Ich bin jetzt unzensierbar, carajo!

Und wann werden Sie es? Eine Anleitung zur Rückgewinnung digitaler Souveränität – und ein Update zum Pareto-Projekt.

Das Pareto-Projekt: Zensursicheres Publizieren in einem kooperativen Ökosystem (Screenshot: pareto.space)
Das Pareto-Projekt: Zensursicheres Publizieren in einem kooperativen Ökosystem (Screenshot: pareto.space)

Seit dem 5. Dezember ist ein Stück deutscher Publizistik Geschichte. Der Heise-Verlag hat 50 000 (!) Artikel aus der Zeit 1996-2020 hinter einem Überarbeitungsvermerk versteckt. Also de facto aus dem kulturellen Gedächtnis gelöscht. Oder in habecksch´er Diktion: die Artikel sind noch da, man kann sie nur nicht mehr lesen. Ein Vierteljahrhundert kritischer Zeitgeschichte von Pionieren der Online-Publizistik, wie Mathias BröckersTom AppletonPeter Bürger: verschwunden. Eine Wissensinsel ist untergegangen. Ist dem Verlag das kritische Frühwerk in Zeiten neuer geistiger Mobilmachung ein Dorn im Auge? Geht es noch orwellischer in Deutschland? Wir erleben eine virtuelle Textverbrennung. 

Das freie Wort wird von allen Seiten dezimiert

Das ist ein Akt der Aggression gegen die Autoren, das Informationsrecht der Bevölkerung und den Geist des freien Wortes gleichermassen. 9/11, Kriege, Nato-Geheimarmeen: in Zeiten neu hochköchelnder Konflikte und offener Aufrüstungsrhetorik will man solche Inhalte lieber nicht mehr zeigen. Druck von oben? Das Verhalten des Verlages ist noch jämmerlicher, wenn man bedenkt, dass die Telepolis-Inhalte ein wichtiges Kulturgut von öffentlichem Interesse darstellen, welches nach dem Bundesarchivgesetz sogar gesetzlich archiviert werden müsste. Seltsame Verhältnisse sind das in diesem Deutschland, wenn ein Verlag sich bemüssigt fühlt, Geschichte umzuschreiben und Texte nachträglich zu verändern, welche gesetzlich eigentlich im Original konserviert gehören.

Wir befinden uns in einem Informationskrieg. Und wie immer geht es um Macht. Kritischer Journalismus entzieht Macht, dampft sie ein, kann sie als illegitim blossstellen. Deshalb ist kritischer Journalismus für Mächtige immer gefährlich. 

Ein pseudokritischer Journalismus kann dagegen Aufmerksamkeit umlenken und dabei versuchen die kritische Fassade zu wahren. Kennen Sie noch die «Panama Papers» und ähnliche, angebliche Sensationsleaks? An diese hängte sich auch gerne der deutsche Mainstream (SZ, Spiegel, ZEIT, NDR etc.), um das Restbild des investigativen Journalismus aufrechtzuerhalten. Nun veröffentlichte Mediapart: Das Institut OCCRP, das wohl grösste und bestfinanzierte Recherchenetzwerk für investigativen Journalismus und Akteur hinter den Leaks, wird überwiegend von den USA gesponsert. Diese kamen dann in der Liste der kleinen und grösseren Steuersünder, Geldwäscher etc. dieser Welt praktischerweise auch nicht vor. Dem NDR wirft Mediapart vor, die eigene investigative Recherche dazu zensiert zu haben. 

Kritische Information wird immer von allen Seiten angegriffen, dezimiert. Das war schon immer so, wo es Machtinteressen gab. Die Geschichte der Zensur zieht sich von der Kirche des Mittelalters über Ideologien des 20. Jahrhunderts, bis in die Spätdemokratien des 21. Jahrhunderts. Amerika, du hast es besser? Die US-Hegemonie kannte u.a. McCarthyismus, die Zensur von Apartheidsgegnern, sowie die Bekämpfung von Wikileaks. Die Zerstörung von Wissensquellen ist schwerer Raub am geistigen Schatz der Menschheit. Es folgten auf Zensur immer nur Verdummung, Ideologisierung, menschlicher Rückschritt und Genozid. 

Die Frage, die sich anhand dieses Zustands stellt, liegt auf der Hand: Wie lange lassen wir uns das noch gefallen?

Holen wir uns die Kontrolle zurück 

Am 11.12.2024 war ein besonderer Moment für mich. Ich veröffentlichte meinen ersten unzensierbaren Artikel über unseren Pareto-Client. Dieser Artikel wird nicht geshadowbanned, kann nicht von anderen gelöscht werden, er gehört nur mir und den Lesern, keiner Plattform, er wird von mehreren dezentralen Knotenpunkten abrufbereit gehalten und wir betreiben auch einige Knotenpunkte selbst (sogenannte Relays). 

Erstmals habe ich das Gefühl, dass ich die Basis meiner publizistischen Tätigkeit selbst in der Hand habe, nicht von anderen abhängig bin. War das nicht mal das Ansinnen von Marx: Eigentum an den Produktionsmittel? Wer im semi-sozialistischen Westen publiziert, dem gehört allenfalls die Hardware oder Schreibmaschine. Für den Rest ist er wie ein Huhn in einer Legebatterie: plattformabhängig, gönnerabhängig, jederzeit ausknipsbar. Ich will weder von Elon Musk, Substack, einem Mäzen oder sonst wem abhängig sein, wenn ich publiziere – und halte dieses Ansinnen für eine absolute Selbstverständlichkeit.

