Wenn die Kulturpolitik sauer aufstösst

oder wie sich die Schweiz zu einer privatisierten Dikatur wird.
Ein offener Brief von Urs Heinz Aerni, Präsident der Vereins der unabhängigen Kleinbuchhandlungen der Schweiz (VUKB)

Kulturförderungen werden reduziert und die Wiedereinführung einer Buchpreisbindung steht unter großem Druck.

Sauer aufstoßen? Wenn der Magen rumort kommt das vor. Aber gewisse Entscheidungen seitens Behörden stoßen auch sauer auf. Noch immer hinterlässt die Finanzkrise ihre Spuren. Die Gier der Großbanken nach schnellem aber unsicherem Geld löste eine rekordverdächtige Rettungsaktion durch Regierungen aus. Steuergelder mussten eingschossen werden, damit das ganze Abendland stabilisiert wird. Wo Mittel abgezogen werden, entstehen neue Löcher. Da meldet zum Beispiel die Credit Suisse neue Milliardengewinne und die gleichzeitige Bekanntgabe, dass das Unternehmen aus Erholungsgründen noch keine Steuern zahlen muss.Gleichzeitig lassen staatliche Kulturfördereinrichtungen ausrichten, dass Gelder gestrichen würden. Für die Rettung der Altersvorsorge und Versicherungen werden Gelder von der Realwirtschaft abgezwickt. Kleinunternehmen und Kultureinrichtungen kämpfen ums nackte Überleben und die Hochfinanz investiert in Geschäfte und Löhne als wäre die Finanzkrise ein Rülpser in der Wirtschaftsgeschichte.Verkannte Notwendigkeit der KulturDas stößt sauer auf. Kultur ist nicht immer klar zu definieren. Damit verbindet man Musik, Film, Tanz, Kunst, Theater und Literatur. All diese Kunstformen gehören zum Leben. Zum Leben mit Kreativität, Ideen, Perspektiven und Visionen. Kultur ist lebensnotwendig und sie ist oft da präsent, wo der Passant oder Konsument sie nicht realisiert aber nutzt. Kultur ist auch ein Wirtschaftsfaktor, als Generator für Fantasie und Mobilität, die jeder Mensch im Business braucht.Schweiz tickt wieder einmal andersHochhäuser, Fußballstadien und Autobahnen finden immer Geldgeber. Wenn die Literatur, der Jazz oder der Film an die Tür klopft, heißt es: „bitte warten.“ Es sei denn, man garantiert einen Blockbuster oder Beststeller. Sauer aufstoßend ist auch das Trauerspiel mit der Buchpreisbindung, das in Bern aufgeführt wird. In Nachbarländern wird der Sinn der Buchpreisbindung für eine Gewährleistung für Bücher zu moderaten Preisen - auch in ländlichen Gegenden - eingesehen. Aber die kleine Schweiz tickt natürlich wieder mal anders. Feste Preise für Bücher ermöglichen die Finanzierung von Titeln, die eben nicht massentauglich sind und Gewinne abwerfen. Hand aufs Herz, was haben wir davon wenn die Autobiografie von Dieter Bohlen günstiger wird? Sind Billigangebote für solche und ähnliche Bücher eine Kulturleistung wenn im Gegensatz stille Literatur, feine Lyrik, originelle Philosophie und gewinnende Bildung unbezahlbar wird oder gar nicht mehr erscheinen? Was passiert mit unserer Kultur, wenn wir von ihr erwarten, im freien Markt bestehen zu müssen? Die Antwort finden Sie beim versuchten Genuss eines Spielfilms bei Privatsendern wie RTL oder Sat1. Schweiz AG?Es scheint so, dass unsere Regierung alles an den Markt delegieren will. Man könnte ja die Eidgenossenschaft in eine AG umwandeln und den Bayern die Alpen verkaufen, Hauptsache es gibt Kohle. Privatisieren wir auch gleich die Feuerwehr. Dann hieße es am Telefon: „Möchten Sie das brennende Haus umgehend gelöscht haben, so geben sie Ihre Kreditkartennummer ein. Ansonsten drücken Sie Taste 2 für Aufräumarbeiten zum Weekend-Tarif.“   DenkfehlerKultur ist mit der Lebensqualität so verflochten, dass sie unverzichtbar ist. Auch wenn Politiker immer wieder auf die Idee kommen, sie als gesonderten Teil unserer Gesellschaft zu werten. Dieser Denkfehler wird Mode und gefährdet eine Qualtität des Lebens, die für spätere Generationen teuer zu stehen käme. Kultur, meine Damen und Herren der Politik, gehört zum Grundservice eines Landes, in das ich mein Steuergeld investiere.

Urs Heinz Aerni
Präsident der Leseförderung 4xL in Bern undKo-Präsident des Literarischen Clubs Zürich.Gründer des Vereins der unabhängigen Kleinbuchhandlungen der Schweiz (VUKB) und freier Journalist und Autor.
12. November 2009
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