehlplatzierte Eletrolytkondensatoren für schätzungsweise zwei Drittel aller Bildschirmausfälle verantwortlich sind. Eine Tatsache, die zigfach nachgewiesen worden ist.
Die Debatte zum Thema wird ja wirklich heiß geführt und Kritiken wie der Ihren dabei ein Denken in „Verschwörungstheorien“ testiert – ein Stigma, nachdem weiteres Argumentieren in aller Regel gar nicht mehr lohnt, da man sozusagen als Spinner diskreditiert worden ist. So bezeichnete etwa Andreas Hirstein in der NZZ „geplante Obsoleszenz im Sinne einer gezielten Produkte-Selbstzerstörung zur Ankurbelung des Konsums“ als moderne Legende. Er argumentiert, dass Hersteller eine Abwägung zwischen Lebensdauer und Preis auf der einen sowie Zahlungsbereitschaft der Kunden auf der anderen Seite treffen müssten. Und auch eine Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes kam zu dem Schluss, dass derlei Probleme … nun ja, eigentlich nicht wirklich vorhanden seien.
Das stimmt leider. Marktgläubige Menschen wie Andreas Hirstein gehen dabei implizit von transparenten Märkten aus, die es in Wirklichkeit jedoch kaum jemals gibt. Eliminiert man diese Voraussetzung aber – was die Realität de facto deutlich besser beschreibt -, bricht auch schon die ganze Argumentation in sich zusammen – genau wie die des führenden wissenschaftlichen Referenzartikels zu geplanter Obsoleszenz von Jeremy Bulow aus dem Jahre 1986: Eine völlig weltfremde Theorie mit völlig falschen Ergebnissen, die jedoch ständig zitiert wird und dazu führt, dass man geplanten Verschleiß als „Legende“ und also Märchen abstempelt. Sehr praktisch für die Gewinnlage der Großkonzerne.
Zur Studie des Umweltbundesamtes nur soviel: Ich kann Ihnen gern einmal ein paar Zitate aus der 104 Seiten umfassenden Studie vom Februar 2015 vorlesen, die man eben auch ganz anders zu lesen vermag als dies üblicherweise geschieht: „Das Durchschnittsalter ‚kaputter Geräte‘ beträgt in den Jahren 2012/113 12,5 Jahre, in den Jahren 2004 und 2008 lag dies noch bei 13,9 bzw. 13,5 Jahren.“ Oder: „Außerdem kann der Tabelle 8 entnommen werden, dass alle Haushaltsgroßgeräte (…) in 2012/13 etwas früher aufgrund eines Defektes (…) getauscht werden mussten als im Jahre 2004.“ Und noch eindeutiger: „Zwischen 2004 und 2012 stieg der Anteil der Haushaltsgroßgeräte, die nach weniger als 5 Jahren aufgrund eines Defektes ausgetauscht werden mussten, von 3,5 Prozent auf 8,3 Prozent der Gesamtersatzkäufe“. Das zeigt doch deutlich, dass die Qualität von Neugeräten deutlich gesunken ist: Statt 3,5 Prozent wie 2004 gehen acht Jahre später bereits mehr als doppelt so viele in den ersten 5 Jahren kaputt. Qualitätsoase Deutschland? Made in Germany? Ein Witz.
Wer genau gewinnt eigentlich durch geplante Obsoleszenz?
Durch gezielte, verdeckte Verkürzung der Produktlebenszeit steigen, wie oben erwähnt, die Konzerngewinne und damit die Rendite auf das eingesetzte Kapital. Nutznießer sind deshalb vor allem die Aktionäre der Großunternehmen. Das Eigentum an Unternehmen ist sehr ungleich verteilt. So sind beispielsweise nur 10 Prozent der deutschen Bevölkerung im Besitz von Betriebsvermögen, nur etwa 11 Prozent der deutschen Haushalte besitzen Aktien. Dabei ist die Eigentumskonzentration an der Spitze besonders stark. So kontrollieren in Deutschland laut dem Historiker Wehler 7700 Haushalte, das sind 0,02 Prozent aller deutschen Haushalte, über die Hälfte des deutschen Betriebsvermögens. Ähnlich ungleiche Verteilungsverhältnisse finden sich in fast allen anderen Ländern der Erde.
Die Vertriebsstrategie „Geplante Obsoleszenz“ könnte man daher als eine Besteuerung aller Verbraucher zu Gunsten der kleinen Schicht der Kapitaleigentümer von Großunternehmen ansehen, das erhebliche Kollateralschäden für die Umwelt bewirkt. Ein absurdes, aber sehr stabiles System.
Und was tun wir als Verbraucher nun am besten? Was raten Sie?
Nicht nur auf den Preis schauen, weniger „Geiz ist geil“-Mentalität, sich auf Internet-Portalen und in Fachzeitschriften informieren. Aber gute Infos über die tatsächlichen Nutzungskosten pro Einheit gibt es fast nirgends.
Und: Jeder von uns hat im Durchschnitt an die 10.000 Produkte zu Hause. Da können wir uns fragen: Brauche ich die wirklich? Man könnte etwa sinnieren über dem Satz: „Wo kann ich auf Unnötiges verzichten?“ Wenn man das lange Zeit über macht, kann langsam eine neue Kultur im Umgang mit den uns anvertrauten Dingen entstehen. Das wäre wunderbar.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Christian Kreiß, Jahrgang 1962, studierte Volkswirtschaftslehre und promovierte in München über die Große Depression 1929 bis 1932. Nach neun Jahren Berufstätigkeit als Bankier in verschiedenen Geschäftsbanken, davon sieben Jahre als Investment Banker, unterrichtet er seit 2002 als Professor an der Hochschule Aalen Finanzierung und Wirtschaftspolitik. Er ist Autor dreier Bücher und zahlreicher Veröffentlichungen.
21. September 2015
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