Von schwarzen und weissen Magiern

Kaum etwas scheint die Menschheit mehr zu faszinieren als
der Gegensatz zwischen weisser und schwarzer Magie. Sogar in Filmen und Computerspielen wird Esoterik inszeniert. Ist die Welt spiritueller geworden?

I n den meisten alten Kulturen war Magie eine Selbstverständlichkeit. Heute erlebt das Thema in erfolgreichen Filmen und Computerspielen Renaissance. Gamer kämpfen sich durch apokalyptische Dramen, wandern durch pittoreske Tempel und hantieren mit Artefakten antiker Mysteriensymbolik. Sie beschwören Götterlegenden und verfügen über übernatürliche Fähigkeiten, gleichsam à la Carte. Wer die Inhalte analysiert, entdeckt mystische Motive ebenso wieder wie die Bildersprache christlicher und heidnischer Religionen; er findet versteckte theosophische und anthroposophische Lehren ebenso wie die Glaubenssätze der aktuellen Energie-Esoterik. Spricht Harrison Ford in Star Wars 7 über eine geheime Macht, «die Gut und Böse zusammenhält», stehen anthroposophische Anschauungen im Hintergrund (siehe ZP 145). Fliegt Superman aus den Wolken herbei, um Menschen zu retten, so ist nachweislich das Motiv des auferstandenen Christus im Spiel. Und wenn in Avatar, dem erfolgreichsten Film der Kinogeschichte, eine alles durchdringende Energie angebetet wird, befinden wir uns mitten im Esoterik-Laden. Je besser man sich auskennt, desto mehr kommt man ins Staunen, wie kenntnisreich in der Unterhaltungsindustrie Esoterik inszeniert wird. Die neuen Generationen interessieren sich nicht für Spiritualität? – Nach einem kundigen Blick in den Bildschirm kann man über diese These nur noch müde lächeln. Die Verkaufszahlen zeigen klar: Nichts anderes interessiert uns mehr als das!

Doch so stark dieses Interesse auch ist, aus den alltäglichen Diskursen des öffentlichen Lebens, die in Universitäten, Parlamenten und Mainstream-Medien stattfinden, sind Themen wie Magie und Spiritualität weitgehend verbannt. «Alles Aberglaube» denken wir heute – und sind (mit Recht) froh darüber, den Hexenwahn des Klerus hinter uns gelassen zu haben. So weit so gut – so weit so schlecht: Denn dadurch bleiben wichtige Themen im virtuellen Sumpf des kollektiven Unbewussten hängen und entwickeln wegen ihrer Anziehungskraft das Potential, süchtig und manipulierbar zu machen.

Während Harry-Potter-Fans in virtuellen Zauberschulen hexen, häufen sich unmerklich wissenschaftliche Studien, die zu dem Ergebnis kommen: Magie existiert. Ganze Forschungsinstitute befassen sich damit, etwa das PEAR-Institut der Princeton University (dessen Arbeit seit 2007 vom ICRL weitergeführt wird). Das Wort Magie wird allerdings vermieden. Prof. Dr. Robert Jahn definiert seine Ziele lieber im Wissenschafts-Jargon: «Wir sind ein Labor in akademischem Umfeld, das durch den Geist verursachte Abweichungen von den Naturgesetzen im Bereich der Technik erforscht» – ein Satz, der auch als eine mögliche Definition des Wortes «Magie» gelesen werden kann. Dr. Roger Nelson (ehemals Forschungskoordinator am Institut) kam aufgrund seiner Experimente mit Zufallsgeneratoren zu dem Fazit: «Das menschliche Bewusstsein interagiert mit der physikalischen Welt. Und zwar so, dass es das Ergebnis der Zufallsgeneratoren beeinflusst.» Magie scheint messbar geworden zu sein. Dies mag nicht der spirituellste Zugang zum Thema sein, doch es ist immerhin ein Anfang. Beeindruckend sind auch die Forschungsergebnisse der Eurythmistin Tanja Baumgartner. Unter Laborbedingungen behandelte sie Pflanzen mit unterschiedlichen eurythmischen Gebärden. Das Ergebnis: Wachstum und Form der Pflanzen lassen sich massiv beeinflussen. Wichtig für Wissenschaftler hierbei: Die Versuche sind reproduzierbar. Eine aktuelle Studie in Zusammenarbeit mit der Universität Bern scheint die «magischen» Kräfte der Eurythmie erneut zu bestätigen. Der Einfluss des menschlichen Geistes auf die Materie ist verifizierbar geworden.

