Die grosse Abschreibung
Das umstrittene 700-Milliarden-Hilfspaket erkauft uns nicht mehr als eine kurze Denkpause, wie wir mit dem umgehen wollen, was uns noch bevorsteht. Die negative Reaktion der Finanzmärkte auf das viele Geld zugunsten notleidender US-Banken zeigt: Die Probleme liegen tiefer als in faulen sub-prime-Hypotheken von ein paar tausend Milliarden Dollar, die im übrigen trotz Finanzspritze noch längst nicht abgearbeitet sind. Als nächstes lauern sub-prime Kreditkartenschulden und vor allem eine sub-sub-sub-sub-prime Währung, mit der sich über kurz oder lang gar nichts mehr bezahlen lässt: der amerikanische Dollar. Der Abschreibungsbedarf ist enorm und betrifft alle Menschen, die für ihr Leben Geld brauchen.
Geld ist seit 1913, der Gründung der amerikanischen Zentralbank «Federal Reserve System», nicht mehr durch Gold gedeckt, sondern durch ein Versprechen. Zunächst bestand das Versprechen darin, die Dollarscheine unter gewissen Bedingungen in Gold umtauschen zu können, was schrittweise eingeschränkt und 1972 ganz aufgehoben wurde. Seither wird gar nichts mehr versprochen, ausser dass man mit Dollars Steuern bezahlen kann.
Die Möglichkeit, so genanntes Fiat-Geld (von lat. fiat, es werde) aus dem Nichts zu schöpfen, wurde vom Bankensystem weidlich genutzt, keineswegs zum Vorteil der Bevölkerung. Es begann mit der Finanzierung des Ersten Weltkriegs, der die USA über Nacht zur grössten Gläubigernation machte, und setzte sich fort bis zum heutigen Tag mit der Verarmung der Dritten Welt und dem Abstieg des Mittelstandes.
Das Kredit-Geld, das wir seit knapp hundert Jahren haben, hat zwei grosse «Vorteile» und zwei entscheidende Nachteile: Der eine «Vorteil» liegt darin, dass das Bankensystem aus dem Nichts Geld kreieren und fette Zinsgeschäfte realisieren kann, bezahlt von denen, die arbeiten an die, die besitzen. Der andere Vorteil liegt darin, dass die Staaten Geld für Rüstung, soziale Wohlfahrt und dergleichen ausgeben können, für das niemand zu arbeiten braucht. Es genügt das Versprechen, die Steuerzahler der Zukunft würden die Rechnung dann schon bezahlen. Der Nachteil des Kredit-Geldes liegt darin, dass die Schulden (d.h. Kapital plus Zinsen) immer grösser sind als das Kapital. Das System kann den Anschein der Nachhaltigkeit nur wahren, indem immer schneller und immer mehr Kredit-Geld hineingepumpt wird, was wir zur Zeit in drastischem Ausmass erleben. Der andere Nachteil des Kredit-Zins-Geldes: Geld ist mehr wert als das, wofür es steht, Waren und Dienstleistungen.
Die «Vorteile» sind an sich schon recht zweifelhaft, aber der Effekt der Nachteile ist geradezu verhängnisvoll: Weil Geld als wertvoller konstruiert ist als echte Werte, kann man mit Geld reicher werden als mit realer Arbeit. Konsequenz: immer weniger Menschen arbeiten und schaffen Mehrwert, die wirtschaftliche Basis erodiert. Und weil die Geldmenge schneller wächst als die Gütermenge, die ihm eigentlich entsprechen sollte, stellt sich irgendwann die Frage: Was krieg ich für mein Geld? Mit dieser in letzter Zeit besonders schmerzhaften Frage sind nicht nur die Konsumenten konfrontiert, sondern auch die Besitzer der richtig grossen Vermögen.
