Die Schattenwelt der Reichen und Mächtigen

„Wir haben alle geahnt, wie leicht es für Reiche ist, ihr Vermögen in Scheinfirmen zu verstecken. Aber der eigentliche Skandal an den Panama-Enthüllungen ist: Deutschland selbst ist eine Steueroase! Die Regierung zeigt beim Thema Geldwäsche und Steuerflucht gern auf andere. Doch die Panama-Papiere beweisen: Diktatoren und zwielichtige Geschäftsleute verbergen ihre Vermögen auch in Deutschland. In der Rangliste undurchsichtiger Finanzplätze liegt Deutschland auf Platz 8 – also weit vor Panama“, heißt es in einem campact-Appell, der Schluss machen will mit den politischen Nebelkerzen und der „Schäuble-Show“ gegen Steuerflucht, die vor allem eines ist: eine Farce. Und tatsächlich wäre zurzeit wenig so notwendig wie dies: ein konzertiertes Vorgehen gegen die Kollaboration aus Reichen und Mächtigen und Politikern weltweit – gegen Steuerflucht, Steuersenkung, Steuervermeidung und die permanente Umverteilung und alsdann Unsichtbarmachung des gesellschaftlichen Reichtums, die eine immer weitere Verarmung und Verelendung breiter Bevölkerungsschichten allerorten zeitigt. Doch was muss man hierzu wissen? Was sind die Fakten? Und was verschweigen die Medien uns? Zu diesen Fragen sprach Jens Wernicke mit Markus Meinzer, Vorstandsmitglied im Tax Justice Network und Autor des Buches „Steueroase Deutschland“.

Herr Meinzer, alle reden über Panama; offenbar wurde alles Böse am Kapitalismus vor Kurzem hierhin ausgelagert. Ist Panama denn das Problem? Und geht es, wie uns die öffentliche Debatte zurzeit leicht glauben macht, vor allem um „Steuerbetrug“ und „Briefkastenfirmen“
Nein, es geht um ein tieferliegendes, fundamentales Problem, das unsere Demokratie und Marktwirtschaft in ihren Grundfesten bedroht. Denn was Schattenfinanzplätze am Fließband herstellen, ist systematische Rechenschaftslosigkeit. Diese wird ermöglicht durch rechtlich verbriefte Geheimhaltungsinstrumente, die einer schmalen Schicht wirtschaftlicher und politischer Eliten aus aller Herren Länder feilgeboten werden. So entsteht ein kriminogenes Klima.
Darum ist das Relevante, ist der wirkliche rote Faden in den Panama-Papieren auch die Geheimhaltung, die es „Kunden“ ermöglicht, unethische oder illegale Erträge aus Korruption, Steuerhinterziehung, Drogengeld und vielem anderen zu verwalten oder zu waschen.
Um der Strafverfolgung und Verantwortung entgehen zu können, sind diese auf Verschleierung angewiesen – häufig, indem sie Briefkastenfirmen, Trusts und Stiftungen nutzen, die in den meisten Ländern der Welt verfügbar sind. Vermittler wie Anwälte, Notare, Family Offices und Banken helfen dabei, diese Strukturen zu errichten und zu verwalten.
Diese Vermittler sitzen in allen großen Finanzplätzen der Erde – eben auch in Frankfurt und Deutschland. Ohne die zumindest stillschweigende Duldung durch diese Staaten könnte die Vermummung von Offshore-Investoren gar nicht stattfinden – die Souveränität Panamas hin oder her.

