Unsere grüne Lunge am Limit
Mensch und Natur geht es gut? Bio schützt den Menschen und steht im Einklang mit der Natur? Und den Rest besorgen Bürger und Politik durch „Konsumentensouveränität“ und „Nachhaltigkeit“? Eigentlich ist alles gut? Ganz sicher nicht, findet der Förster und Bestseller-Autor Peter Wohlleben. Dem Wald etwa gehe es alles andere als gut. Er sei durch die „Energiewende“ bedroht wie selten zuvor. Und bei der Rede von Nachhaltigkeit handele es sich vor allem um PR, die dazu diene, Waldzerstörung als Naturschutz auszugeben. Jens Wernicke sprach mit ihm.
Herr Wohlleben, Sie sind ehemaliger Förster und inzwischen Bestseller-Autor. Sie schreiben über den Wald und berühren die Menschen damit. Was ist Ihr Anliegen, Ihr Antrieb – und was Ihr Erfolgsrezept?
Ich bin immer noch Förster, allerdings habe ich meine Beamtenstelle im Jahr 2006 gekündigt und wurde von der kleinen Eifelgemeinde Hümmel als Angestellter eingestellt. Seither kann ich meinen Traum von einer umweltverträglichen Waldwirtschaft ohne Restriktionen ausleben.
Echte Wälder gibt es in Deutschland kaum noch – wir leben in einer Plantagenlandschaft, ohne das es jemand merkt. Der größte Teil der Forste besteht aus Nadelbäumen, die in dieser Region nicht heimisch sind. Sie werden gepflanzt, gepflegt, manchmal mit Insektiziden gespritzt und schließlich maschinell geerntet. Damit gleichen diese „Wälder“ mehr einem Maisacker denn unberührter Natur. Das möchte ich nicht unterstützen.
Unser heimisches Ökosystem, alte Laubwälder mit einem hohen Buchenanteil, ist längst über die Maßen gefährdet und existiert bereits nur noch im Promillebereich. Ich habe viele Jahre daran gearbeitet, die Öffentlichkeit vor dieser besorgniserregenden Entwicklung zu warnen, und habe dabei völlig übersehen, dass die Menschen kaum etwas über Bäume wissen. Deswegen schreibe ich und versuche, das in meinem Fachbereich vorhandene Wissen über den Wald weiteren Kreisen, deren Herz für die Natur brennt, zugänglich zu machen.
Inwiefern ist der Wald denn gefährdet bei uns? Ich muss gestehen, ich weiß hierüber nichts…
Die Lage des Waldes ist sehr ernst: Eine Armada von Großmaschinen rollt täglich durch ihn hindurch, um Holz zu ernten. Dabei wird der Boden unter dem tonnenschweren Gewicht zerquetscht und kann anschließend kaum noch Wasser speichern; zudem ersticken die Bodentiere. Diese Schäden sind nach Aussagen von Geologen längst irreparabel, die Böden werden sich wohl erst nach der nächsten Eiszeit wieder regenerieren.
Wie kommt es dazu? Was ist das Problem?
Bei jeder einzigen der sogenannten „Durchforstungen“ werden etwa 50 Prozent des Waldbodens geschädigt. Die Alternative, das Herausziehen des Holzes per Pferd, wäre ein paar Euro pro Kubikmeter teurer, käme jedoch ohne Kollateralschäden aus. Doch dieses Geld spart man sich lieber und hübscht und zerstört so aus „Effizienzgründen“ lieber den Wald und damit auch einen Teil unserer Lebensgrundlage.
Überdies sind Nadelwaldplantagen Kunstgebilde und entsprechend anfällig für Insektenattacken. Um Schmetterlingsraupen loszuwerden, dürfen seit diesem Jahr daher sogar in Waldnaturschutzgebieten auf Antrag Insektizide per Hubschrauber versprüht werden. Diese Mittel sind monatelang hochwirksam und töten nicht nur alle Falter, sondern auch andere Insekten – das Ökosystem verödet hierdurch für sehr lange Zeit.