Jeder (auch Sie) kann bald unsere Webapplikation nutzen und zensurresistent langformatige Artikel erstellen und veröffentlichen. Es braucht dazu eine Nostr-ID (einfachster Weg: hier) und schon kann es losgehen. Eine Anleitung zur Nutzung hat unser Hauptentwickler bereits veröffentlicht.

Der Prototyp des Pareto-Clients ist im Browser aufrufbar, man loggt sich ein und kann dann in einem Editor die Texte verfassen und abschicken. Die Artikel werden im Nostr-Netzwerk mit hunderttausenden Usern geteilt und sind dort immer verfügbar. Natürlich können diese auch über die gängigen Social Media-Kanäle geteilt werden. Als nächstes bauen wir an einer Newsletter-Funktion. Damit wären wir der erste Client auf Nostr, der das anbietet und quasi eine Art unzensierbares Substack. Unser Client gehört nur sich selbst und damit allen, er ist Open source, kann also verändert, erweitert und adaptiert werden. 

Wer über uns publiziert, soll den höchsten Grad an Unabhängigkeit haben, der möglich ist. Auch von uns. Im Januar «launchen» wir offiziell!

Sie wollen auch zensurresistent werden?

Derzeit haben wir eine Testphase mit den ersten Publikationen und Testern gestartet. Wir wollen im ersten Schritt ca. 30 Publikationen, Blogs, YouTube-Kanälen etc. ein kostenloses Onboarding mit Nostr-Einführung anbieten und führen eine Warteliste. Die ersten Publikationen migrieren wir bereits, ich habe die englische Version der »Freischwebenden Intelligenz” angelegt, Autoren wie Tom-Oliver Regenauer, Andreas Rottmann, Martin Enlund und der Schweizer Mediziner Walter Siegrist publizieren ebenfalls.

Jeder, der störungsfrei publizieren will, sollte zumindest einen back-up Kanal auf Nostr haben. Sonst kann das Publikum von heute auf morgen weg sein, denn es gehört der Plattform. Auch Telepolis könnten wir natürlich helfen, die Artikel zu sichern und haben Kontakt aufgenommen. Die verschwundenen Artikel haben wir uns schon mal zur Aufbereitung aus dem Netz gezogen und können den Autoren bei Bedarf personalisierte Accounts anlegen.

Aufruf:

Sie sind eine kritische Publikation/Blogger etc. und wollen mit dabei sein? Oder wollen Sie uns als Tester oder anderweitig unterstützen: Schreiben Sie mich an: [email protected] 

Was sind die nächsten Schritte? In den kommenden Monaten wollen wir neben der Newsletter-Funktion auch ein Forum zum Austausch für Rechercheure anbieten, einen Mikromarkt (z.B. für Recherche, Korrektur, Korrespondenten), ein Reputationssystem aufbauen sowie Visualisierungstools verwenden und den Client zur Marktreife bringen. Wir wollen denkende Menschen anziehen, die «kritische Masse», die an der Erarbeitung der Realität interessiert ist, egal ob Leser, Autor, Rechercheur etc. Im Idealfall soll ein Marktplatz der Ideen entstehen, ein echter Debattenraum, in welchem stetig an der Verbesserung der Informationsgrundlage gearbeitet wird.

Das Pareto-Projekt war bisher kein Durchmarsch, es kannte Höhen und Tiefen und wir sind noch lange nicht «über den Berg» und weiter auf Hilfe angewiesen. Bisher, so kann ich sagen, wurde dieses Projekt sowohl personell als auch finanziell überwiegend aus dem Kreis der Leserschaft dieser Publikation getragen, was mich besonders freut. 

Sie haben mir vertraut, auf Basis einer blossen Idee, Sie haben dafür gespendet, Sie haben sich als freiwillige Entwickler, Designer, Tester angeboten, zuletzt bekamen wir von einem kritischen Unternehmer aus der Schweiz sogar kostenfrei zwei Top-Entwickler zur Verfügung gestellt. Ich bin unendlich dankbar für das hochmotivierte Team, das sich herausgeformt hat, sowie für die vielen helfenden Hände, die von der Idee begeistert sind – und sie lebendig halten. 

Das beste Mittel, um die Konzentration von Macht zu bekämpfen, ist dezentrale Strukturen aufzubauen. Der Machttransfer beginnt in dem Moment, wo der Einzelne beginnt, sich Kontrolle zurückzuholen. Bitcoin ist diesen Weg vorgegangen, kritische Information muss folgen. Diesem Gedanken fühlen wir uns bei Pareto verpflichtet und bieten einen Weg dafür an. 

Wenn Sie uns auf diesem Weg unterstützen wollen, freuen wir uns sehr (und auch viele kritische Autoren, die bald eine zweite zensurresistente Heimat bekommen). Uns kann es dann nie so gehen wie den Autoren von Telepolis. 


Mehr zum Pareto-Projekt finden Sie auf unserer neuen Homepage.

19. Dezember 2024
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