Deutschland und auch die USA stehen im sogenannten „Schattenfinanzindex“ ja weit vor Panama. Was bedeutet das konkret? Und was meint „Schattenfinanz“?
Schattenfinanzplätze – ich verwende den Begriff synonym mit „Steueroase“ – machen Gesetze, die es Ausländern ermöglichen, Gesetze ihrer Heimatländer zu brechen oder zu umgehen – zum Beispiel Gesetze zur Korruptionsbekämpfung, Geldwäscheregeln zu Drogen-, Waffen- und Menschenhandel oder eben Steuergesetze. Wichtiger als die Steuergesetze in den „Oasen“ sind deshalb Geheimhaltungsregeln, wie etwa das Bank- oder Steuergeheimnis.
Diese rechtlich verbrieften Geheimhaltungsinstrumente ermöglichen es, unerkannt dubiosen Geschäften nachzugehen. Sie verhindern, dass Ermittler, Fahnder und Steuerbehörden rechtskräftige Beweismittel über illegale Aktivitäten sammeln und Gerichtsverfahren führen können. Das ist der Denkschritt, der für das Verständnis der Dynamik von Steueroasen entscheidend ist: nicht Inländer ziehen den Nutzen aus den Gesetzen, sondern die Person von anderswo, der geholfen wird, Regeln im Heimatstaat zu brechen. Und die Geheimhaltung ist das entscheidende Mittel dafür.
Das meinen wir mit Schattenfinanz: Ein internationales Offshore-Finanzsystem, in dem verschiedene Rechtsräume ineinandergreifen, und in welchem illegitime und illegale weltumspannende Finanzströme abgewickelt werden können – weitgehend ohne Rechenschaftspflichten und jenseits des Arms der Justiz.
Im Schattenfinanzindex kombinieren wir zwei Elemente miteinander. Zum einen messen wir die rechtlich verbriefte Geheimhaltung für Steuerausländer – also etwa, welche Arten von Informationen im Handelsregister gespeichert werden, wie das Bankgeheimnis und der Datenaustausch mit anderen Ländern funktioniert, ob Geldwäscheregeln umgesetzt werden usf. Die zweite Komponente gewichtet dann diesen Geheimhaltungswert anhand des Marktanteils des jeweiligen Landes am globalen Offshore-Finanzmarkt. Dafür lehnen wir uns an eine Methode des IWF an und nutzen dessen Zahlen zu Finanzdienstleistungsexporten. Die Gewichtung ist nötig, um die relative weltweite Verantwortung und das Schadenspotential, das von den Gesetzen bzw. deren Lücken ausgeht, auch wirklich beziffern zu können. Allein auf die Geheimhaltung abzustellen, würde nämlich verkennen, dass Somalia vielleicht extrem intransparent ist, aber niemand, der noch ganz bei Sinnen ist, sein Geld einem Anbieter dort anvertrauen würde. Die Reputation und die Möglichkeit, in einen tiefen Finanzmarkt abtauchen zu können, sind für illegale oder illegitime Geschäfte entscheidend.
Nach dieser Definition sind weder Deutschland noch die USA nur Opfer von Steueroasen, sondern inzwischen selbst gewichtige Teile des Problems. Natürlich sind die Leidtragenden in Deutschland und den USA dabei nicht dieselben, die für die problematischen Gesetze verantwortlich zu machen sind: Während der Großteil der Bevölkerung in Deutschland oder den USA unter dem Schattenfinanzsystem und dessen Folgen wie Verschiebung der Steuerlast hin zu Lohn- und Konsumsteuern , korrumpierter Politik und verzerrten Märkte zu leiden hat, sind die Lobbyverbände und Entscheider oft selbst Teil einer schmalen Elite, die in der Versuchung stehen, sich des Offshore-Finanzsystems zu bedienen. Einfach zu sagen, dass „Deutschland“ sowohl Täter als auch Opfer sei, verdeckte diese kleine, aber feine Nuance: Deutschland besteht, wie alle anderen Länder auch, aus Herrschenden und Beherrschten, wenn Sie so wollen; Gewinnern und Verlierern dieser Dynamiken, dieses Systems.

