«Unsere aussenpolitischen Führer sind eine Gefahr für die Welt»

Politische Mandatsträger haben zu wenig Erfahrung und zu viele Illusionen, meint Derek Leebaert, Gründungsherausgeber der vierteljährlich erscheinenden Harvard/MIT-Zeitschrift International Security
Veröffentlicht: 26. Oct 2022 - Zuletzt Aktualisiert: 26. Oct 2022

Der Beitrag in POLITICO ist eine Sensation: Autor Derek Leebaert war in der Reserve des U.S. Marine Corps tätig und gründete die Schweizer Unternehmensberatung MAP AG. Sein letztes Buch, Grand Improvisation, wurde mit dem alle zwei Jahre vergebenen Truman Book Award 2020 ausgezeichnet. POLITICO hat nun einen Beitrag Leebaerts publiziert. Auszüge:

«Amerika mag durch die Misserfolge in Afghanistan und im Irak vorübergehend gezüchtigt worden sein, so wie es auch nach Vietnam der Fall war. Aber es gibt keinen Grund, warum nicht bald wieder neue, überschwängliche Fehleinschätzungen in dem von Rice und Bundy propagierten Ausmass getroffen werden könnten. Schliesslich waren diese tödlichen Fiaskos nur die schlimmsten Fehler in einer jahrzehntelangen Reihe von Fehlkalkulationen in der amerikanischen Aussenpolitik.

Warum werden so schlechte Ideen in die Gestaltung der US-Aussenpolitik eingespeist, und zwar mit einer Leichtigkeit, wie man sie in anderen fortgeschrittenen Demokratien selten findet?

Vieles ist auf das politische Ernennungssystem zurückzuführen, mit dem das Land seine Regierung, einschliesslich des nationalen Sicherheitsapparats, besetzt. Das Weisse Haus ist für die Besetzung von rund 4.000 hochrangigen Stellen in den Bundesministerien und -behörden verantwortlich. Wenn es um Aufgaben im Bereich der Aussen- und Verteidigungspolitik geht, haben solche Ernennungen von ausserhalb der Exekutive oft mehr Erfahrung in der Wissenschaft, in Anwaltskanzleien oder in der Wirtschaft als an der Front des Weltgeschehens. (Dieselbe Methode wird auch bei der Besetzung anderer Ressorts wie Handel und HUD angewandt - nur dass schlechte Ideen im Handel oder im Arbeitsministerium wahrscheinlich keine internationale Katastrophe auslösen).

Dieser unkonventionelle Ansatz erzwingt Unerfahrenheit, erzwingt Dringlichkeit, umwirbt Risiken und schürt die Illusion, mit den ethnischen, ideologischen und politischen Belangen anderer Nationen umgehen zu können.

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Ausserdem ist das Problem des politischen Klientelsystems tiefgreifend: Der Einfluss von Kabinettsmitgliedern und fast allen Botschaftern kann dem ihrer Untergebenen untergeordnet sein, die im Aussenministerium, im Pentagon und im NSC-Stab tagtäglich Entscheidungen strukturieren und umsetzen. Anders als in jedem anderen ernstzunehmenden Land sind diese praktischen Funktionen der Regierung offen für politische Patronage, einschliesslich der Schlüsselpositionen, die sich auf Krieg und Frieden auswirken: Unterstaatssekretär im Verteidigungsministerium für Politik, Berater im Aussenministerium, stellvertretender Verteidigungsminister für internationale Sicherheit, im Aussenministerium für politisch-militärische Angelegenheiten. Hinzu kommen stellvertretende Staatssekretäre und stellvertretende Staatssekretäre in beiden Ministerien für alle Regionen der Welt. Verschiedene Büroleiter und leitende Mitarbeiter tragen ihren Teil dazu bei. [...]

Ein System, das stark von kurzfristigen Amtsinhabern abhängt, zwingt sich selbst ein Gefühl der Dringlichkeit auf. Und Dringlichkeit ist gefährlich, wenn es beispielsweise darum geht, Waffenabkommen auszuhandeln - oder zu entscheiden, wie Kabul oder Saigon evakuiert werden sollen. Die ernannten Beamten - oft zielstrebige, kluge und entschlossene Leute - können ihre Prioritäten durch Bürokratien durchsetzen, die weniger sicher oder besessen sind. Diese Beamten mögen vergleichsweise Amateure sein. Dennoch müssen sie sofort handeln, bevor konkurrierende Dringlichkeiten auf den Tisch kommen oder ihre Regierung aus dem Amt gefegt wird.

Eine dritte Einschränkung vieler Beauftragter - die auch von Kabinettsmitgliedern geteilt wird - ist der immer wiederkehrende Glaube, dass Amerika ganze geostrategische Umgebungen, wie die um Peking, ziemlich gut gestalten kann.[...]»