Und auch durch die sogenannte „Energiewende“ ist unser Wald bedroht. Selbst Äste werden inzwischen mit Spezialmaschinen eingesammelt, gebündelt und im nächsten Biomassekraftwerk verfeuert. Ganz allgemein wird mehr und mehr Biomasse nachgefragt und also immer mehr Holz genutzt und verbrannt. Dadurch blutet der Wald in Bezug auf Nährstoffe und Humus regelrecht aus. Und zwar während sich die Forstverwaltungen zugleich unisono nicht genieren, zu behaupten, sie hätten die „Nachhaltigkeit“ erfunden und schützten mit ihrem Vorgehen den Wald. Für mich klingt das mittlerweile nur noch wie Hohn, und ich kann es bestenfalls als Public Relations verbuchen.
Und das ist warum genau Grund zur Sorge?
Die Grenzen zwischen Forst und Acker verschwimmen immer mehr, und wenn die Bevölkerung glaubt, dass das Ganze sogar dem Klima- und Umweltschutz diene, wird sich die Lage weiter verschlechtern.
Tatsächlich ist eine solche Entwicklung sogar zu erwarten, denn worüber kaum jemand spricht, ist, dass staatliche Forstverwaltungen, die eigentlich als Kontrollbehörden fungieren sollten, selbst die größten Waldbewirtschafter sind und kostengünstig Holzeinschläge auch für Gemeinde- und Privatwald anbieten. Wenn der Kontrolleur aber gleichzeitig selbst wirtschaftet, ist klar, wie scharf respektive unscharf die Kontrollen und Information über entsprechende Fehlentwicklungen de facto sind. Denn wer schneidet sich schon gern ins eigene Fleisch?
Das gipfelt inzwischen sogar Aussagen wie jener, dass Wald bewirtschaftet also gefällt werden müsste, um erhalten und fit für die Zukunft gemacht werden zu können. Da muss man sich schon fragen: Wie schafft es da eigentlich der Amazonas-Regenwald, ohne Förster gesund und artenreich zu bleiben?
Sie skizzieren in Ihren Büchern Bäume ja als soziale Lebewesen, die miteinander kommunizieren, die sich wechselseitig beschützen, die offenbar fühlen und handeln können… Das klingt alles … sehr verwegen. Haben Sie sich das selbst ausgedacht?
Die Darstellung der Bäume in meinem Buch beruht weit überwiegend auf wissenschaftlichen Studien, zum kleineren Teil auch auf eigenen Beobachtungen. Wenn Wissenschaftler und Fachleute aber herausfinden, dass Bäume ein Gedächtnis haben, sogar zählen können, ihren Nachwuchs stillen und über eine Art Internet – bestehend aus Wurzeln und Pilzen -, über das sie Nachrichten austauschen, miteinander verbunden sind, dann klingt das fast wie aus dem Film „Avatar“. Und doch sind all das wissenschaftliche Fakten.
Die Entdeckung der Baumkommunikation etwa ist ein alter Hut und stammt schon aus den 1970er Jahren. Die Studien fanden aufgrund der wissenschaftlichen Sprache außerhalb von Fachkreisen jedoch kaum Beachtung und fokussierten zudem sehr stark auf einzelne Aspekte. Ich habe dieses wissenschaftliche Puzzle übersetzt und zusammengefügt. Und plötzlich sieht man, dass Bäume unglaublich spannende Lebewesen sind – mit einer reichen Gefühlspalette, einem unglaublichen Sozialwesen und immenser Geduld. Mir geht es darum, das vorhandene Wissen sozusagen zu übersetzen und vielen Leuten zugänglich zu machen. Denn wäre all dies weiter bekannt, würden, davon bin ich überzeugt, sich deutlich mehr Leute für den Schutz unserer Wälder einsetzen; dann wäre klar, was hier – jenseits von Zahlen, Statistiken und wiederkehrenden Behauptungen, alles sei „nachhaltig“ und daher okay – de facto an Grausamkeit und Zerstörung geschieht.
