#absitzen?

Der Rückzug Sahra Wagenknechts vom Fraktionsvorsitz der LINKEN und von #aufstehen ist eine Zäsur mit Folgen.

(Illustration: CC_Wolfgang van de Rydt, Pixabay)

Am 10. März 2019 verkündete Sahra Wagenknecht ihren Entschluss, sich bei der Bewegung #aufstehen aus der vordersten Linie zurückzuziehen. Einen Tag später erklärte sie, im Herbst für den Vorsitz der Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE nicht mehr anzutreten.

Zwischen beiden Ereignissen besteht ein enger Zusammenhang. Die Sammlungsbewegung Aufstehen war in den letzten Monaten erkennbar in eine Sackgasse geraten. Damit war aber zugleich Wagenknechts Position an der Spitze der Bundestagsfraktion unhaltbar geworden.
#aufstehen war von Beginn das Projekt von Sahra Wagenknecht und ihrem Mann Oskar Lafontaine. Es sollte ihr eine Machtbasis verschaffen, um so verlorenen Handlungsspielraum in der Linkspartei zurückzugewinnen, der ihr von der Parteiführung und einer wachsenden Gruppe von Abgeordneten Schritt um Schritt genommen worden war.

Seit dem Parteitag vom Juni 2018 stand fest, dass Wagenknecht nur noch Fraktionsvorsitzende auf Abruf ist. Für die im Herbst 2019 fällige Neuwahl des Fraktionsvorstandes erwartete man ihre Niederlage. Mit den wachsenden Problemen bei Aufstehen schwand zugleich die Hoffnung Wagenknechts, ihren schwindenden innerparteilichen Einfluss durch eine Machtbasis außerhalb der Partei kompensieren zu können. Ihre Stellung in der Fraktion wurde unhaltbar. Ihr Verzicht auf den Fraktionsvorsitz und ihr Rückzug bei Aufstehen waren nur konsequent.

DIE LINKE ohne Wagenknecht

Diejenigen in der Linkspartei und den Medien, die über Jahre an der Demontage Wagenknechts gearbeitet hatten und dafür ihre Positionen als „nationalistisch“ und gar „rassistisch“ diffamierten, mögen ihren Rückzug mit Genugtuung sehen. Aber sie könnten sich täuschen wenn sie glauben, mit einer jetzt größeren innerparteilichen Einigkeit zugleich auch nach außen attraktiver zu werden. Viele Wähler und Mitglieder der LINKEN, die der Partei bisher noch wegen Wagenknecht die Treue hielten, werden sich jetzt abwenden. Sahra Wagenknecht erlebt hingegen eine Sympathiewelle. Das wird nicht ohne Folgen auf die anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament bleiben. Und tatsächlich gibt es keinen Grund mehr, länger eine Partei zu unterstützen, die sich damit begnügt, nur noch Juniorpartner von SPD und Grünen sein zu wollen.

Was bleibt von Aufstehen?

Schon bei der Gründung von Aufstehen im September 2018 zeigten sich gravierende Konstruktionsfehler.

Die Zustimmung zum Projekt #aufstehen war beeindruckend. Die übergroße Mehrheit der Unterstützer dürfte sich engagiert haben, weil sie erwartete, dass hier etwas Neues gegenüber SPD, Grüne und LINKE geschaffen wird. Fast 170.000 trugen sich in die Mailliste ein. Zum Vergleich: Die Partei DIE LINKE hat gegenwärtig nur noch 62’000 Mitglieder.
Doch schon bei der Gründung von Aufstehen im September 2018 zeigten sich gravierende Konstruktionsfehler. Wirklich einflussreiche Repräsentanten aus den Reihen von SPD und Grünen konnten nicht gewonnen werden. Die als offizielles Ziel von Aufstehen verkündete Absicht, die drei Parteien SPD, Grüne und DIE LINKE auf eine gemeinsame soziale Politik zu verpflichten, blieb ohne jede Resonanz.

Die Bewegung litt aber vor allem unter Unklarheit über ihre politische Ausrichtung. Immer häufiger wird in Deutschland davon gesprochen, dass eine populäre Linke fehlt, eine Linke, die sich als soziale und nicht als eine kulturalistische versteht, für die der Klassenwiderspruch und nicht die bloße Bündelung der Interessen von Minderheiten im Mittelpunkt steht. Aufstehen hätte dieses Neue sein können.

Es bleibt eine Tatsache, dass es eine solche Linke dringend braucht. Von absitzen kann keine Rede sein.

Mit dem Rückzug von Sahra Wagenknecht ist nun offenkundig geworden, dass das Projekt Aufstehen gescheitert ist – zumindest in der Form, in der es im September 2018 ins Leben gerufen wurde. Womöglich war die Bewegung aber nur der Vorläufer einer sich neu bildenden populären Linken. Denn es bleibt eine Tatsache, dass es eine solche Linke dringend braucht. Von absitzen kann keine Rede sein.
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Andreas Wehr ist Jurist und Autor zahlreicher Bücher über die EU, die linke Bewegung und die Entwicklung der Demokratie. Der vorliegende Text erschien in ausführlicherer Form zuerst auf seiner Website.
www.andreas-wehr.eu

19. März 2019
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