Dennoch: Wer auf diesem Gebiet forscht oder dafür Sympathien bekundet, muss mit scharfem Gegenwind rechnen. Die Schar der Zweifler ist gross, nicht alle Studien sind wasserdicht und reproduzierbar. Viele Scharlatane sind unterwegs, die Skeptikern gute Gründe liefern, jeden Versuch in dieser Richtung in Grund und Boden zu kritisieren. Wer sich als Aussenstehender mit dem Thema befasst, versinkt in einen Strudel von Argumenten und Gegenargumenten, Beweisen und Gegenbeweisen, Studien und Gegenstudien. Doch angeblich zeigen Metaanalysen, «dass derartige Phänomene nicht mehr wegdiskutiert werden können», erklärt der Physiker Dr. Lucadou. Und die Statistik-Professorin Dr. Jessica Utts (derzeit Präsidentin des renommierten Verbunds für Statistik ASA), ist aufgrund ihres Überblicks überzeugt: Würde es sich um alltäglichere Dinge handeln und ginge es nur um die Datenlage, wären derartige Phänomene längst allgemein akzeptiert; ohnehin würden notorische Gegner die Daten seriöser Forschung meist erst gar nicht zur Kenntnis nehmen.

Tatsächlich ist der Zusammenhang zwischen Geist und Gehirn wissenschaftlich noch völlig ungeklärt. Bewusstsein als solches kann durch kein Mikroskop «sichtbar» gemacht werden, es ist nur der inneren Erfahrung zugänglich. Und diese zeigt mir jeden Tag: Es ist mein Bewusstsein (mein Geist), das meinen Körper steuert, nicht umgekehrt. Warum sollte ich den Geist als innere Erfahrungstatsache für weniger real halten als die äussere Erfahrung der Materie?    

Haben die zitierten Wissenschaftler tatsächlich Recht, und vieles spricht dafür, so werden uralte Mythen und Sagen über magische Taten plausibler; nicht zuletzt diejenigen der Bibel. Und wir verstehen Mystiker wie Meister Eckhart besser, wenn sie die innere Haltung höher bewerten als äusseren Aktionismus. Die spirituellen Systeme uralter Kulturen haben die herausragende Bedeutung des menschlichen Innenlebens schon vor Jahrtausenden betont. Untersuchungen von Gehirnforschern wie Günter Haffelder (Leiter des Instituts für Kommunikation und Gehirnforschung) bestätigen deren Ansichten. Seinen Messungen zufolge hat die innere Haltung des Menschen nachweisbare Effekte auf die Gehirnwellen des Gegenübers. Beispielsweise beim Umgang mit Patienten, «so dass sich konstruktive Gedanken zwischen Betreuer und Patient ebenso übertragen wie solche, die sich ungünstig auf die Motivation des Patienten auswirken». Wir alle sind Magier – weisse und schwarze. 

Sogar die Fähigkeiten des umstrittenen Show-Magiers Uri Geller wurden in den 70er Jahren wissenschaftlich bestätigt; seine aktuellste «Leistung» ist die Präkognition von Trumps Wahlsieg, als noch alles dagegen sprach. Zweifler an seinen Fähigkeiten gibt es freilich auch nicht wenige. Manche halten ihn für grössenwahnsinnig: 1999 plante er eine Mega-Aktion, bei der Tausende durch gleichzeitige Konzentration die Entschärfung aller Atomwaffen bewirken sollten. Normalerweise verbiegt Geller in seinen Shows nur Besteck oder bringt vor dem staunenden Publikum Samenkörner zum Keimen. Im Laufe seiner Karriere plädierte er zunehmend an sein Publikum, es solle die mentalen Kräfte für sich selbst einsetzen. Zum Beispiel eigene Wünsche auf einem «inneren Bildschirm» visualisieren: Ein neues Auto, mehr Geld, Karriere und so weiter, das würde garantiert funktionieren. Wenn zum Beispiel drei Autofahrer auf einen Parkplatz lauerten, würde man auf diese Weise immer siegen. Doch solche Vorschläge stossen nicht bei allen spirituell denkenden Menschen auf Gegenliebe. Der bekannte Geomant Marko Pogacnik sieht darin ein einseitiges Machtprinzip, dem er das Prinzip der inneren Verwandlung gegenüberstellt. Mit dieser Haltung ist Pogacnik in guter Gesellschaft: Die meisten Weltreligionen raten von egoistischem Macht- und Wunschverhalten ab. Folgt man der Einschätzung von Rudolf Steiner, muss das Ausnutzen spiritueller Kräfte für bloss egoistische Zwecke gar als erster Schritt in Richtung schwarzer Magie gelten. Bücher wie «Geldmagie» von V.D. Frater, das «magisches Wissen» vermittelt, «um das Geld anzuziehen und zu mehren», sind Grautöne am Himmel der Esoterik. Und auch die Vorstellung von Autofahrern, die mental um Parkplätze zanken, vermittelt nicht gerade das Bild eines klassischen Weisen, der geduldig genug ist, wenn es das Schicksal so will, nach einem anderen Parkplatz zu suchen – oder allenfalls zu Fuss zu gehen; vielleicht sogar barfuss.        



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13. März 2017
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