«Décroissance» – Verzicht und Lebensfreude
Politiker und Unternehmen aller Welt setzen alles aufs Wirtschaftswachstum. Die französischen Wachstumsverweigerer wollen jedoch das genaue Gegenteil: «Décroissance», Schrumpfung von allem was Stress produziert und die Umwelt kaputt macht.
Für die Décroissance machen sich immer mehr französische Intellektuelle, Künstler, aber auch einfache Leute stark – doch die Mainstream-Medien berichten kaum über diese Bewegung. Dafür umso mehr die unabhängigen Zeitungen. Eine Gruppe von Lyoner Werbe-Gegnern, «Les casseurs de pub» gibt das auflagenstärkste Blatt von ihnen heraus. Die Zeitschrift «La décroissance, le journal de la joie de vivre» erscheint jeden Monat mit einer Auflage von über 40.000 Exemplaren.
Redaktionssitzung am runden Esstisch mit wild gemusterter Wachstuchdecke. Das Redaktionsteam von «La décroissance, le journal de la joie de vivre» braucht für seine Lebensfreude keine Designermöbel. Für Sophie Divry, Ende Zwanzig, zählt vor allem die finanzielle und somit inhaltliche Unabhängigkeit der Zeitschrift:
«Als ich die 'casseurs de pub', die Reklamezerstörer, also die Gründer der Zeitschrift, kennen gelernt habe, da habe ich mir gesagt: es ist also möglich, eine Zeitung ohne Werbung und ohne People-News zu machen ... und davon zu leben. Wo man mir doch in der Journalistenschule immer beigebracht hat, ein kleiner diensteifriger Presse-Soldat zu sein, der auf nichts Einfluss hat, und der so gut wie möglich die ihm gestellten Aufgaben erfüllt. Aber inzwischen weiss ich: es ist möglich eine alternative Zeitschrift herauszubringen. Die Franzosen warten nur auf so etwas, denn die Ansichten, die die Mainstream-Medien verbreiten, sind immer dieselben.»
Um die 30 000 Exemplare verkauft «casseurs de pub» jeden Monat. Von den Einnahmen werden vier feste und mehrere freie Mitarbeiter bezahlt, sagt Publikationsleiter Vincent Cheynet:
«Und dann haben wir Autoren, die unentgeltlich mitarbeiten. Zum Beispiel Jacques Testard, der berühmte französische Wissenschaftler, der 'Vater' des ersten 'Retortenbabys'. Der schreibt regelmässig eine Chronik für uns. Ausserdem haben wir eine ganze Reihe Helfer, die sich für die Sache engagieren. Die kommen zum Beispiel einmal im Monat hier in die Redaktion, um die Abo-Exemplare einzutüten. Das ist jedesmal ein Highlight: man tauscht sich aus, man freut sich, andere Wachstumsverweigerer zu treffen.»
Wachstumsverweigerung - ein weites Feld. «La décroissance» steht für einen ganzen Gesellschaftsentwurf, der sich auf den ersten Blick in eine Reihe «Neins» übersetzen lässt: Nein zum Wirtschaftswachstum um seiner selbst willen, Nein zur Vergeudung, Nein zur Masslosigkeit dessen, was ein durchschnittlicher Europäer der Erde abverlangt - sprich: nein zum überproportionalen ökologischen Fussabdruck, Nein zum Konsumwahn. Noch einmal Vincent Cheynet:
«Jeden Monat haben wir die Rubrik 'Der Ramsch, den wir diesen Monat nicht kaufen'. Heute sind ja alle Magazine voll von Kauftipps. Und wir machen das Gegenteil. Dabei versuchen wir, so oft wie möglich den Lesern das Wort zu geben. Gerade diese 'Anti-Kauf-Tipps' schicken uns oft die Leser zu - und wir machen uns eine Freude daraus, ihre Prosa zu veröffentlichen.»