Beschränken wir uns zur Beantwortung dieser Frage der Einfachheit halber auf den Wert der Weltwährung, des Dollars, der als Reserve in den Kellern aller Zentralbanken der Erde und in ungezählten anderen Depots liegt. Hinter den grünen Scheinen stecken die kumulierten Schulden im Betrag von zur Zeit 53‘000 Milliarden, die die Amerikaner – Private, Firmen und die verschiedenen Ebenen der öffentlichen Hand – dem Rest der Welt schulden. Für jeden der 113 Millionen US-Haushalte ergibt dies eine Schuld von 467‘000 Dollar. Bei einem Durchschnittseinkommen von 48‘000 Dollar (2006) pro Haushalt müssen die Amerikaner also zehn Jahre Gratis-Arbeit zugunsten der übrigen Welt leisten, um dem Dollar wieder einen echten Wert zu geben. Das ist natürlich nicht möglich. Auch Sklaven brauchen Essen, Kleidung und ein Dach über dem Kopf. Fazit: Der Dollar steckt in einer Schuldenfalle, aus der es kein Entrinnen gibt. Davon betroffen sind alle, die Vermögen besitzen, das in der einen oder anderen Form vom Dollar abhängig ist oder die in einem Land leben, dessen Währung durch Dollarreserven gedeckt ist. Also alle Menschen, die für ihr Überleben Geld brauchen.
Den Wissenden an den Schalthebeln ist der marode Zustand unseres Finanzsystems längst bekannt. Sie haben das Spiel bis jetzt aufrecht erhalten, um ihre Schäfchen ans Trockene zu bringen (d.h. ihre Papiere in reale Werte umzutauschen) und sich auf den grossen Showdown vorzubereiten. Nun muss man wissen, dass die wirklich grossen Vermögen in den Krisen gemacht werden und nicht in den Boomjahren. Wer sich vorsieht und die Mittel hat, kann sich in Krisenzeiten eine halbe Welt zusammenkaufen. Wer über solche Mittel verfügt, kann auch den Zeitpunkt der Abrechnung beeinflussen oder gar bestimmen.
Der Zusammenbruch der grossen amerikanischen Hypothekeninstitute Fannie Mae und Freddie Mac wurde ja bekanntlich von den Chinesen eingeleitet. Sie, die nicht weniger als 376 Milliarden Dollar in den beiden Firmen investiert hatten, drängten die amerikanische Regierung schon im Sommer dazu, die Verantwortung für die bedrängten Institute zu übernehmen. Als nichts geschah, verkauften die Chinesen kurz nach den olympischen Spielen massiv Anteile, Fannie Mae und Freddie Mac fielen und mussten von der US-Regierung übernommen werden, nicht ohne vorher noch weitere Banken mitzureissen. Um einen Dominoeffekt zu verhindern, darf der US-Steuerzahler einer fernen Zukunft nun 700 Milliarden zahlen, ein Tröpfchen ins glühende Feuer des Finanzsystems, denn marode sind nicht nur die verbrieften sub-prime-Hypotheken, marode sind auch die Kreditkartenschulden der US-Haushalte von knapp 1000 Milliarden Dollar, die Leasing-Verträge und andere Zahlungsverpflichtungen, die als «Wert»-Papiere gehandelt werden. Fast die Hälfte der amerikanischen Kreditkartenschuldner leisten nur noch minimale Zahlungen und werden bei einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in die Zahlungsunfähigkeit abrutschen. Marode ist aber vor allem der Dollar. Die Beruhigung wird nur oberflächlich und nur von kurzer Dauer sein. Denn der Wind hat gedreht. Im Spiel der grossen Player, auf die es ankommt, geht es nicht mehr darum, im aufgeblasenen Finanzkasino viel Scheingeld zu erwerben, sondern es im Austausch gegen echte Werte wieder loszuwerden.
Jetzt haben die Chinesen mal den Tarif durchgegeben. Aber wirklich handlungsfähig sind sie nicht. Wenn sie ihre amerikanischen Staatspapiere im Umfang von mehr als tausend Milliarden loswerden wollen, reissen sie den Dollar und damit einen Grossteil ihres Guthabens in die Tiefe und dies werden sie nicht tun, solange sie mit sanftem Druck und unter Beibehaltung des Spiels noch einen Teil ihrer Guthaben liquidieren können.