Können Sie sagen, wie es kommt, dass ich bisher noch nie davon gehört habe, dass Bäume soziale und fühlende Wesen sind? Ich meine, wenn das doch Sachstand der Forschung und eigentlich „Binsenweisheit“ ist…
Dass Sie davon noch nie etwa gehört haben, mag auch daran liegen, dass Informationen über Wald und Bäume in der Regel von den Forstbehörden kommen. Doch diese haben, wie schon skizziert, starke wirtschaftliche Eigeninteressen. Das wäre in etwa so, als würden Ihre Informationen über Tiergefühle vom Verband der Massentierhalter stammen.
Wenn bekannt wird, dass Bäume auch Schmerz empfinden können, dann wird es sicherlich mehr Proteste besorgter Bürger geben, wenn die Harvester anrollen und den Baumkindern ihre Eltern wegnehmen.
Genau das passiert nämlich in vielen Wäldern. Normalerweise würden diese kleinen Bäume von ihren großen Müttern vor Wetterkapriolen beschützt und durch den Schatten zu einem sehr langsamen Wachstum gezwungen. Dadurch, so fanden Wissenschaftler bei einer weltweiten Studie heraus, können Bäume sehr alt werden: Damit sie in ihrer Jugend nicht absterben, werden sie von den Eltern über Wurzelverwachsungen mit Zuckerlösung ernährt; man könnte auch sagen: gestillt. Allerdings ist ein hundertjähriger Baum, der erst bleistiftdick ist, ein schlechtes Renditeobjekt. Daher fällt man die alten Stämme und bringt so viel Licht an den Boden. Dadurch wachsen die Sprösslinge schneller und sind bereits nach rund 100 Jahren dick und erntereif. Das ist aber ein sehr ungesundes Wachstum, denn die Bäume verausgaben sich dabei komplett, und könnten so auch gar nicht wirklich altern und alt werden, dazu sind sie bereits zu erschöpft. Im Fachjargon nennt sich das freundlich „Waldverjüngung“ oder auch „Waldpflege“. Waldpflege durch das Fällen von Bäumen? Das wäre in etwa so, als würde ein Metzger behaupten, seine Tätigkeit sei als „Tierpflege“ anzusehen.
Was bräuchte der gefährdete und teils schon nachhaltig geschädigte Wald denn? Was müsste aktuell getan werden, um ihn so gut als möglich zu schützen und erhalten?
Zunächst einmal bräuchte es eine breite und offene gesellschaftliche Diskussion, wie wir als Gesellschaft an das Holz zu gelangen vermögen, das wir unbedingt brauchen; eine Diskussion darüber, was das notwendige Maß unserer Eingriffe in die Natur ist und sein darf.
Neben Schutzgebieten, in denen wir Bäume ihr Leben zu Ende leben ließen, könnten wir etwa den Großteil der Wälder so bewirtschaften, dass er möglichst nahe an einen Urwald herankommt. Heimische Baumarten, jung und alt auf einer Fläche vereint, Verzicht auf schweres Gerät und Insektizide – das würde schon einen deutlichen Fortschritt bedeuten.
Und nebenbei könnten wir sogar mehr Holz ernten als heute. Gesunde Wälder sind nämlich produktiver; für diese Erkenntnis muss man zwar kein Fachmann sein, aber immerhin wurde dies jetzt noch einmal für den vorbildlich bewirtschafteten Stadtwald Lübeck bestätigt.
Doch die staatlichen Verwaltungen und forstlichen Fakultäten sind wie große Tanker: Sie haben einen langen Bremsweg, eine Richtungsänderung gelingt nur sehr langsam. Vielleicht hilft ihnen dabei eine aufgeklärte Bevölkerung, die sich wieder stärker für Bäume und ihre Gefühle und somit ihre eigene Umwelt und Lebensgrundlage interessiert. Sollten meine Bücher hierzu einen kleinen Beitrag leisten, dann wäre ich glücklich hiermit.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Peter Wohlleben, Jahrgang 1964, wollte schon als kleines Kind Naturschützer werden. Er studierte Forstwirtschaft und war über zwanzig Jahre lang Beamter der Landesforstverwaltung. Um seine ökologischen Vorstellungen umzusetzen, kündigte er und leitet heute einen umweltfreundlichen Forstbetrieb in der Eifel. Dort arbeitet er an der Rückkehr der Urwälder. Er ist Gast in zahlreichen TV-Sendungen, hält Vorträge und Seminare und ist Autor von Büchern zu Themen rund um den Wald und den Naturschutz. Zuletzt erschien von ihm bei Ludwig sein Bestseller „Das geheime Leben der Bäume“.