Mit viel Humor nimmt «La décroissance» auch Greenwasher, also falsche Umweltschützer aller Art, auseinander, bis hin zu jenem französischen People-Magazin, das mit 600 Litern roter Farbe sein Logo auf Grönlands Eis schreibt - angeblich um sich für den Klimaschutz einzusetzen. Vincent Cheynet:
«Ausserdem haben wir die Rubrik 'Der Öko-Heuchler des Monats'. Das sind oft reiche, berühmte Leute, Fernsehstars, die die Umwelt total verschmutzen, die jedoch den einfachen Leuten Umweltlektionen erteilen."
Viel Ironie also, aber auch gründlich recherchierte Dossiers zu politischen und Umweltthemen - und Denkansätze für eine neue Gesellschaft im Sinne der «Décroissance»: universelles Basiseinkommen, radikale Arbeitszeitverkürzung, Relokalisierung der Wirtschaft. Das Magazin erinnert an frühe Vordenker wie Ivan Illich und André Gorz und gibt den heutigen Verfechtern das Wort: Wirtschaftswissenschaftlern, Politologen, Philosophen. Und einfachen Leuten, die schon mal anfangen, neue Ideen im eigenen Wohnzimmer umzusetzen: Schluss mit TV und Junkfood, neue Träume statt dem von Rolex und Jet Set. Es sind bevorzugt Zeitgenossen, die mitten in der Gesellschaft stehen. «Auszusteigen» sollte man sich in der heutigen Lage nicht mehr leisten, findet jedenfalls Sophie Divry:
«Wenn ein Sarkozy mit 37 Millionen Stimmen gewählt wird - und das mit einem Programm, dessen Inhalt ist: Ich gebe euch Geld, ich liebe Geld, ich repräsentiere das Geld - da reagieren natürlich manche Ökos damit, dass sie aufs Land ziehen, ihre kleine Kommune gründen und sagen: Meine Zeitgenossen können mir egal sein, die interessieren sich ja nur für ihr Auto und für ihr Einfamilienhaus. Aber wir finden: So kann's auch nicht gehen! Wir haben ein gemeinsames Schicksal. Da sitzen sie auf dem Land und essen ihr Biogemüse und eines Tages führt eine Autobahn direkt an ihrem Garten vorbei. Oder nebenan explodiert ein Atomkraftwerk und da stellen Sie fest: Ja - ich lebe in der Welt, die mich umgibt.»
(Quelle: DNR Redaktionsbüro Fachverteiler)
Redaktionssitzung am runden Esstisch mit wild gemusterter Wachstuchdecke. Das Redaktionsteam von «La décroissance, le journal de la joie de vivre» braucht für seine Lebensfreude keine Designermöbel. Für Sophie Divry, Ende Zwanzig, zählt vor allem die finanzielle und somit inhaltliche Unabhängigkeit der Zeitschrift:
«Als ich die 'casseurs de pub', die Reklamezerstörer, also die Gründer der Zeitschrift, kennen gelernt habe, da habe ich mir gesagt: es ist also möglich, eine Zeitung ohne Werbung und ohne People-News zu machen ... und davon zu leben. Wo man mir doch in der Journalistenschule immer beigebracht hat, ein kleiner diensteifriger Presse-Soldat zu sein, der auf nichts Einfluss hat, und der so gut wie möglich die ihm gestellten Aufgaben erfüllt. Aber inzwischen weiss ich: es ist möglich eine alternative Zeitschrift herauszubringen. Die Franzosen warten nur auf so etwas, denn die Ansichten, die die Mainstream-Medien verbreiten, sind immer dieselben.»