Es geht also, wenn ich recht verstehe, um internationale Strukturen, um alles andere als „nur Panama“ – und es geht auch und vor allem um mehr als „Steuerbetrug“? Das Wort „Steuervermeidung“ taucht hier gelegentlich auf. Ist das der Kern des Problems?
Der Bereich zwischen Steuervermeidung und Steuerhinterziehung ist in der Regel ein Graubereich und eine scharfe Trennlinie ist nicht zu ziehen. Denn eine globalisierte Steuervermeidungsindustrie aus hochspezialisierten Anwalts- und Wirtschaftsprüfungskanzleien nutzt die entstehenden Lücken eines nicht-harmonisierten Steuerrechts weltweit weidlich aus. Um ausufernde Gerichtsauseinandersetzungen um grenzwertige Steuervermeidungsmodelle zu vermeiden, lassen sich Steuerbehörden allzu oft auf einen Vergleich mit den Unternehmen ein, der die Rechtslage nicht nachhaltig klärt. Strafzahlungen im hohen Millionenbereich sind nicht selten.
Diese Steuervermeidungsindustrie berät alle, die es sich leisten können dabei, Gesetze nicht nur zu brechen, sondern auch und vor allem zu beugen und zu umgehen. Die Gesetze werden im Steuerbereich nicht selten direkt von diesen, auch als Experten überall hofierten, Lobbyisten geschrieben. Kein Wunder; spielt sich in diesem Bereich vieles inzwischen in einem rechtlich ungeklärten Graubereich ab. Die Gesetze sind oft zu schwammig und unpräzise, als dass strafbares Verhalten nachgewiesen werden könnte, obwohl die Handlungen und Wirkungen eklatant von der Absicht des Gesetzgebers abweichen.
„Big Pharma“ beispielsweise ist hier ganz vorne mit dabei. Ein erhellender Artikel dazu erschien gerade im Standard. Dort heißt es etwa:
„Anhand von Pfizer lässt sich zeigen, wie es vom Prinzip her läuft. Der US-Konzern hortet einen riesigen Geldbetrag auf seinen Konten im Ausland – die Rede ist von 74 Milliarden US-Dollar. Würde das Geld zurück in die USA geholt, wären hohe Steuerzahlungen fällig. Ein Heer von Steuerberatern sucht im Auftrag von Pfizer und Branchenverwandten Schlupflöcher, um die Steuerlast zu minimieren. Lange Zeit ging das relativ einfach: Ein in den USA beheimateter Konzern musste sich nur von einem anderen Unternehmen aufkaufen lassen, das in einem Steuerparadies wie Irland, Luxemburg oder der Schweiz beheimatet war. Schon konnte er von den viel tieferen Steuersätzen profitieren. Diesen Weg wollte Pfizer auch mit Allergan einschlagen, man spricht in dem Zusammenhang von „tax inversion“. Allergan war früher selbst ein amerikanisches Unternehmen, bevor das Headquarter nach der Übernahme durch den irischen Konzern Actavis nach Dublin verlegt wurde. Die US-Verbindung ist unverändert da, das operative Geschäft wird von Kalifornien aus gesteuert.“


Teilen Sie diesbezüglich denn diese Aussage von Wolf Wetzel im NachDenkSeiten-Interview? Wetzel sagte: „Bei den über 240.000 ‚Scheinfirmen‘ in Panama ist in aller Regel Steuerhinterziehung tatsächlich ein nachrangiges, ja, geradezu nebensächliches Phänomen: In erster Linie dienen die „Briefkastenfirmen“ dazu, Geld aus den normalen, also überprüfbaren Geschäftsbüchern bzw. -bilanzen herauszunehmen, um es für extra-legale Zwecke zu verwenden. Das wissen alle: die Banken, die Nutznießer und die Regierungen. Denn diese nicht bilanzierten Gelder werden für Schmiergeldzahlungen, für Bestechungen und für staatsterroristische Zwecke verwandt; ihr Vorhandensein ist kein Geheimnis auf dem internationalen Parkett. Anders gesagt: Wenn der Siemens-Konzern Millionen von Euro an Bestechungsgeldern auszahlte, um Aufträge zu bekommen, also Regierungsbeamte schmiert, dann wäre es nicht besonders geschickt, wenn man dies unter ‚außergewöhnliche Aufwendungen‘ in den Geschäftsbüchern wiederfände.“
Ich kann diese Aussage nicht definitiv bestätigen, aber auch nicht endgültig entkräften. Wir sehen in verfügbaren Studien, dass der größte Anteil illegaler grenzüberschreitender Finanzströme weltweit eher nicht auf Korruption bzw. Bestechung zurückgeht, sondern Steuern die wichtigste Komponente darstellen, gefolgt von Geldwäsche der Branchen organisierter Kriminalität, also für Drogen-, Waffen-, Menschen-, Organ-, und Tropenholzhandel.
Das Volumen aus klassischer Korruption steht danach eher an dritter Stelle. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass der Schaden dieser Korruption nicht enorm groß ist: Studien in diesem Feld sind zwangsläufig mit vielen Unsicherheiten behaftet, weil sie ein Dunkelfeld versuchen zu erhellen – mit allen methodischen Schwierigkeiten.
Erschwert wird dies noch durch die bisherige Weigerung wichtiger internationaler Institutionen wie der Weltbank, dem IWF, der OECD oder der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, ihre privilegierten Datenzugänge für transparente, robustere Schätzungen zu verwenden oder zur Verfügung zu stellen.

