Es geht nicht ohne Klassenkampf
Um die Klasse der Superreichen zu entmachten und gesellschaftliche Verhältnisse mit wirklich gleichen Rechten herzustellen, braucht es globale Zweckbündnisse aller Linken und Grünen. Erleben wir das noch?
Die meisten Linken und Grünen sind kleinkariert statt links, perspektivlose Sänftlinge, viele sind eitle Selbstdarsteller, Wohlbefindler, Schrebergärtner, Burka-Debatter, Kapitalismus-Optimierer. Es braucht daher, wie ich das nenne, eine politische Psycho-Therapie, z.B. die Normale Revolution©. Diese beginnt innen, bei mir und dir, damit wir wach, stark und mutig genug werden für den Widerstand, für Zweckbündnisse und den zweiten Anlauf zum Sozialismus.
Die Links-Grünen schlafen tief, während die Privatwirtschaft ihre Macht über die Politik zementiert: mittels CETA und TTIP, dem Schutz des Privateigentums vor staatlicher Einflussnahme; private Schiedsgerichte hebeln die staatliche Justiz aus. Ausgerechnet Donald Trump hat das einstweilen gestoppt. Aber der Schlaf dauert an ...
Ein waschechter und starker Sozialist vom Format eines Lenin, Tito, Ho-chi-Minh weiss sich seiner Utopie verpflichtet. Er wird nicht das Grundproblem des sog. freien Unternehmertums, den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, zu seinem Problem machen (Hollande: Am Sinken der Arbeitslosigkeit will ich gemessen werden), sondern es der Bourgeoisie zurückgeben: Schafft Vollbeschäftigung, zuerst bei der Jugend, schafft nachhaltige, bedarfsdeckende Produktion und Dienstleistung sowie betriebliche Mitbestimmung, sonst – ja! – sonst enteignen wir euch! Langfristig wollen wir ohnehin nur noch KMU und Genossenschaften. Und hört auf, euch ausserhalb des Parlaments in die Politik einzumischen: die Zeiten des sozial-schädlichen Raub-Kapitalismus sind vorbei.
Leuten mit solchen Utopien können wir das Ringen um eine bessere Welt anvertrauen: stark und mutig, mit Durchblick und Visionen. Also kein Helmut Schmidt, der gesagt hat: «Wer Visionen hat, soll zum Arzt.»
Um eine bessere, nein: eine gute Welt einzurichten, gibt es verschiedene Wege. Den militärischen samt Zwangs- und Überwachungs-Apparat haben wir gehabt, das funktioniert nicht. Es gibt aber genügend Linke und Grüne auf der Welt, um Mehrheiten zu sammeln, sofern sie zulegen an Wissen und Format. Beispiele dafür sind das Weltsozialforum und andere Alternativen zum WEF – oder Pepe Mujica, Ex-Präsident von Uruguay. Ich erwarte solche Sammel-Bewegungen auch im reichen Norden, nötig sind sie aber vor allem im Süden und Südosten. Das Zweckbündnis wird also überwiegend farbig sein, evtl. unter russischer Beteiligung. Das Bündnis der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) ist hiefür ein Beispiel. Es ist übrigens typisch für die Propaganda-Maschinerie des westlichen Kapitals, dass sie sich in Brasilien (Rousseff, Lula da Silva) und Südafrika (Zuma) engagiert, um dem BRICS-Bündnis wenigstens die ausser-asiatischen Eckzähne zu ziehen!
Wir hier können uns als Verbündete anbieten und unser politisch-ökologisches Know-how einbringen. Den Lead werden aber die farbigen Völker übernehmen müssen – sie sind ja schliesslich die Mehrheit. Wir Linken und Grünen hierzulande können einen Beitrag leisten, indem wir mit intelligenter Aufklärung verhindern, dass sich die Mächtigen im Nordwesten weiterhin machterhaltend einmischen wie bisher, indem wir ihnen also in den Arm fallen, wenn sie uns wieder belügen, Bomben abwerfen oder irgendwo «humanitär» intervenieren.
Übrigens: Vergessen wir die sog. politische Mitte. Vor lauter «Differenzieren» und Zerreden würden wir gelähmt. Wenn die Saat aufgehen soll, kann der Weizen nicht auch noch die Spreu mitschleppen ...
Und die Entmachtung? Da zögert meine politische Fantasie. Ich bin 75 und denke, dass es Sache der Jüngeren ist, das auszuhecken und umzusetzen. Mein Beitrag war und ist, Denkfenster zu öffnen, dass es zu einem radikalen Wandel keine Alternative gibt, wenn wir menschenwürdig überleben wollen, und mein Beitrag war und ist, Denkverbote aufzuheben, damit der humane, modernisierte Sozialismus eine zweite, eine faire Chance bekommt.
Im Zeitalter der dezentralisierten Computernetzwerke sind der gute alte Widerstand und das Auf-die-Strasse-gehen antiquiert, auch die gute alte Übernahme der Produktionsmittel. Vielleicht sind Hacken und Anonymous tauglich, Edward Snowden und Julian Assange, um die Akkumulation des geheimen Wissens blosszustellen. Ich weiss es nicht. Die Vernetzung mit allen Linken und Grünen andererseits ist heutzutage leichter denn je ..., wir sind die Mehrheit!
Ob ein anderes Geldsystem die Entmachtung der Superreichen möglich macht, ist unwahrscheinlich, denn es schafft nur Alternativen innerhalb des kapitalistischen Systems, optimiert dieses also. Die privatwirtschaftlich organisierte Militär-Industrie mit ihrem verheerenden Einfluss käme damit vermutlich klar. Eine bessere, nein: eine gute Welt ist aber nur ausserhalb des privatwirtschaftlichen Systems möglich, sonst mottet der Schwelbrand sozialschädlicher Einflüsse auf die Politik weiter.
Aber vielleicht, vielleicht schafft sich das kapitalistische Polit-System ja selbst ab – einige denken jedenfalls so.
Die Jüngeren sollten sich dazu, auch zu ihrem persönlichen Vorteil, die Normale Revolution© zu eigen machen. Darunter ist ein physisches, psychisches und mentales Krafttraining mit sozialer Ausrichtung zu verstehen. Sonst erlangen sie das Format nicht, das sie zu den genannten Zweckbündnissen befähigt.
Alfred Rudorf (* 1942) ist Jurist und war zunächst fast zwei Jahrzehnte als Zivil- und Strafrichter in Zürich, dann als Familien-Mediator tätig. Er ist einer der wenigen 68er, die sich durch den Gang durch die Institutionen nicht angepasst haben. Der vorliegende Text ist ein Kapitel aus seinem Buch Wir Papageien, einer Essay-Sammlung, in der es um die Grossmachtpolitik der USA geht, um Propaganda, die systematische Umverteilung und viele gesellschaftliche Übel – eine geballte Ladung Klartext. Das Buch ist online verfügbar unter www.wir-papageien.ch
von:
- Anmelden oder Registieren um Kommentare verfassen zu können