Die Schweizer Diplomatie ist verwirrt

Wo soll sich die Schweiz auf der sich verändernden geopolitischen Landkarte platzieren? fragt Jacques Pilet, der Doyen der Westschweizer Journalisten und gibt eine überzeugende Antwort.
Veröffentlicht: 23. Feb 2024 - Zuletzt Aktualisiert: 23. Feb 2024

(auszugsweise)
Die Initiativen von Ignazio Cassis und seine lautstarken Stellungnahmen beginnen, Unbehagen zu wecken. Viola Amherds NATO-freundliches Verhalten und die Misswirtschaft, die sie bei der Ruag an den Tag legt, werden immer bestürzender.

Die von Bunddesrat Cassis in Davos auf Ende März angekündigte "Friedenskonferenz", steht unter keinem guten Stern. Sie wird, so der Ex-Diplomat Georges Martin, nur eine weitere Veranstaltung des "Zelensky-Fanclubs" sein, der im Übrigen von den USA ignoriert wird.

Von Seiten Chinas, Indiens und vieler anderer herrscht trotz Besuchen und Verbeugungen höfliche Gleichgültigkeit. Zu behaupten, einen Weg zum Frieden zu suchen, indem man eine der Konfliktparteien ignoriert, auf der Grundlage der Agenda einer einzigen Seite, ist absurd. Schlimmer noch, eine Täuschung mit Worten.

Es fehlt ein denkender Kopf an der Spitze. Eine kühle, realistische Führung, die die Politik nicht im Wind der kollektiven Emotionen flattern lässt, die auf- und abschwellen und manchmal die Richtung ändern. Wenn die diplomatische Aktion mit Schnellschüssenn, im Streben nach sofortiger Popularität, ohne die geringste Diskretion und ohne vertrauliche Kontakte durchgeführt wird, verliert sie jede Glaubwürdigkeit.

Herr Cassis sollte lernen, аseine Zunge im Zaum zu halten. Und wenn er seine Voreingenommenheit mitteilen will, dann sollte er dies in den Codes eines Berufs tun, dessen Grundlagen er offensichtlich nicht kennt.

Fragen wir uns also, was für die Schweiz auf lange Sicht besser ist. Ein - wenn auch gelegentlich mürrischer - Satellit des Atlantischen Bündnisses werden? Eines Tages sogar ein Mitglied? Uns ausschliesslich in diesem "Westen" verankern, von dem sich riesige Teile der Welt distanzieren?

Oder wollen wir wie früher unseren eigenen Weg gehen? Die Bandbreite unserer Interessen ist groß. Die Sicherheit natürlich, aber auch der Handel, der akademische Raum und die Forschung, das soziale Leben mit verschiedenen Gemeinschaften in unserer Mitte. …

Der moralisierende Ansatz in der internationalen Politik führt nur zu Isolation. Zur Hilflosigkeit bei unseren Friedensbemühungen. Zur Aufgabe unserer ganz konkreten Interessen. Es ist an der Zeit, dass wir unsere Benchmarks mit Offenheit und Augenhöhe definieren.

Schließlich sollten wir uns auch nicht mit dem Begriff der Souveränität schmücken. Sie ist für niemanden absolut. Ein anderer Begriff scheint besser zu sein: Würde. Er steht im Gegensatz zur Unterwerfung, zur von den Mächtigen auferlegten Vision, zum Konformismus, der durch die vorherrschende Emotion des Augenblicks ausgelöst wird.

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