Welche Folgen hat all das denn global? Wozu führt dieses „Schattenfinanzsystem“?
Die Ausschaltung der Rechenschaftspflicht wirtschaftlicher und politischer Eliten ist gegenwärtig wohl die größte Bedrohung für Demokratie und Marktwirtschaft weltweit. Denn das Schattenfinanzsystem schützt die sich polarisierende Vermögens- und Einkommensungleichheit sowie die Straflosigkeit großangelegter Korruption auf höchster Ebene. Es wird benötigt, um Schmiergelder für illegale Regenwaldabholzung zu bewegen, Kriege zu finanzieren und Steuern zu hinterziehen.
Im globalen Maßstab schützt das Offshore-Finanzsystem auch gigantische illegale Kapitalbewegungen aus der südlichen Hemisphäre in die westlichen Finanzzentren. Unter dem Strich belaufen sich die in Miami, London, Frankfurt oder Zürich angelegten Fluchtvermögen der Eliten aus Schwellen- und Entwicklungsländern auf ein vielfaches der Auslandsschulden dieser Staaten. In letzter Konsequenz bedeutet das, dass die ärmsten Länder der Welt unter dem Strich uns, dem Westen bzw. globalen Norden, Kredit gewähren und unseren Lebensstil mitfinanzieren.

Also ausgenutzt und ausgebeutet werden… Welche Verantwortung trägt Deutschland und trägt die deutsche Regierung für dieses „System“ denn konkret?
Deutschland verteidigt maßgeblich den Status Quo in internationalen Foren, etwa wenn es darum geht, Entwicklungsländern endlich ein vollwertiges Mitspracherecht bei der Ausgestaltung der internationalen Steuerregeln zu gewähren, indem es konsequent die Aufwertung der Vereinten Nationen im Steuerbereich zugunsten der OECD blockiert.
Außerdem rollen deutsche Gesetze ausländischen Steuerkriminellen den roten Teppich aus, etwa weil Steuerausländer keine Quellensteuer auf Zinserträge in Deutschland bezahlen müssen. Damit sind Zinsen auf Bankguthaben, Staats- und Unternehmensanleihen und verzinsliche Investmentfondsanteile steuerfrei. Gleichzeitig unterbleibt eine Mitteilung an die Heimatfinanzbehörden fast immer. Somit können diese Vermögen faktisch steuerfrei und ohne nennenswertes Entdeckungsrisiko in Deutschland versteckt werden – genauso, wie wir das umgekehrt von der Schweiz kennen.
Auch nach Einführung des neuen, automatischen Informationsaustauschs steht zu befürchten, dass sich an dieser Praxis nur marginal etwas ändern wird. Denn Entwicklungsländer profitieren erst dann von Daten, wenn sie umgekehrt bereit sind, Daten zu liefern: warum bitteschön soll Malawi an Deutschland Daten über deutsche Anleger in der Wüste liefern, wo jedem klar ist, dass niemand sein Geld dorthin bringt? Faktisch werden durch diese Auflage jene von der neuen Transparenz ausgeschlossen, die sie am dringendsten nötig hätten. Außerdem sorgen zig Schlupflöcher im Abkommen dafür, dass dessen Wirksamkeit völlig in den Sternen steht.
Darüber hinaus haben inländische Banker keine Sanktionen zu befürchten, selbst wenn sie wissentlich und vorsätzlich bei der Hinterziehung ausländischer Steuern behilflich sind und erwischt werden. Anders als in Großbritannien, Frankreich oder selbst Singapur hindert sie in Deutschland keine Strafrechtsnorm daran.
Man kann das Potential für Steuerhinterziehung sogar beziffern: Anhand von Bundesbankzahlen lässt sich zeigen, dass im August 2013 zwischen 2,5 und 3 Billionen Euro an solchen verzinsten Finanzanlagen von Steuerausländern im deutschen Finanzsystem angelegt waren. Wie viel davon Schwarzgeld ist, kann zwar niemand seriös sagen. Alle verfügbaren Studien zeigen allerdings: Wenn Menschen ihr Geld über die Grenze bringen, ist Steuerhinterziehung die Regel und nicht die Ausnahme.
Außerdem spielt der deutsche Bankensektor eine Schlüsselrolle zwischen Ost und West. Deutsche Banken öffnen über die Korrespondenzkonten das wichtigste Einfallstor in den Euro-Währungsraum für Banken aus aller Welt: Diktatoren und Kleptokraten aus aller Welt nutzen gern deutsche Banken, um ihre gestohlenen Vermögen anzulegen oder zu bewegen. Finanzbeziehungen nach Deutschland hatten etwa Pinochet und Mobutu, aber auch jüngere Kleptokraten wie Janukowitsch, Gaddafi, Mubarak, Ben Ali, aber auch Nijasov, Saddam Hussein und Paul Biya. Indem deutsche Banken das Geld dieser Diktatoren und Kleptokraten annehmen, machen sie sich zu Unterstützern von deren Unrechtsregimen oder Raubzügen.
Die Öffentlichkeit erfährt von diesen Despotengeldern, wenn überhaupt, nur durch Zufall, aufgrund von Indiskretionen und dann äußerst lückenhaft. In aller Regel wird darüber hierzulande eisern geschwiegen. Nur wenn die Vereinten Nationen Sanktionen erlassen, etwa im Rahmen militärischer Konflikte, tauchen manche Bruchstücke der Wahrheit in der Öffentlichkeit auf. Beispielsweise ging während des Arabischen Frühlings, nachdem Sanktionen verhängt worden waren, durch die Presse, dass auch Gaddafi, Mubarak und Ben Ali Konten in Deutschland hatten. Details wurden aber kaum öffentlich, etwa um welche Summen es ging, und bei welchen Banken diese Gelder lagen.

