Gegen ihn oder für ihn?

Etwas hat Donald Trump jetzt schon erreicht: Er zwingt uns, anders zu denken. Die 100. Kolumne aus dem Podcast «Mitten im Leben»

Trump - ein Zauberwürfel, der nicht berechenbar ist (Bild Pixabay)
Trump - ein Zauberwürfel, der nicht berechenbar ist (Bild Pixabay)

Momentan haben alle eine Meinung. Alle meinen etwas zu Donald Trump. Während die einen immer noch jubeln, können es viele noch immer nicht fassen. Während die einen erst einmal abwarten wollen, sind die anderen schon enttäuscht. Aber alle stürzen sich auf die News aus Amerika. Auch ich. Und jedes Mal glaube ich, mich entscheiden zu müssen: Bin ich dagegen oder dafür?

Dass Donald Trump noch vor seinem Amtsantritt selbstsicher verkündete, den Ukraine-Krieg in einem Tag beenden zu können, stimmte mich zuversichtlich. Nun erfahren wir, dass er Putin bereits mit Sanktionen und Strafzöllen droht. Also war es ein leeres Versprechen? Das Elend des Krieges geht jedenfalls weiter. 

In seiner Rede zur Inauguration versprach Trump, alle US-Soldaten zu rehabilitieren, die aufgrund ihrer Weigerung, sich gegen Covid zu impfen, entlassen worden waren. Das begrüsse ich sehr – doch am gleichen Tag erklärte er per Dekret, die Vollstreckung der Todesstrafe forcieren zu wollen. Das begrüsse ich nicht. Zu oft erwies sich in den vergangenen Jahren ein Todesurteil in den USA als Justizirrtum. 

Ebenfalls gleich zu Beginn seiner Amtszeit beschloss der neue Regent den Austritt der USA aus dem Pariser Klimadiktat. Wunderbar! Dass er gleichzeitig seine ernsthafte Absicht kundtat, Grönland zu kaufen, befremdete mich. Kann man ein Land und sein Volk einfach kaufen?

Dass die Rückkehr der Geiseln aus der Haft durch die Hamas endlich vorankommt, ist mit Sicherheit Donald Trump zu verdanken. Aber dass er nun – wie die Extremisten in Israel – vorschlägt, die Menschen aus Gaza in benachbarte arabische Länder umzusiedeln, trübt meine Sympathie für ihn wieder. Denn sein Vorschlag tönt zu sehr nach Deportation für immer.

So geht das nun Tag für Tag. Heute applaudieren wir Trump, morgen gehen wir auf Distanz. Eben noch amüsiert er uns, weil er den Golf von Mexiko, mir nichts dir nichts, in Golf von Amerika umtaufen will – dann wieder ärgert er uns, wenn er Beschlüsse fällt und Ansichten äussert, die wir nicht gutheissen können. Wir sitzen in einer Achterbahn, und die Achterbahn gehört Donald Trump.

So wird es weitergehen. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass wir uns an Trump nicht gewöhnen können. Immer, wenn wir glauben, ihn berechnen zu können, wird er uns wieder grimmig daran erinnern, dass er nicht berechenbar ist. Seine Sprunghaftigkeit kann gefährlich sein, aber sie durchkreuzt auch unsere liebgewonnenen Denkmuster. Trump ist ein Ärgernis, eine Provokation, doch etwas hat er jetzt schon erreicht: Er zwingt die westliche Welt durch sein Beispiel, anders zu denken. Unkorrekt. Eigenwillig. Und überraschend. 

Jahrzehntelang haben die Linken, bevor sie den Staat eroberten, «unkorrektes» Denken für sich beansprucht. Sie waren die Frechen – die Bürger die Braven. Jetzt sind sie rechts überholt worden. Die «Frechen» sind heute bürgerliche Persönlichkeiten wie Trump, Elon Musk oder Javier Milei. Sie retten das freie Denken vor den Zensoren.

Freies Denken bedeutet aber nicht von vornherein «gutes» Denken. Nur Gutmenschen glauben von sich, dass sie «gut» denken. Freies Denken ist lediglich frei. Freiheit bedeutet auch Risiko. Freies Denken ist Trial and Error. Ob der neue starke Mann in Amerika «recht» haben wird, ob er die Welt zu einem besseren Ort machen wird, wissen wir nicht. 

Ich empfehle deshalb Gelassenheit. Wir müssen an Trump weder glauben, noch an ihm bereits zweifeln. Wir müssen gar nichts. Die Neutralität der Schweiz ist unsere grössere Sorge als das nächste Dekret aus dem Weissen Haus. 

30. Januar 2025
von:

Über

Nicolas Lindt

Submitted by admin on Di, 11/17/2020 - 00:36

Nicolas Lindt (*1954) war Musikjournalist, Tagesschau-Reporter und Gerichtskolumnist, bevor er in seinen Büchern wahre Geschichten zu erzählen begann. In seinem zweiten Beruf gestaltet er freie Trauungen, Taufen und Abdankungen. Der Autor lebt mit seiner Familie in Wald und in Segnas.

Bücher von Nicolas Lindt

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Cover
Vom Autor soeben erschienen:
«Orwells Einsamkeit - sein Leben, ‚1984‘ und mein Weg zu einem persönlichen Denken», lindtbooks 380 Seiten, broschiert. Erhältlich im Buchhandel - zum Beispiel bei Ex Libris oder Orell Füssli

Alle weiteren Informationen: www.nicolaslindt.ch