Aber es ist ein Spiel auf Zeit. Das gibt uns Gelegenheit, den Mechanismus der bevorstehenden Kapitalvernichtung zu studieren und der präsentiert sich wie folgt: Den vielen Guthaben stehen nur wenige Werte gegenüber. Die Kunst des Krisenmanagements besteht darin, die notwendigen gigantischen Abschreibungen demokratisch zu gestalten, die Produktion und damit die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten und nötigenfalls ein neues Finanzsystem aufzugleisen. Ein bisschen viel aufs Mal und vor allem eine Aufgabe, die man nicht dem Markt überlassen darf. Welche Auswirkungen die Gerechtigkeit des Marktes in Boomjahren auf die Welt hat, haben wir erfahren. Und ich wünsche mir sehnlichst, die Gerechtigkeit dieses Marktes nicht auch in einer globalen Krise erleben zu müssen.
Der Abschreibungsvorgang an sich ist einfach: Jemand verzichtet freiwillig oder gezwungenermassen auf eine Leistung, auf die er rechtlich Anspruch hat. Dazu gibt es drei Wege:
1. Freiwillig: Die Superreichen verzichten auf den Anteil ihres Vermögens, der über einer bestimmten Grenze, z.B. 50 Millionen Dollar liegt. Dann wäre das Finanzsystem ohne Revolten und Hungerkrisen wieder im Lot, müsste aber noch umgebaut werden, um nicht wieder in dieselbe Falle zu tappen. Wahrscheinlichkeit: 0,001
2. Marktwirtschaftlich-chaotisch: Die Superreichen bringen ihre Werte in Sicherheit, die Massen verlieren ihre Ersparnisse, allgemeiner Überlebenskampf.
3. Behördlich verordnet: Neuverteilung der Werte unter Einsatz von militärischen Mitteln, in demokratischen Ländern unter Wahrung der Interessen der Bevölkerung, in totalitären Staaten unter Wahrung der Interessen einer privilegierten Elite. Damit wir uns hier richtig verstehen: Die meisten westlichen Staaten haben einen totalitären Charakter, der sich in dieser Krise deutlich manifestieren wird. Nicht umsonst haben die USA im September eine kampferprobte Brigade aus dem Irak zurückgerufen. Es wird offenbar im eigenen Land mit Zuständen gerechnet, wo es nichts mehr zu diskutieren, sondern nur noch abzudrücken gibt.
Die Schweiz ist in dieser Situation tatsächlich in einem Sonderfall. Zum einen sind wir trotz aller internationalen Verflechtungen anders kapitalisiert, und vor allem verfügen wir über demokratische Strukturen, die noch einigermassen funktionieren. Und schliesslich hatte das Obrigkeitliche in diesem Land schon immer einen schweren Stand, wenn es darauf ankam.Das ganz grosse Problem beim Umgang mit dieser Krise ist die Transparenz. Im August 2006 beschied mir Dieter Leutwyler, Pressesprecher des Eidg. Finanzdepartementes auf eine entsprechende Anfrage, ein Notfallplan zur Sicherung unserer Währung gehöre in die Kompetenz der Nationalbank (siehe ZP 85, Was Währungshüter wirklich hüten: ein Tabu). Ende September dieses Jahres erklärte Bundesrätin Evelin Widmer-Schlumpf, ein Notfallplan existiere bereits seit 2005. Die Nationalbank erklärte 2006 auf dieselbe Frage: «Wir handeln, wenn es passiert.» Und dann sagte mir Roland Baumann von der Presseabteilung der Nationalbank etwas Erstaunliches: «Allein die Tatsache, dass wir uns über dieses Thema unterhalten, lässt in den Märkten draussen die Glocken läuten.» Im Klartext heisst dies: Wenn die Wahrheit ans Tageslicht kommt, weicht das letzte Vertrauen und der illusionäre Glaube an den Wert des Geldes ist hin. Aber: Wie wollen wir über echte Lösungen der Finanzmarktkrise sprechen, wenn die Wahrheit unter Verschluss gehalten wird? Von der Finanzmarkt-Debatte in der Wintersession der Eidg. Räte ist unter diesen Vorzeichen nicht viel zu erwarten. Aber vielleicht ist diesmal alles ganz anders – die Debatte, die Krise, der Verlauf der Geschichte.