Es gilt also in aller Deutlichkeit: „Für Vermögende machen Banken alles!“.
Wenn Sie so wollen, ja.

Wie läuft so eine „Geldverschiebung“ denn genau ab? Und wieso müssen die Akteure hierbei keine Strafe befürchten, „leisten“ sich derlei Handeln noch?
Zum einen droht keine Strafe, weil es große Strafbarkeitslücken im deutschen Geldwäschegesetz gibt. So macht es die Politik deutschen Banken, Maklern und Notaren bislang leicht, gestohlene ausländische Vermögen zu verwalten. Denn noch immer gilt in Deutschland: So lange Korruptions-Straftaten wie Untreue, Vorteilsnahme oder Erpressung im Ausland begangen werden, darf ein deutscher Banker das Geld annehmen und verwalten – sogar im Wissen, dass das Geld aus diesen Straftaten stammt.
Möchte etwa ein afrikanischer Minister für Straßenbau ein Konto zum Erwerb und Unterhalt einer Luxusjacht in Deutschland eröffnen, und bekundet offen gegenüber dem deutschen Banker, dass er die Millionen von seinem Budget für den Straßenbau abgezwackt hat, dann darf sich der deutsche Banker die Hände reiben. Der Banker riskiert nichts außer seinem Gewissen – kein Gesetz bedroht ihn in Deutschland mit Strafe, wenn er das Geld annimmt.
Doch selbst wenn solche Geschäfte im Spiel sind, die auch nach deutschem Recht als Vortat zur Geldwäsche zählen, ist die Überprüfung der Herkunft der Gelder äußerst lasch oder wird anhand von Kriterien vorgenommen, die unbekannt bleiben und von niemandem angefochten werden. Im Zweifelsfall wird das Geld angenommen, weil man den Kunden nicht an die Konkurrenz verlieren will. Und wenn doch mal ein Diktator auffliegt oder zur Persona non grata erklärt wird, werden hektisch Verdachtsanzeigen abgegeben. Die Politik und Aufsicht jedoch schweigt zur Frage, ob diese Gelder überhaupt angenommen werden durften.
Es drohen keine Gefängnisstrafen, behördliche Untersuchungen unterbleiben und auch die Aufsicht BaFin droht nicht damit, den Namen der Bank in Verbindung mit solchen Fällen zu bringen. Darum sehen Banken keine Veranlassung, wirklich etwas am Geschäftsmodell zu ändern. Das höchste wegen Verstößen gegen das Geldwäschegesetz von der BaFin bis 2013 verhängte Bußgeld belief sich auf knapp über 50.000 Euro. Das bezahlen Banken gern aus der Portokasse. So bleibt alles beim Alten.

