Vorwurf: Antisemitische Verschwörungstheorien

München: Linker israelischer Historiker Ilan Pappe durfte trotz Protests der Stadtgesellschaft Vortrag halten, schreibt Marko Dejanovic
Veröffentlicht: 28. Nov 2023 - Zuletzt Aktualisiert: 28. Nov 2023



Im Bürgerzentrum »Kultur im Trafo« in München referierte am Montag der linke israelische Historiker Ilan Pappe, der Saal war voll besetzt, zum Thema »Palästina – Israel: wie weiter?« Der Verein »München ist bunt« hatte zuvor unter dem Motto »Gegen antisemitische Verschwörungstheorien« protestiert.

Als weitere Absurdität kann die vorab erfolgte juristische Auseinandersetzung um die bereits am 18. September vom »Salam-Shalom Arbeitskreis Palästina-Israel« angemeldete Veranstaltung gelten. Unter anderem hatte sich Leo Agerer, CSU-Stadtrat und stellvertretender Vorsitzender des Trägervereins des Kulturzentrums, darum bemüht, den Auftritt Pappes zu verhindern, wie die Süddeutsche Zeitung berichtete. Der Protest war zunächst erfolgreich: Am Donnerstag hatte man kurzerhand den unterzeichneten Raumnutzungsvertrag für die Veranstaltung gekündigt. Kurz vor Beginn des Referats gab das Amtsgericht München jedoch einer einstweiligen Verfügung der Organisatoren recht. So konnte der Vortragsabend doch noch wie geplant stattfinden.

An den Wänden im Saal wurden Zettel angebracht, auf denen eine gemeinsame Erklärung der Fraktionen im Münchener Stadtrat zur Hamas-Attacke vom 7. Oktober zu lesen war. Sie bekundeten darin ihre »Solidarität mit Israel«. Jeder Form der »Rechtfertigung oder gar Unterstützung dieses menschenverachtenden Terrors« trete man mit aller »Konsequenz und Entschiedenheit entgegen«. Auf dem Zettel prangte das Logo der Stadtverwaltung und des Trägervereins der Veranstaltungsräume.

(...) Zu den Ereignissen in Israel und Palästina erklärte Pappe, das aktuell dominierende Narrativ sei problematisch, weil es den 7. Oktober ohne Miteinbeziehung des historischen und moralischen Kontexts bewerte. Statt dessen würde jener Tag von israelischen Politikern als Vorwand benutzt, um die Unterdrückung in Gaza, der Westbank und von Palästinensern innerhalb Israels zu intensivieren, so Pappe.

In den besetzten palästinensischen Gebieten würden derweil Menschen ohne Gerichtsverfahren eingesperrt, Häuser enteignet und demoliert, um sie Siedlern zu übergeben; palästinensische Passanten ermordet – in einem Ausmaß, dass stetig zunehme. Innerhalb Israels würden Araber für Likes auf Social Media verhaftet, und verlören ihre Arbeit, weil sie keine Juden sind.

Den Angriff der palästinensischen Kämpfer am 7. Oktober nannte Pappe ein »nicht zu akzeptierendes Kriegsverbrechen«. Nichtsdestotrotz müsse der historische Kontext von »jahrzehntelanger Unterdrückung, Entrechtung und Entmenschlichung« und vor allem die »ethnische Säuberung seit der Nakba 1948 auf dem historischen Gebiet Palästina« erwähnt werden. Moralisch, so Pappe, könne man den Kampf der Palästinenser mit antikolonialen Kämpfen und anderen Befreiungsversuchen vergleichen, die sich stets grausam und blutig vollzogen haben. (...)

Darüber hinaus betonte Pappe, man dürfe nicht zulassen, dass Menschen die Ereignisse vom 7. Oktober nutzten, um vergessen zu machen, »wofür die Palästinenser kämpften«: ein »normales Leben, für Freiheit, nicht dafür, Juden zu töten«. Zionismus, so Pappe, sei darüber hinaus nicht nur »schlecht für die Palästinenser, sondern auch für die Juden«. Für einen langfristigen Frieden brauche es viel mehr gleiche Rechte für alle in einem einzelnen Staat.


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