Geld ist seit 1913, der Gründung der amerikanischen Zentralbank «Federal Reserve System», nicht mehr durch Gold gedeckt, sondern durch ein Versprechen. Zunächst bestand das Versprechen darin, die Dollarscheine unter gewissen Bedingungen in Gold umtauschen zu können, was schrittweise eingeschränkt und 1972 ganz aufgehoben wurde. Seither wird gar nichts mehr versprochen, ausser dass man mit Dollars Steuern bezahlen kann.
Die Möglichkeit, so genanntes Fiat-Geld (von lat. fiat, es werde) aus dem Nichts zu schöpfen, wurde vom Bankensystem weidlich genutzt, keineswegs zum Vorteil der Bevölkerung. Es begann mit der Finanzierung des Ersten Weltkriegs, der die USA über Nacht zur grössten Gläubigernation machte, und setzte sich fort bis zum heutigen Tag mit der Verarmung der Dritten Welt und dem Abstieg des Mittelstandes.
Das Kredit-Geld, das wir seit knapp hundert Jahren haben, hat zwei grosse «Vorteile» und zwei entscheidende Nachteile: Der eine «Vorteil» liegt darin, dass das Bankensystem aus dem Nichts Geld kreieren und fette Zinsgeschäfte realisieren kann, bezahlt von denen, die arbeiten an die, die besitzen. Der andere Vorteil liegt darin, dass die Staaten Geld für Rüstung, soziale Wohlfahrt und dergleichen ausgeben können, für das niemand zu arbeiten braucht. Es genügt das Versprechen, die Steuerzahler der Zukunft würden die Rechnung dann schon bezahlen. Der Nachteil des Kredit-Geldes liegt darin, dass die Schulden (d.h. Kapital plus Zinsen) immer grösser sind als das Kapital. Das System kann den Anschein der Nachhaltigkeit nur wahren, indem immer schneller und immer mehr Kredit-Geld hineingepumpt wird, was wir zur Zeit in drastischem Ausmass erleben. Der andere Nachteil des Kredit-Zins-Geldes: Geld ist mehr wert als das, wofür es steht, Waren und Dienstleistungen.
Die «Vorteile» sind an sich schon recht zweifelhaft, aber der Effekt der Nachteile ist geradezu verhängnisvoll: Weil Geld als wertvoller konstruiert ist als echte Werte, kann man mit Geld reicher werden als mit realer Arbeit. Konsequenz: immer weniger Menschen arbeiten und schaffen Mehrwert, die wirtschaftliche Basis erodiert. Und weil die Geldmenge schneller wächst als die Gütermenge, die ihm eigentlich entsprechen sollte, stellt sich irgendwann die Frage: Was krieg ich für mein Geld? Mit dieser in letzter Zeit besonders schmerzhaften Frage sind nicht nur die Konsumenten konfrontiert, sondern auch die Besitzer der richtig grossen Vermögen.
Beschränken wir uns zur Beantwortung dieser Frage der Einfachheit halber auf den Wert der Weltwährung, des Dollars, der als Reserve in den Kellern aller Zentralbanken der Erde und in ungezählten anderen Depots liegt. Hinter den grünen Scheinen stecken die kumulierten Schulden im Betrag von zur Zeit 53‘000 Milliarden, die die Amerikaner – Private, Firmen und die verschiedenen Ebenen der öffentlichen Hand – dem Rest der Welt schulden. Für jeden der 113 Millionen US-Haushalte ergibt dies eine Schuld von 467‘000 Dollar. Bei einem Durchschnittseinkommen von 48‘000 Dollar (2006) pro Haushalt müssen die Amerikaner also zehn Jahre Gratis-Arbeit zugunsten der übrigen Welt leisten, um dem Dollar wieder einen echten Wert zu geben. Das ist natürlich nicht möglich. Auch Sklaven brauchen Essen, Kleidung und ein Dach über dem Kopf. Fazit: Der Dollar steckt in einer Schuldenfalle, aus der es kein Entrinnen gibt. Davon betroffen sind alle, die Vermögen besitzen, das in der einen oder anderen Form vom Dollar abhängig ist oder die in einem Land leben, dessen Währung durch Dollarreserven gedeckt ist. Also alle Menschen, die für ihr Überleben Geld brauchen.