Unter Experten gilt Deutschland ja sogar als Geldwäscheparadies. Woran liegt das?
Das liegt zum einen an Gesetzeslücken, zum anderen am laschen Vollzug auch aufgrund der stiefmütterlichen Behandlung dieses Themas durch die Politik. Gesetzeslücken etwa bestehen bei der Verfolgung des organisierten Verbrechens – Stichwort: Eigengeldwäsche und der Abschöpfung von Mafia-Vermögen, aber auch bei der Definition der Straftaten, die als Geldwäsche gelten. So gilt die Annahme und Verschleierung von Geldern aus den häufigsten Korruptionsstraftaten in Deutschland eben nicht als Geldwäsche. Ganz ähnlich, wie für die Steuerhinterziehung erläutert, gilt somit für inländische Banker, dass diese nach geltender Rechtslage wissentlich und vorsätzlich Geld aus Vorteilsnahme, Untreue und sogar Erpressung annehmen dürfen. Solange diese Straftaten im Ausland begangen wurden, haben sie hierzulande keine Strafverfolgung zu befürchten.
Was die Anwendung der Gesetze und die behördliche Aufsicht angeht, sind die Probleme noch gravierender. Im gewerblichen Nicht-Finanzsektor etwa – also bei Anwälten, Notaren, Immobilienmaklern oder Luxusguthändlern – sind Geldwäschemeldungen eine Rarität. Auch die staatliche Aufsicht ist im Nicht-Bankenbereich völlig chaotisch organisiert, obwohl dort laut jüngsten Studien ein ebenso großes Geldwäscherisiko besteht wie im Finanzsektor. Aber auch im Finanzsektor kommen seit Jahren aus Hessen auffällig wenige Verdachtsmeldungen, auch wenn hier die meisten Großbanken ihr internationales Geschäft aufgestellt haben.
Die zentrale Achillesferse der Geldwäscheprävention ist die Ermittlung der wirtschaftlich Berechtigten von Konten, Rechtskonstrukten, Immobilien und Kunden des Online-Glücksspiels oder von Luxuswerften. Seit Jahren ist bekannt, dass eine im Gesetz vorgesehene Ausnahme zur Bestimmung der wahren Eigentümer häufig bei hochriskanten Geschäften angewandt wird. Statt der die Fäden ziehenden Person wird stattdessen ein Strohmann, etwa der Vorstand einer Briefkastenfirma, in die Dokumente eingetragen.
Was die Rechtsanwendungspraxis betrifft, ist ein weiteres großes Problem, dass einerseits Justizminister den Staatsanwaltschaften detaillierte Weisungen geben können, bisher aber die Geldwäsche besonders bei Wirtschafts- und Steuerkriminalität kaum verfolgen lassen. Auch für Staatsanwälte sind diese Fälle nicht attraktiv: sie dauern lange, sind kompliziert und riskant, und machen keine gute Statistik. In der aktuellen Beförderungslogik steigen Staatsanwälte auf, die statistisch glänzen. Also gilt: lieber hundert Kleinkriminelle oder per Spam-Mail gelockte Mini-Geldwäscher aburteilen, als wenige große Verfahren zu riskieren, die schnell Jahre dauern können – auch wenn dort das Zigfache zu holen wäre und organisierte Banden am Werk sind.
Das lässt sich auch an der Rechtsanwendungspraxis des § 129 Strafgesetzbuch zur Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung ablesen. Es gibt sehr wenige Verurteilungen aufgrund des „Mafia-Paragraphen“, der eine Freiheitsstrafe von maximal fünf Jahren vorsieht. Im Jahr 2012 wurden in Deutschland gerade einmal sieben Personen wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung im In- oder Ausland verurteilt, davon wurden sechs Freiheitsstrafen verhängt, die aber allesamt zur Bewährung ausgesetzt wurden und deren Strafmaß in keinem der Fälle zwei Jahre überstieg.