Ich bin immer noch Förster, allerdings habe ich meine Beamtenstelle im Jahr 2006 gekündigt und wurde von der kleinen Eifelgemeinde Hümmel als Angestellter eingestellt. Seither kann ich meinen Traum von einer umweltverträglichen Waldwirtschaft ohne Restriktionen ausleben.
Echte Wälder gibt es in Deutschland kaum noch – wir leben in einer Plantagenlandschaft, ohne das es jemand merkt. Der größte Teil der Forste besteht aus Nadelbäumen, die in dieser Region nicht heimisch sind. Sie werden gepflanzt, gepflegt, manchmal mit Insektiziden gespritzt und schließlich maschinell geerntet. Damit gleichen diese „Wälder“ mehr einem Maisacker denn unberührter Natur. Das möchte ich nicht unterstützen.
Unser heimisches Ökosystem, alte Laubwälder mit einem hohen Buchenanteil, ist längst über die Maßen gefährdet und existiert bereits nur noch im Promillebereich. Ich habe viele Jahre daran gearbeitet, die Öffentlichkeit vor dieser besorgniserregenden Entwicklung zu warnen, und habe dabei völlig übersehen, dass die Menschen kaum etwas über Bäume wissen. Deswegen schreibe ich und versuche, das in meinem Fachbereich vorhandene Wissen über den Wald weiteren Kreisen, deren Herz für die Natur brennt, zugänglich zu machen.
Inwiefern ist der Wald denn gefährdet bei uns? Ich muss gestehen, ich weiß hierüber nichts…
Die Lage des Waldes ist sehr ernst: Eine Armada von Großmaschinen rollt täglich durch ihn hindurch, um Holz zu ernten. Dabei wird der Boden unter dem tonnenschweren Gewicht zerquetscht und kann anschließend kaum noch Wasser speichern; zudem ersticken die Bodentiere. Diese Schäden sind nach Aussagen von Geologen längst irreparabel, die Böden werden sich wohl erst nach der nächsten Eiszeit wieder regenerieren.
Wie kommt es dazu? Was ist das Problem?
Bei jeder einzigen der sogenannten „Durchforstungen“ werden etwa 50 Prozent des Waldbodens geschädigt. Die Alternative, das Herausziehen des Holzes per Pferd, wäre ein paar Euro pro Kubikmeter teurer, käme jedoch ohne Kollateralschäden aus. Doch dieses Geld spart man sich lieber und hübscht und zerstört so aus „Effizienzgründen“ lieber den Wald und damit auch einen Teil unserer Lebensgrundlage.
Überdies sind Nadelwaldplantagen Kunstgebilde und entsprechend anfällig für Insektenattacken. Um Schmetterlingsraupen loszuwerden, dürfen seit diesem Jahr daher sogar in Waldnaturschutzgebieten auf Antrag Insektizide per Hubschrauber versprüht werden. Diese Mittel sind monatelang hochwirksam und töten nicht nur alle Falter, sondern auch andere Insekten – das Ökosystem verödet hierdurch für sehr lange Zeit.
Und auch durch die sogenannte „Energiewende“ ist unser Wald bedroht. Selbst Äste werden inzwischen mit Spezialmaschinen eingesammelt, gebündelt und im nächsten Biomassekraftwerk verfeuert. Ganz allgemein wird mehr und mehr Biomasse nachgefragt und also immer mehr Holz genutzt und verbrannt. Dadurch blutet der Wald in Bezug auf Nährstoffe und Humus regelrecht aus. Und zwar während sich die Forstverwaltungen zugleich unisono nicht genieren, zu behaupten, sie hätten die „Nachhaltigkeit“ erfunden und schützten mit ihrem Vorgehen den Wald. Für mich klingt das mittlerweile nur noch wie Hohn, und ich kann es bestenfalls als Public Relations verbuchen.
