«Europas Strassen sind nicht aus Gold gemacht»

Der 32-jährige Gründer einer NGO in einem Slum von Kitale in Kenia bringt Frauen,Bauern und Jugendlichen Ökoanbau und Gemeinschaftsaufbau bei. Seine Gründe dafür schildert Philip Munyasia

Ich war der Jüngste von acht Brüdern einer armen Familie und wusste nie, wann ich das nächste Mal wieder etwas zu essen bekommen würde. Wie durch ein Wunder erhielt ich die Chance, zur Schule zu gehen und später in der USA für sechs Monate an einem Permakultur-Institut zu studieren. Ich war das erste Mal im Ausland. Ein Junge aus dem Slum in den USA, das war ein Traum! Von den sechs jungen Männern, die mit mir reisten, bin ich der Einzige, der zurückkehrte.

Meine Familie und Freunde glaubten, ich sei verrückt, freiwillig in diese Armut zurückzukehren. Aber ich glaubte, dass all diese Zufälle, die mir geschehen waren, einen Sinn hatten. Ich hatte die Chance zum Lernen erhalten, das hiess für mich, dass ich die Verantwortung hatte, dieses Wissen dort weiterzugeben, wo es am meisten gebraucht wird. Und das war der Ort, von dem ich kam.
Ich wusste, ich könnte wirklich etwas verändern. Ich könnte jungen Menschen helfen, Ausbildung und Arbeit zu finden, ich könnte Frauen helfen, nicht mehr so ausgeliefert zu sein.
Dafür gründete ich die gemeindegetragene Selbsthilfeorganisation OTEPIC, die in einem Slum von Kitale arbeitet. Mittlerweile hatte ich mehrmals Gelegenheit, nach Europa zu reisen, mein Wissen zu erweitern und Spenden zu erhalten, von denen ich mehrere Demonstrationsgärten anlegte. Ich sehe die Resultate meiner Arbeit, die Veränderung in meiner Gemeinde und den Vorteil, das mein Wissen meinen Nachbarn gebracht hat. Wenn ich in Europa bleiben würde, wäre das wieder ein Brain-Drain und würde das Ungleichgewicht zwischen Nord und Süd weiter verstärken.
Menschen werden zu Flüchtlingen entweder aus wirtschaftlichen oder aus politischen Gründen. Als ich kürzlich in Kassel in Deutschland war, zeigten meine Gastgeber mir eine Waffenfabrik. Die Waffen, die dort produziert werden, werden in Afrika und dem Nahen Osten eingesetzt. Da liegt der Grund für die Flucht!

Wir müssen die Lösung zusammen finden, in der globalen Gemeinschaft. Es gibt in Afrika viele kleine Initiativen, die versuchen, die Lebensverhältnisse zu verbessern und die Armut zu bekämpfen. Aber wir werden es nicht allein schaffen. Die internationale Gemeinschaft muss aktiv werden und das Kriegs- und Waffensystem beenden. Wir müssen von beiden Seiten zusammenarbeiten und Lösungen finden.
Viele Menschen in Kenia sind gehirngewaschen. Sie denken, Europas Strassen sind aus Gold gemacht. Ich versuche, das Bewusstsein dafür zu wecken, dass wir unseren Lebensstandard dort verbessern können, wo wir sind.

Gleichzeitig sehe ich in Europa das leichte Leben. Die Menschen haben keine grossen Sorgen. Du drückst auf einen Knopf und hast heisses Wasser. Essen ist einfach da, wenn du den Kühlschrank öffnest. Das ist bei uns anders. Aber es nützt nichts, vor Problemen wegzulaufen. Wir müssen sie dort lösen, wo wir sind.
In meiner Weltsicht gibt es eine global vernetzte Kette der Probleme und eine andere der Lösungen. Ich möchte Teil der Lösungskette sein. Ich möchte mein Leben als Brücke leben. Die Brücke ist klein, aber sehr wertvoll, ich möchte sie nicht zerbrechen, indem ich weggehe.
Ich möchte alle Flüchtlinge ermutigen, in ihre Länder zurückzukehren und ihr Wissen zu teilen. Sie haben ja gesehen, dass auch in Europa nicht alle Menschen glücklich sind. Ich sehe Menschen auf der Strasse liegen, ich sehe viel Einsamkeit. Ich sehe Orte, die wie Paradiese aussehen, aber die Menschen todunglücklich sind.

Aufgezeichnet von Leila Dregger