Vom Professor zum Museumswärter

«Um das wieder gut zu machen, was ich angerichtet habe, müsste ich etwa 500 Jahre leben», sagt Jan Suter über seinen früheren Lebensstil. Vor seinem blau gestrichenen Müsli-Gestell sieht er nicht gerade aus wie einer, der sich für seine Vergangenheit entschuldigen müsste.
Als Projektleiter bei Max Havelaar entwickelte er den Orangensaft. «Ich trinke den nicht, der ist aus Konzentrat», sagt der 47-jährige Basler heute. Die einzig vernünftige Version eines Orangensaftes sei es, während der Saison zwei Früchte auszupressen. Suter öffnet ein grosses Schraubglas mit getrockneter Zitronenmelisse und lässt die Blätter in die Tassen rieseln. «Selbst gesammelt?», frage ich. Suter hat sie im Bioladen gekauft. Er ist Vegetarier, auf dem Weg zum Veganer, Décroissance-Mitglied mit einem ökologischen Fussabdruck von 1,5 Erden.

«Je mehr du verdienst, desto mehr konsumierst du!» Hier hat sich Suter selbst den Riegel geschoben. Wer 2100 Franken im Monat verdient, muss beim Konsumieren automatisch Selbstbeschränkung üben. Für Suter ist sein Teilzeitjob als Museumsaufseher «eine Übung in Demut». «Jetzt ist man der Aufseher, der weiss wo der Ausgang, wo das WC ist und wie lange man offen hat.» Fast scheint es, als habe sich Suter lange danach gesehnt, unwichtig zu sein, keine Entscheidungen fällen zu müssen. Wie damals, als er Verlagsleiter von K-tipp war, der meistabonnierten Zeitschrift der Schweiz.
Jan Suter lebt in einer Mansarde auf 17 qm in Möbeln aus der Brockenstube. «Ich ziehe häufig um», sagt er. So oft, dass er demnächst in eine Wohnung zieht, in der er schon einmal gewohnt hat. Suter hat einen Laptop, ein Festnetztelefon, aber kein Handy. «Mein Bruder meint, Handys seien ein Teil unserer Kultur. – Hatten wir vor 15 Jahren noch keine Kultur?» Zweimal die Woche trifft man Suter im «Unternehmen Mitte» in Basel beim Mails checken und Zeitung lesen. Ab und zu übernachten Freunde oder Suters Freundin in der Wohnung. «Ich weiss man glaubt kaum, dass hier zwei Leute wohnen können», schmunzelt Suter, als er meinen Blick durchs Zimmer schweifen sieht. Wo ist das Bett? Das Sofa kommt weg und Suter rollt den roten Futon und eine Schaumgummimatte aus. Auch die Küche ist für Verliebte: hier kann man nur eng umschlungen Rüebli dünsten, und der Kühlschrank ist abgestellt.

Suter hat Zeit, Zeit die er auch gerne für andere aufwendet. 2009 war er drei Monate als Menschenrechtsbeobachter in Palästina, dort hat er sogar manchmal etwas Fleisch gegessen, der Gastfreundschaft zuliebe. Der ehemalige Gewerkschaftssekretär engagiert sich am liebsten auf Anfrage, gibt Rechtstipps, Lerncoachings oder hilft auch mal bei Waldarbeiten in einer buddhistischen Dorfgemeinschaft. Wer meint, seine gute Ausbildung verpflichte ihn der Gesellschaft etwas zurück zu geben, hat ihn nicht verstanden. «Zurückgeben kann doch nicht heissen, für ein fürstliches Salär Dinge zu tun, die unseren überhitzten Lebensstil in Konsum, Mobilität, Ressourcenverbrauch weiter anheizen» – auch nicht als Mitarbeiter scheinbar «guter» Institutionen wie einer Fachhochschule, wo Suter kurze Zeit als Professor an der Ökonomisierung des Bildungs- und Sozialbereichs mitwirkte. Suter versucht, auf dem schmalen Grat zwischen Askese und verantwortlichem Konsum zu gehen und dem Ideal von «Zorba the Buddha» nachzuleben, wie es der indische Guru Osho formuliert hat: Nicht lustfeindlich, aber der eigenen Handlungen bewusst. Deshalb sündigt er gelegentlich, etwa bei Süssigkeiten mit unbekannten Inhaltsstoffen oder wenn er von seinem neuen Velo träumt, ganz in Pastellfarben. «Du siehst dich da drauf sitzen und es ist Frühling», sagt Suter, der sogar einmal im Gefängnis war. Wegen Wehrdienstverweigerung. 

Mehr zum Thema «Wachstumsfalle» im neuen Zeitpunkt 112 «Downsizing»:
http://www.zeitpunkt.ch/archiv/2011/112-downsizing-wege-aus-der-wachstumsfalle.html

10. März 2011
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