Und das ist warum genau Grund zur Sorge?
Die Grenzen zwischen Forst und Acker verschwimmen immer mehr, und wenn die Bevölkerung glaubt, dass das Ganze sogar dem Klima- und Umweltschutz diene, wird sich die Lage weiter verschlechtern.
Tatsächlich ist eine solche Entwicklung sogar zu erwarten, denn worüber kaum jemand spricht, ist, dass staatliche Forstverwaltungen, die eigentlich als Kontrollbehörden fungieren sollten, selbst die größten Waldbewirtschafter sind und kostengünstig Holzeinschläge auch für Gemeinde- und Privatwald anbieten. Wenn der Kontrolleur aber gleichzeitig selbst wirtschaftet, ist klar, wie scharf respektive unscharf die Kontrollen und Information über entsprechende Fehlentwicklungen de facto sind. Denn wer schneidet sich schon gern ins eigene Fleisch?
Das gipfelt inzwischen sogar Aussagen wie jener, dass Wald bewirtschaftet also gefällt werden müsste, um erhalten und fit für die Zukunft gemacht werden zu können. Da muss man sich schon fragen: Wie schafft es da eigentlich der Amazonas-Regenwald, ohne Förster gesund und artenreich zu bleiben?
Sie skizzieren in Ihren Büchern Bäume ja als soziale Lebewesen, die miteinander kommunizieren, die sich wechselseitig beschützen, die offenbar fühlen und handeln können… Das klingt alles … sehr verwegen. Haben Sie sich das selbst ausgedacht?
Die Darstellung der Bäume in meinem Buch beruht weit überwiegend auf wissenschaftlichen Studien, zum kleineren Teil auch auf eigenen Beobachtungen. Wenn Wissenschaftler und Fachleute aber herausfinden, dass Bäume ein Gedächtnis haben, sogar zählen können, ihren Nachwuchs stillen und über eine Art Internet – bestehend aus Wurzeln und Pilzen -, über das sie Nachrichten austauschen, miteinander verbunden sind, dann klingt das fast wie aus dem Film „Avatar“. Und doch sind all das wissenschaftliche Fakten.
Die Entdeckung der Baumkommunikation etwa ist ein alter Hut und stammt schon aus den 1970er Jahren. Die Studien fanden aufgrund der wissenschaftlichen Sprache außerhalb von Fachkreisen jedoch kaum Beachtung und fokussierten zudem sehr stark auf einzelne Aspekte. Ich habe dieses wissenschaftliche Puzzle übersetzt und zusammengefügt. Und plötzlich sieht man, dass Bäume unglaublich spannende Lebewesen sind – mit einer reichen Gefühlspalette, einem unglaublichen Sozialwesen und immenser Geduld. Mir geht es darum, das vorhandene Wissen sozusagen zu übersetzen und vielen Leuten zugänglich zu machen. Denn wäre all dies weiter bekannt, würden, davon bin ich überzeugt, sich deutlich mehr Leute für den Schutz unserer Wälder einsetzen; dann wäre klar, was hier – jenseits von Zahlen, Statistiken und wiederkehrenden Behauptungen, alles sei „nachhaltig“ und daher okay – de facto an Grausamkeit und Zerstörung geschieht.
Können Sie sagen, wie es kommt, dass ich bisher noch nie davon gehört habe, dass Bäume soziale und fühlende Wesen sind? Ich meine, wenn das doch Sachstand der Forschung und eigentlich „Binsenweisheit“ ist…
Dass Sie davon noch nie etwa gehört haben, mag auch daran liegen, dass Informationen über Wald und Bäume in der Regel von den Forstbehörden kommen. Doch diese haben, wie schon skizziert, starke wirtschaftliche Eigeninteressen. Das wäre in etwa so, als würden Ihre Informationen über Tiergefühle vom Verband der Massentierhalter stammen.
