Der Schwarze Schwan schwimmt näher
Der Philosoph, Mathematiker, Investor und passionierte Spaziergänger Nassim Nicholas Taleb hat ein Postscriptum zu seinem wunderbaren Mega-Bestseller von 2007 «Der Schwarze Schwan – die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse» geschrieben. Und sein deutscher Verlag Hanser meinte, daraus ein eigenständiges Buch mit dem Titel «Der Schwarze Schwan – Konsequenzen aus der Krise» machen zu müssen. Das ist in zweifacher Hinsicht verlegerischer Unsinn: Einerseits nimmt der neue Band auf jeder zweiten Seite Bezug auf das Originalwerk, das man nicht nur gelesen, sondern auch zur Hand haben sollte. Und andrerseits hat Taleb, im Gegensatz zum Untertitel der deutschen Ausgabe, ausdrücklich kein Buch zur «Krise» geschrieben.
Dies gesagt, kann man sich den erfreulichen Aspekten dieser neusten Arbeit des ziemlich genialen Autors zuwenden. Ein Buch, in dem der frühere US-Finanzminister und Goldman-Sachs-Chef Robert Rubin an drei Stellen als «Bankgangster» bezeichnet wird, kann ja fast nur gut sein. Bemerkenswert ist schon Talebs Begründung, warum es eben kein Buch zur Krise ist. Erstens sei es kein Wirtschaftsbuch, zweitens ziehe er es vor, über Ereignisse vor ihrem Eintreten zu sprechen, drittens sei die Krise von 2008 intellektuell nicht interessant genug und viertens gäbe es an besagter Krise nichts Neues, wir würden auch nichts aus ihr lernen und den gleichen Fehler in Zukunft wieder machen.
Damit auch Leser ohne Kenntnis des ursprünglichen Schwarzen Schwans etwas von der dieser Rezension haben, hier eine Zusammenfassung des Hauptwerks in einem Satz: In einer Welt, die sich von den Gesetzen der Natur und der Normalverteilung verabschiedet hat (wie die Welt virtueller Finanzprodukte), steigt die Wahrscheinlichkeit sehr seltener Ereignisse mit verheerenden Folgen. Ihre Wahrscheinlichkeit, schreibt Taleb auch im Postscriptum, lässt sich mit Empirie und Statistik nicht berechnen, und wer sich auf entsprechende Modelle verlässt, hat etwa so viel Sicherheit wie ein Wanderer mit einer falschen Karte. Ohne Modelle, ganz besonders nicht solche von Nobelpreisträgern (gemeint sind Robert Merton und Myron Scholes, die Architekten des LTCM-Hedgefonds, der Ende der 90er «unerwartet» in sich zusammenstürzte) wären wir nach Taleb viel besser dran. Und dann unterstreicht er noch ein paar Erkenntnisse, die man als Adept von Leopold Kohr, dem Vater der Philosophie der Kleinheit, einfach gern hört: Die Natur ist die grösste Lehrerin von Langlebigkeit und Robustheit, und die mag keine übergrossen Einheiten (Grösse und Globalisierung also beschränken) und setzt auf Redundanz, z.B. in Form doppelter Organe (also nicht zu viel Optimierung).
Die Erkenntnisse von Talebs langen Spaziergängen sind unterhaltsam, von seiner Vorliebe für neue Wortschöpfungen einmal abgesehen. Und vor allem ist der Mann ein scharfer Denker und ein humorvoller Autor. Wirklich lesenswert sind die «Konsequenzen aus der Krise» nur als Fortsetzung des Hauptwerks. Und das ist Pflichtlektüre für alle, die den Prognosen der Bankmanager, Politiker und Eingeweideschauer misstrauen, auch wenn es vor der «Krise» geschrieben wurde. Wer es gelesen hat, weiss, dass uns die wirkliche Krise erst noch bevorsteht.
Nassib Nicholas Taleb: Der Schwarze Schwan – Konsequenzen aus der Krise. Hanser 2010. 122 S. Geb. Sfr. 27.90/€ 14.90.
Dies gesagt, kann man sich den erfreulichen Aspekten dieser neusten Arbeit des ziemlich genialen Autors zuwenden. Ein Buch, in dem der frühere US-Finanzminister und Goldman-Sachs-Chef Robert Rubin an drei Stellen als «Bankgangster» bezeichnet wird, kann ja fast nur gut sein. Bemerkenswert ist schon Talebs Begründung, warum es eben kein Buch zur Krise ist. Erstens sei es kein Wirtschaftsbuch, zweitens ziehe er es vor, über Ereignisse vor ihrem Eintreten zu sprechen, drittens sei die Krise von 2008 intellektuell nicht interessant genug und viertens gäbe es an besagter Krise nichts Neues, wir würden auch nichts aus ihr lernen und den gleichen Fehler in Zukunft wieder machen.
Damit auch Leser ohne Kenntnis des ursprünglichen Schwarzen Schwans etwas von der dieser Rezension haben, hier eine Zusammenfassung des Hauptwerks in einem Satz: In einer Welt, die sich von den Gesetzen der Natur und der Normalverteilung verabschiedet hat (wie die Welt virtueller Finanzprodukte), steigt die Wahrscheinlichkeit sehr seltener Ereignisse mit verheerenden Folgen. Ihre Wahrscheinlichkeit, schreibt Taleb auch im Postscriptum, lässt sich mit Empirie und Statistik nicht berechnen, und wer sich auf entsprechende Modelle verlässt, hat etwa so viel Sicherheit wie ein Wanderer mit einer falschen Karte. Ohne Modelle, ganz besonders nicht solche von Nobelpreisträgern (gemeint sind Robert Merton und Myron Scholes, die Architekten des LTCM-Hedgefonds, der Ende der 90er «unerwartet» in sich zusammenstürzte) wären wir nach Taleb viel besser dran. Und dann unterstreicht er noch ein paar Erkenntnisse, die man als Adept von Leopold Kohr, dem Vater der Philosophie der Kleinheit, einfach gern hört: Die Natur ist die grösste Lehrerin von Langlebigkeit und Robustheit, und die mag keine übergrossen Einheiten (Grösse und Globalisierung also beschränken) und setzt auf Redundanz, z.B. in Form doppelter Organe (also nicht zu viel Optimierung).
Die Erkenntnisse von Talebs langen Spaziergängen sind unterhaltsam, von seiner Vorliebe für neue Wortschöpfungen einmal abgesehen. Und vor allem ist der Mann ein scharfer Denker und ein humorvoller Autor. Wirklich lesenswert sind die «Konsequenzen aus der Krise» nur als Fortsetzung des Hauptwerks. Und das ist Pflichtlektüre für alle, die den Prognosen der Bankmanager, Politiker und Eingeweideschauer misstrauen, auch wenn es vor der «Krise» geschrieben wurde. Wer es gelesen hat, weiss, dass uns die wirkliche Krise erst noch bevorsteht.
Nassib Nicholas Taleb: Der Schwarze Schwan – Konsequenzen aus der Krise. Hanser 2010. 122 S. Geb. Sfr. 27.90/€ 14.90.
26. Oktober 2010
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