Um die 30 000 Exemplare verkauft «casseurs de pub» jeden Monat. Von den Einnahmen werden vier feste und mehrere freie Mitarbeiter bezahlt, sagt Publikationsleiter Vincent Cheynet:
«Und dann haben wir Autoren, die unentgeltlich mitarbeiten. Zum Beispiel Jacques Testard, der berühmte französische Wissenschaftler, der 'Vater' des ersten 'Retortenbabys'. Der schreibt regelmässig eine Chronik für uns. Ausserdem haben wir eine ganze Reihe Helfer, die sich für die Sache engagieren. Die kommen zum Beispiel einmal im Monat hier in die Redaktion, um die Abo-Exemplare einzutüten. Das ist jedesmal ein Highlight: man tauscht sich aus, man freut sich, andere Wachstumsverweigerer zu treffen.»
Wachstumsverweigerung - ein weites Feld. «La décroissance» steht für einen ganzen Gesellschaftsentwurf, der sich auf den ersten Blick in eine Reihe «Neins» übersetzen lässt: Nein zum Wirtschaftswachstum um seiner selbst willen, Nein zur Vergeudung, Nein zur Masslosigkeit dessen, was ein durchschnittlicher Europäer der Erde abverlangt - sprich: nein zum überproportionalen ökologischen Fussabdruck, Nein zum Konsumwahn. Noch einmal Vincent Cheynet:
«Jeden Monat haben wir die Rubrik 'Der Ramsch, den wir diesen Monat nicht kaufen'. Heute sind ja alle Magazine voll von Kauftipps. Und wir machen das Gegenteil. Dabei versuchen wir, so oft wie möglich den Lesern das Wort zu geben. Gerade diese 'Anti-Kauf-Tipps' schicken uns oft die Leser zu - und wir machen uns eine Freude daraus, ihre Prosa zu veröffentlichen.»
Mit viel Humor nimmt «La décroissance» auch Greenwasher, also falsche Umweltschützer aller Art, auseinander, bis hin zu jenem französischen People-Magazin, das mit 600 Litern roter Farbe sein Logo auf Grönlands Eis schreibt - angeblich um sich für den Klimaschutz einzusetzen. Vincent Cheynet:
«Ausserdem haben wir die Rubrik 'Der Öko-Heuchler des Monats'. Das sind oft reiche, berühmte Leute, Fernsehstars, die die Umwelt total verschmutzen, die jedoch den einfachen Leuten Umweltlektionen erteilen."
Viel Ironie also, aber auch gründlich recherchierte Dossiers zu politischen und Umweltthemen - und Denkansätze für eine neue Gesellschaft im Sinne der «Décroissance»: universelles Basiseinkommen, radikale Arbeitszeitverkürzung, Relokalisierung der Wirtschaft. Das Magazin erinnert an frühe Vordenker wie Ivan Illich und André Gorz und gibt den heutigen Verfechtern das Wort: Wirtschaftswissenschaftlern, Politologen, Philosophen. Und einfachen Leuten, die schon mal anfangen, neue Ideen im eigenen Wohnzimmer umzusetzen: Schluss mit TV und Junkfood, neue Träume statt dem von Rolex und Jet Set. Es sind bevorzugt Zeitgenossen, die mitten in der Gesellschaft stehen. «Auszusteigen» sollte man sich in der heutigen Lage nicht mehr leisten, findet jedenfalls Sophie Divry:
«Wenn ein Sarkozy mit 37 Millionen Stimmen gewählt wird - und das mit einem Programm, dessen Inhalt ist: Ich gebe euch Geld, ich liebe Geld, ich repräsentiere das Geld - da reagieren natürlich manche Ökos damit, dass sie aufs Land ziehen, ihre kleine Kommune gründen und sagen: Meine Zeitgenossen können mir egal sein, die interessieren sich ja nur für ihr Auto und für ihr Einfamilienhaus. Aber wir finden: So kann's auch nicht gehen! Wir haben ein gemeinsames Schicksal. Da sitzen sie auf dem Land und essen ihr Biogemüse und eines Tages führt eine Autobahn direkt an ihrem Garten vorbei. Oder nebenan explodiert ein Atomkraftwerk und da stellen Sie fest: Ja - ich lebe in der Welt, die mich umgibt.»
(Quelle: DNR Redaktionsbüro Fachverteiler)
09. September 2009
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