Wenn bekannt wird, dass Bäume auch Schmerz empfinden können, dann wird es sicherlich mehr Proteste besorgter Bürger geben, wenn die Harvester anrollen und den Baumkindern ihre Eltern wegnehmen.
Genau das passiert nämlich in vielen Wäldern. Normalerweise würden diese kleinen Bäume von ihren großen Müttern vor Wetterkapriolen beschützt und durch den Schatten zu einem sehr langsamen Wachstum gezwungen. Dadurch, so fanden Wissenschaftler bei einer weltweiten Studie heraus, können Bäume sehr alt werden: Damit sie in ihrer Jugend nicht absterben, werden sie von den Eltern über Wurzelverwachsungen mit Zuckerlösung ernährt; man könnte auch sagen: gestillt. Allerdings ist ein hundertjähriger Baum, der erst bleistiftdick ist, ein schlechtes Renditeobjekt. Daher fällt man die alten Stämme und bringt so viel Licht an den Boden. Dadurch wachsen die Sprösslinge schneller und sind bereits nach rund 100 Jahren dick und erntereif. Das ist aber ein sehr ungesundes Wachstum, denn die Bäume verausgaben sich dabei komplett, und könnten so auch gar nicht wirklich altern und alt werden, dazu sind sie bereits zu erschöpft. Im Fachjargon nennt sich das freundlich „Waldverjüngung“ oder auch „Waldpflege“. Waldpflege durch das Fällen von Bäumen? Das wäre in etwa so, als würde ein Metzger behaupten, seine Tätigkeit sei als „Tierpflege“ anzusehen.
Was bräuchte der gefährdete und teils schon nachhaltig geschädigte Wald denn? Was müsste aktuell getan werden, um ihn so gut als möglich zu schützen und erhalten?
Zunächst einmal bräuchte es eine breite und offene gesellschaftliche Diskussion, wie wir als Gesellschaft an das Holz zu gelangen vermögen, das wir unbedingt brauchen; eine Diskussion darüber, was das notwendige Maß unserer Eingriffe in die Natur ist und sein darf.
Neben Schutzgebieten, in denen wir Bäume ihr Leben zu Ende leben ließen, könnten wir etwa den Großteil der Wälder so bewirtschaften, dass er möglichst nahe an einen Urwald herankommt. Heimische Baumarten, jung und alt auf einer Fläche vereint, Verzicht auf schweres Gerät und Insektizide – das würde schon einen deutlichen Fortschritt bedeuten.
Und nebenbei könnten wir sogar mehr Holz ernten als heute. Gesunde Wälder sind nämlich produktiver; für diese Erkenntnis muss man zwar kein Fachmann sein, aber immerhin wurde dies jetzt noch einmal für den vorbildlich bewirtschafteten Stadtwald Lübeck bestätigt.
Doch die staatlichen Verwaltungen und forstlichen Fakultäten sind wie große Tanker: Sie haben einen langen Bremsweg, eine Richtungsänderung gelingt nur sehr langsam. Vielleicht hilft ihnen dabei eine aufgeklärte Bevölkerung, die sich wieder stärker für Bäume und ihre Gefühle und somit ihre eigene Umwelt und Lebensgrundlage interessiert. Sollten meine Bücher hierzu einen kleinen Beitrag leisten, dann wäre ich glücklich hiermit.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Peter Wohlleben, Jahrgang 1964, wollte schon als kleines Kind Naturschützer werden. Er studierte Forstwirtschaft und war über zwanzig Jahre lang Beamter der Landesforstverwaltung. Um seine ökologischen Vorstellungen umzusetzen, kündigte er und leitet heute einen umweltfreundlichen Forstbetrieb in der Eifel. Dort arbeitet er an der Rückkehr der Urwälder. Er ist Gast in zahlreichen TV-Sendungen, hält Vorträge und Seminare und ist Autor von Büchern zu Themen rund um den Wald und den Naturschutz. Zuletzt erschien von ihm bei Ludwig sein Bestseller „Das geheime Leben der Bäume“.
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15. Januar 2016
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