Den Wissenden an den Schalthebeln ist der marode Zustand unseres Finanzsystems längst bekannt. Sie haben das Spiel bis jetzt aufrecht erhalten, um ihre Schäfchen ans Trockene zu bringen (d.h. ihre Papiere in reale Werte umzutauschen) und sich auf den grossen Showdown vorzubereiten. Nun muss man wissen, dass die wirklich grossen Vermögen in den Krisen gemacht werden und nicht in den Boomjahren. Wer sich vorsieht und die Mittel hat, kann sich in Krisenzeiten eine halbe Welt zusammenkaufen. Wer über solche Mittel verfügt, kann auch den Zeitpunkt der Abrechnung beeinflussen oder gar bestimmen.
Der Zusammenbruch der grossen amerikanischen Hypothekeninstitute Fannie Mae und Freddie Mac wurde ja bekanntlich von den Chinesen eingeleitet. Sie, die nicht weniger als 376 Milliarden Dollar in den beiden Firmen investiert hatten, drängten die amerikanische Regierung schon im Sommer dazu, die Verantwortung für die bedrängten Institute zu übernehmen. Als nichts geschah, verkauften die Chinesen kurz nach den olympischen Spielen massiv Anteile, Fannie Mae und Freddie Mac fielen und mussten von der US-Regierung übernommen werden, nicht ohne vorher noch weitere Banken mitzureissen. Um einen Dominoeffekt zu verhindern, darf der US-Steuerzahler einer fernen Zukunft nun 700 Milliarden zahlen, ein Tröpfchen ins glühende Feuer des Finanzsystems, denn marode sind nicht nur die verbrieften sub-prime-Hypotheken, marode sind auch die Kreditkartenschulden der US-Haushalte von knapp 1000 Milliarden Dollar, die Leasing-Verträge und andere Zahlungsverpflichtungen, die als «Wert»-Papiere gehandelt werden. Fast die Hälfte der amerikanischen Kreditkartenschuldner leisten nur noch minimale Zahlungen und werden bei einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in die Zahlungsunfähigkeit abrutschen. Marode ist aber vor allem der Dollar. Die Beruhigung wird nur oberflächlich und nur von kurzer Dauer sein. Denn der Wind hat gedreht. Im Spiel der grossen Player, auf die es ankommt, geht es nicht mehr darum, im aufgeblasenen Finanzkasino viel Scheingeld zu erwerben, sondern es im Austausch gegen echte Werte wieder loszuwerden.
Jetzt haben die Chinesen mal den Tarif durchgegeben. Aber wirklich handlungsfähig sind sie nicht. Wenn sie ihre amerikanischen Staatspapiere im Umfang von mehr als tausend Milliarden loswerden wollen, reissen sie den Dollar und damit einen Grossteil ihres Guthabens in die Tiefe und dies werden sie nicht tun, solange sie mit sanftem Druck und unter Beibehaltung des Spiels noch einen Teil ihrer Guthaben liquidieren können.
