Favela Painting und Regenbogendörfer: Kann Kunst Armut besiegen?
Zuerst war ich skeptisch: Armut soll bemalt und dadurch übertüncht werden? Aber es scheint, dass das Bemalen des eigenen Armutsviertel die Menschen zusammenbringt und den Gemeinschaftsgeist weckt. Und damit auch die Bereitschaft zur Selbsthilfe.
Weltweit wachsen die Städte. Grosse Teile der Landbevölkerung verlieren ihre Lebensgrundlagen und bilden Armutsringe um die Metropolen: Slums, Ghettos, Favelas. In den illegalen Hütten und Baracken müssen die Menschen ohne staatliche Hilfe zurechtkommen. Oft wagt sich keine Polizei hinein, es regieren lokale Drogenbanden und Mafiabosse. Es kann Generationen dauern, bis sich gegenseitige Hilfe und Selbstorganisation durchsetzen, bis Armut und Kriminalität einigermassen besiegt sind, bis aus Favelas und Slums menschenwürdige Wohnorte werden. Ein Prozess, der Miteinander und Gemeinschaftsbildung verlangt. Ein Weg, das zu erzeugen, ist Kunst. So entstanden die farbenprächtigen Slums von Brasilien – und an anderen Orten.
Es begann in Rio de Janeiro. Mehrere Elendsviertel verwandelten sich mit Hilfe von zwei holländischen Künstlern. Bewohner nahmen teil, malten, lernten, rührten Farben und brachten eigene Impulse ein. Durch die Aufmerksamkeit und die Verschönerung ihrer Viertel hat sich ihr Image geändert und auch das Leben: die Bewohner wurden selbstbewusster.
Das Projekt wurde von den niederländischen Künstlern Dre Urhahn und Jeroen Koolhaas ins Leben gerufen. Sie besuchten 2005 zum ersten Mal die Favelas von Rio, um Hip-Hop-Videos zu drehen. Sie mieteten Räume in einem der gefährlichsten Slums der Stadt, Vila Cruzeiro, und arbeiteten mit den Jugendlichen vor Ort.
«Plötzlich hatten wir die klare Vision, ihr Lebensumfeld gemeinsam mit ihnen in etwas Künstlerisches zu verwandeln, das ihrem Leben einen gewissen Stolz verleihen würde», so Urhahn in einem Interview mit dem CNN. Sie riefen das Projekt Favela Painting ins Leben. Ein Junge mit einem Drachen, Fische, die in einen Fluss springen, das waren die ersten Projekte, die über mehrere Häuser gemalt wurden. Zwar habe an diesem ersten Ort die Kriminalität zunächst nicht abgenommen, aber das Projekt hat Vila Cruzeiro auf der Landkarte für etwas anderes als den Drogenhandel bekannt gemacht.
Die nächste Favela war Santa Marta. Hier hatte die Kriminalität schon abgenommen. Doch immer noch floss Abwasser über die Wege, und das an einem Hang gelegene Viertel war nur zu Fuss erreichbar. Eine Fundraising-Kampagne brachte das nötige Geld. Eine Firma sponserte die Farben und Schulungen. Sogar ehemalige Drogendealer beteiligten sich und erfuhren, dass «ehrliche Arbeit eine gute Sache sein kann» - so sagte einer von ihnen. 34 Gebäude sind zu einer gigantischen Leinwand geworden und ziehen ausländische und einheimische Touristen an.
Die farbigen Favelas verändern sich durch die Impulse ihrer Bewohner. In Vila Cruzeiro war die Farbe nach einigen Jahren verblasst. Um die Gemälde zu restaurieren, beschlossen die Bewohner, statt Farbe lokal verfügbare, nachhaltigere Materialien zu verwenden: Kalkstuck und Fliesen. Es war eine reine Frauengruppe, die riesige Mosaike produzierte – und ganz neue Arbeitsabläufe, in die viele Bewohner einbezogen wurden. Ein weiterer positiver Effekt: Damit die Mosaike hielten, mussten die Fassaden der Häuser verbessert werden. Defekte Wände wurden repariert und unsaubere Stromleitungen in einem Schwung saniert.
Inzwischen wurde der Impuls in vielen Favelas im Land und auch weltweit aufgegriffen. Das kleine Elendsdorf Kampung Pelangi in Indonesien erhielt Muster aus leuchtenden Farben und skurrilen Mustern. Das Projekt von 232 Häusern wurde von dem 54-jährigen Schulleiter Slamet Widodo initiiert und der Regierung finanziert. Die kreativen Wandmalereien schmücken die Wände der engen Gassen und geben dem Dorf neues Leben. Mindestens drei andere Städte des Landes haben ähnliche Anstriche vorgenommen. Die Touristen folgen der Anziehungskraft der Regenbogendörfer, strömen in die ehemaligen Slums und bringen Leben und Kaufkraft hinein.
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