Wie kann gegen dieses „Schattensystem“ denn angegangen werden? Was täte not?
Ein entscheidender Schritt wäre es, die wirtschaftlich Berechtigten von Firmen und Trusts ausnahmslos in einem öffentlich zugänglichen Register zu identifizieren. In der aktuellen Novellierung der Anti-Geldwäsche-Richtlinie ist vorgesehen, ein Register der wirtschaftlichen Eigentümer von Briefkastenfirmen einzuführen. Im November 2014 hat jedoch die Bundesregierung – gemeinsam mit unter anderem Malta und Zypern – die verpflichtende Offenlegung dieses Registers verhindert: Die Veröffentlichung ist erlaubt, aber nicht verpflichtend.
Dieselbe Novellierung der EU-Richtlinie sieht sogar vor, die Eintragung von Scheindirektoren anstelle der wirtschaftlich Berechtigten zu legalisieren. Auch werden Schlupflöcher für Trusts bestehen bleiben. Damit würden die Register weitgehend nutzlos werden, denn es ließen sich darin im Zweifelsfall nur Informationen zur Vorstandsebene finden, die in den meisten Gebieten bereits öffentlich zugänglich oder von Behörden leicht in Erfahrung zu bringen sind.
Außerdem möchte das Finanzministerium noch immer den Zugriff auf das Register auf Ermittlungsbehörden und Banken beschränken und nur bei „berechtigtem Interesse“ auch Dritten partiellen Einblick gewähren. Das soll nach in Deutschland und weltweit gelten. Zwar soll das Register „auch entsprechend spezialisierten Nichtregierungsorganisationen und Fachjournalisten offenstehen können“, aber nur, wenn diese Organisationen ihre Ergebnisse den Behörden zur Verfügung stellen. Damit drohen diese ihre Unabhängigkeit zu verlieren und ihre Quellen möglicherweise nicht mehr schützen zu können.
Ferner führt ein derart eingeschränkter Zugriff zu neuer Bürokratie und hohen Verwaltungskosten. Wie möchte schließlich das Finanz- oder Justizministerium prüfen, ob eine Organisation aus Nicaragua oder Indien fachlich den deutschen Anforderungen genügt? Weil diese Zugangsbeschränkungen „schwer zu kontrollieren, schwer umzusetzen und kostspielig“ seien, beschloss jüngst das niederländische Finanzministerium, die Registerdaten öffentlich zu machen. Damit schloss es sich Großbritannien an, das ebenfalls ein öffentliches Register einführen wird.
Die wichtigsten Argumente für die Offenlegung der Registerdaten sind aber die Effekte über Deutschland und Europa hinaus sowie die Qualität der Daten. Öffentliche Register haben das Potenzial, eine Transparenzwirkung weit über die EU hinaus bis in notorische Schattenfinanzzentren hinein zu entfalten, weil sie auch alle Briefkastenfirmen betreffen würden, die sich in deutschen Handelsregistern als Aktionäre eintragen lassen möchten: Hunderttausende Offshore-Firmen dürften sich heute im deutschen Handelsregister tummeln, die aus Zypern, Curacao oder der Ukraine hier Geschäfte betreiben. Ein guter Teil davon dürfte letztlich Eliten aus Schwellen- und Entwicklungsländern gehören, die sich deutscher Rechtspersonen bedienen, um Vermögen zweifelhaften Ursprungs zu verwalten. Die meisten scheuen das Licht der Öffentlichkeit. Bleiben diese Daten nur Behörden zugänglich, können Entwicklungs- und Schwellenländer kaum Nutzen aus der neuen Transparenz ziehen. Diese sind jedoch die Hauptleidtragenden der gegenwärtigen Intransparenz.
Der Wortlaut des entsprechenden neuen Passus in § 9a im Geldwäschegesetz liegt dem Tax Justice Network und dem Netzwerk Steuergerechtigkeit Deutschland vor. Eine Analyse offenbart gravierende Mängel, welche zur Wirkungslosigkeit des Registers führen werden.