Aber es ist ein Spiel auf Zeit. Das gibt uns Gelegenheit, den Mechanismus der bevorstehenden Kapitalvernichtung zu studieren und der präsentiert sich wie folgt: Den vielen Guthaben stehen nur wenige Werte gegenüber. Die Kunst des Krisenmanagements besteht darin, die notwendigen gigantischen Abschreibungen demokratisch zu gestalten, die Produktion und damit die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten und nötigenfalls ein neues Finanzsystem aufzugleisen. Ein bisschen viel aufs Mal und vor allem eine Aufgabe, die man nicht dem Markt überlassen darf. Welche Auswirkungen die Gerechtigkeit des Marktes in Boomjahren auf die Welt hat, haben wir erfahren. Und ich wünsche mir sehnlichst, die Gerechtigkeit dieses Marktes nicht auch in einer globalen Krise erleben zu müssen.
Der Abschreibungsvorgang an sich ist einfach: Jemand verzichtet freiwillig oder gezwungenermassen auf eine Leistung, auf die er rechtlich Anspruch hat. Dazu gibt es drei Wege:
1. Freiwillig: Die Superreichen verzichten auf den Anteil ihres Vermögens, der über einer bestimmten Grenze, z.B. 50 Millionen Dollar liegt. Dann wäre das Finanzsystem ohne Revolten und Hungerkrisen wieder im Lot, müsste aber noch umgebaut werden, um nicht wieder in dieselbe Falle zu tappen. Wahrscheinlichkeit: 0,001
2. Marktwirtschaftlich-chaotisch: Die Superreichen bringen ihre Werte in Sicherheit, die Massen verlieren ihre Ersparnisse, allgemeiner Überlebenskampf.
3. Behördlich verordnet: Neuverteilung der Werte unter Einsatz von militärischen Mitteln, in demokratischen Ländern unter Wahrung der Interessen der Bevölkerung, in totalitären Staaten unter Wahrung der Interessen einer privilegierten Elite. Damit wir uns hier richtig verstehen: Die meisten westlichen Staaten haben einen totalitären Charakter, der sich in dieser Krise deutlich manifestieren wird. Nicht umsonst haben die USA im September eine kampferprobte Brigade aus dem Irak zurückgerufen. Es wird offenbar im eigenen Land mit Zuständen gerechnet, wo es nichts mehr zu diskutieren, sondern nur noch abzudrücken gibt.
Die Schweiz ist in dieser Situation tatsächlich in einem Sonderfall. Zum einen sind wir trotz aller internationalen Verflechtungen anders kapitalisiert, und vor allem verfügen wir über demokratische Strukturen, die noch einigermassen funktionieren. Und schliesslich hatte das Obrigkeitliche in diesem Land schon immer einen schweren Stand, wenn es darauf ankam.Das ganz grosse Problem beim Umgang mit dieser Krise ist die Transparenz. Im August 2006 beschied mir Dieter Leutwyler, Pressesprecher des Eidg. Finanzdepartementes auf eine entsprechende Anfrage, ein Notfallplan zur Sicherung unserer Währung gehöre in die Kompetenz der Nationalbank (siehe ZP 85, Was Währungshüter wirklich hüten: ein Tabu). Ende September dieses Jahres erklärte Bundesrätin Evelin Widmer-Schlumpf, ein Notfallplan existiere bereits seit 2005. Die Nationalbank erklärte 2006 auf dieselbe Frage: «Wir handeln, wenn es passiert.» Und dann sagte mir Roland Baumann von der Presseabteilung der Nationalbank etwas Erstaunliches: «Allein die Tatsache, dass wir uns über dieses Thema unterhalten, lässt in den Märkten draussen die Glocken läuten.» Im Klartext heisst dies: Wenn die Wahrheit ans Tageslicht kommt, weicht das letzte Vertrauen und der illusionäre Glaube an den Wert des Geldes ist hin. Aber: Wie wollen wir über echte Lösungen der Finanzmarktkrise sprechen, wenn die Wahrheit unter Verschluss gehalten wird? Von der Finanzmarkt-Debatte in der Wintersession der Eidg. Räte ist unter diesen Vorzeichen nicht viel zu erwarten. Aber vielleicht ist diesmal alles ganz anders – die Debatte, die Krise, der Verlauf der Geschichte.
06. Oktober 2008
von:
von:
- Anmelden oder Registieren um Kommentare verfassen zu können