Der Kampf für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie auf diesem Feld wird nicht umhinkommen, die Mächtigsten der ganzen Welt zu konfrontieren … Wie schätzen Sie – in Anbetracht der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse – denn „unsere“ Chancen in diesem Kampf ein?
Solange die genannten Arten von Fehlverhalten in Deutschland weder strafrechtlich verfolgt noch an die Öffentlichkeit gebracht werden, gibt es für Banken keinerlei Anreize, ihr Verhalten zu ändern. Reputationsschäden durch Veröffentlichung von Details zu den Verstößen, die den Aktienkurs unkalkulierbar beeinflussen sowie Gefängnisstrafen für Vorstandsmitglieder oder hohe Angestellte der Banken sind die einzigen Mittel, die helfen würden. Leider sehen wir hier weder bei der BaFin noch bei den Staatsanwaltschaften bzw. deren politischer Leitung den Willen, entsprechend durchzugreifen.
Dass es auch anders geht, zeigt ein Blick in die USA: Diese verfolgen im Gegensatz zu Deutschland mit milliardenhohen Strafzahlungen öffentlichkeitswirksam die Integrität ihres Währungsraumes. Ein ähnliches Vorgehen würde ich mir auch von deutschen und europäischen Behörden wünschen. Ein konkreter, erster Schritt müsste in Deutschland sein, Verstöße gegen das Geldwäschegesetz im Finanz- und Nicht-Bankensektor zu veröffentlichen, Bußgeldbeschlüsse zu veröffentlichen, die Strafbarkeitslücken bei der Geldwäsche zu stopfen, Strafverfahren gegen Banker einzuleiten und in öffentlichen Gerichtsverhandlungen auszufechten, das Steuergeheimnis für große Kapitalgesellschaften und bei Gerichtsurteilen und -prozessen einzuschränken und eine offizielle, öffentliche Untersuchung zu Kleptokraten- und Diktatorengeldern in Deutschland anzustoßen. Dadurch würden die Kosten von Fehlverhalten im Finanzsektor durch Gefängnisstrafen und Reputationsschäden unkalkulierbar werden – eine Voraussetzung für eine Verhaltensänderung.
Ein Unternehmensstrafrecht mit umfassendem Hinweisgeberschutz täte außerdem dringend Not, um solche Ermittlungen leichter durchführen zu können. Die strafbefreiende Selbstanzeige und Daten-CD-Ankäufe setzen genau die falschen Anreize: sie machen einerseits aus Tätersicht die Kosten einer Straftat kalkulierbar, bei Garantie der Straffreiheit, und belohnen Hinweisgeber im Vorfeld ohne Transparenz und Verlässlichkeit. Die USA machen es umgekehrt: Dort gibt es keine Garantie der Straffreiheit für Selbstanzeigende oder Hinweisgeber, aber eine kalkulierbare, anteilige Belohnung nach Abschluss der Verfahren.
Auch brauchen wir dringend die bereits angesprochenen öffentlichen, maschinenlesbaren Register über die wirtschaftlich Berechtigten von Firmen und Trusts. Damit könnte die Achillesferse der Geldwäschebekämpfung wirkungsvoll gestärkt werden. Aber auch im Konzernsteuerbereich sind länderspezifische Berichtspflichten überfällig. Die deutsche Regierung muss ihre Blockaderolle hier dringend aufgeben – sie ist derzeit wieder Hauptursache dafür, dass die Transparenzregeln des EU-Parlaments verwässert werden.
Kurzum: Wir benötigen eine Transparenz-, Schlupflochschließ- und Strafrechtsvollzugsrevolution im deutschen Finanz- und Steuerwesen. Und einen langen Atem dazu: ganz ähnlich wie die Beendigung des Sklavenhandels in Großbritannien mindestens das ganze Leben von William Wilberforce gedauert hat, so sollten auch wir uns auf einen Marathon einstellen. In einem Sprint wird uns die Puste ausgegangen sein, bevor das Schattenfinanzsystem abgeschafft wurde. Leider entfalten die globale Gegenbewegung aus der Zivilgesellschaft unter dem Dach der und das Tax Justice Network wegen Engpässen in der Finanzierung noch immer nicht die Schlagkraft, die nötig und möglich wäre. Hier hoffe ich, dass mehr Menschen auch aus Deutschland bereit werden, diese entscheidende Arbeit zu fördern.

Ich bedanke mich für das Gespräch.

Markus Meinzer studierte an der Freien Universität Berlin und an der University of Sussex Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre als Zusatz-Wahlfach. Er ist Vorstandsmitglied sowie Finanz- und Steueranalyst beim . Seine Arbeitsschwerpunkte sind der Schattenfinanzindex sowie der automatische Informationsaustausch. Zudem ist er Mitglied der Expertengruppe der EU-Kommission zum automatischen Informationsaustausch und Autor des Buches „Steueroase Deutschland“.

Dieser Text erschien zuerst auf den "NachDenkSeiten - die kritische Website". Die Verwertung durch uns erfolgt im Rahmen der Creative Commons Lizenz 2.0 Non-Commercial, unter welcher er publiziert wurde.

19. Mai 2016
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