Ist Eifersucht heilbar?
Die Angst vor Trennung und Verlust ist eine Kulturkrankheit, auf der Politik, Wirtschaft und sogar Religionen aufbauen. Tritt sie auf, sollten wir in uns selbst investieren.
Kürzlich trat sie wieder auf, in der Hauptrolle meines Schattenkabinetts, und sie war auch nach tausend Einsätzen dramatisch wie beim ersten Mal: die Eifersucht. Sie zog das komplette Register: Wut, Kontakt-Verweigerung, Tränen und ein an die Wand geworfener Zuckerstreuer. Natürlich hatte ich allen Grund dazu! Mein langjähriger Freund hatte sich in eine Neue verliebt. Diesmal, das spürte ich gleich, war es ernst. Sie liebten sich wirklich, das sah man. Ein Traumpaar. Für mich blieb da genau eine Rolle. Die der Sitzengelassenen.
Ich verliess rauschend die Räume, die das Traumpaar betrat und hinterliess eine dramatische Leere – so hoffte ich jedenfalls. Proben brauchte ich nicht: Die tapfer leidende Miene war mir von einer langen Reihe weiblicher Vorfahren in die Wiege gelegt worden, den vorwurfsvollen Blick habe ich jahrelang trainiert, das Tremolo in der Stimme war ebenfalls bühnenreif. Wie kann eine Frau einer anderen einfach den Mann klauen, hat sie noch nie von Frauensolidarität gehört? Und wie kann er mich nach allem, was wir zusammen erlebt haben, gegen eine Jüngere eintauschen?
So humorvoll man es auch zu beschreiben versucht, innerlich fühlt es sich ganz und gar nicht heiter an. Denn die Eifersucht führt uns an die tiefsten Schmerzpunkte des Verlassen-Werdens. Eifersucht gehört zu den häufigsten Mord- und Selbstmordmotiven. Die Frage ihrer Heilung ist also durchaus im Sinn der Friedensbildung.
Ich selbst lebe in einem Umfeld, das Eifersucht nicht unterstützt. Meine Freundinnen bekamen keine feuchten Augen, als ich ihnen berichtete. Sie fragten trocken: «Na und? Was jetzt? Liebst du ihn oder nicht?» Ihr ausbleibendes Mitleid rüttelte mich wach. Ich entschied mich zu folgendem Experiment: Ist es möglich, egal was da komme, bei der Liebe zu bleiben? Habe ich eine Chance, ein freies, liebendes Herz zu behalten – egal ob ich wieder geliebt werde? Gibt es die Intimität mit meinem Freund, die ich wünsche, auch wenn er eine andere liebt? Kann ich mein Herz auch für seine neue Freundin öffnen – und sie vielleicht irgendwie in meine Liebe zu ihm mit hineinnehmen?
Vorab gesagt: Das Experiment ist noch nicht abgeschlossen. Tatsächlich konnte ich mein Herz für seine neue Freundin öffnen und verstehen, warum er sie liebte. Ja, ich wünschte ihm, ihr und mir, dass diese Liebe gelingen möge. Es kam zu Zeiten selbstlosen, tiefen Liebesglücks ohne Bedingungen und Erwartungen, dann wieder zu Vergleich und Resignation. Aber eine Erkenntnis kann ich schon bekannt geben: Die Kraft des Trotzes kann etwas richtig Gutes haben. Was hilft, ist tatsächlich der tiefe Entschluss, die Liebe selbst nicht zu bekämpfen, egal wo sie gerade auftaucht, ob bei mir oder bei jemand anderem.
Die meisten Menschen schütteln verständnislos den Kopf, wenn ich ihnen von meinem Experiment erzähle. Sie sagen Dinge wie: Du wirst ihm doch wohl nicht nachlaufen! Such dir einen Neuen! Lass dir nichts gefallen, du musst ihn spüren lassen, dass er so nicht mit dir umgehen darf. Und ich sehe sie geradezu denken: Wieso hat sie das denn nötig? Hat sie keinen Stolz? Wer als Frau etwas auf sich hält, gibt dem untreuen Mann den Laufpass.
Diese Art von Stolz hat mich allerdings nie sehr interessiert. Ich habe mich stattdessen erinnert, wie sehr ich es selbst immer geliebt habe, mich neu zu verlieben. Die Freiheit zu flirten, Eroberungen zu machen, mich auf Abenteuer einzulassen und einen neuen Menschen tief zu entdecken, war mir immer sehr viel wert. Es ist doch logisch, dass es ihm auch so geht. Was würde ich von einem Partner halten, der jede dieser Regungen mit demonstrativem Leiden bestraft? Ich würde ihn loswerden wollen. Und wenn die neue Liebe dann wirklich tiefer wird?
Solange man selbst in der Liebe am Hungertuch nagt, kann man dem anderen nicht beim Torte-Essen zusehen. Aber wieso lassen wir es überhaupt zu, am Hungertuch zu nagen? Was ist es für ein Leben, wo wir allein den Partner dafür zuständig gemacht haben, ob wir genug kriegen oder nicht?
Wir brauchen ein anderes Leitbild für Liebe, Treue und Partnerschaft. Die gängige Vertragsbeziehung – ich liebe dich, wenn du mich liebst; ich bin treu bzw. verheimliche dir meine Affären, solange du es auch tust etc. – taugt nicht dafür. Meine Forschungsfrage hiess: Gibt es Liebe ohne Vertrag und ohne Eifersucht? Kann ich die volle Liebe erleben, auch wenn ich mich nicht als Zweierbeziehungshälfte definiere?
Für dieses Experiment brauche ich ein soziales Umfeld, das mir eine Grundversorgung an Intimität, Heimat, Gegenüber, Kontakt, Erotik, Freundschaft und Anwendung meiner zärtlich-liebenden Fürsorge ermöglicht. Wenn ich diese Grundversorgung habe, wünsche ich zwar – vielleicht – immer noch eine Partnerschaft, aber ich überlebe auch ohne sie und eigentlich gar nicht schlecht. Wenn meine Grundbedürfnisse nach Kontakt gedeckt sind, dann ist die Verlustangst weniger existenziell, und ich kann versuchen, meinem Freund treu zu bleiben und ihn weiter zu lieben, auch wenn er sich neu verliebt.
Liebe ist ein Zustand der Öffnung, des Vertrauens und Wunsches, alles für den anderen zu tun und für ihn da zu sein. Eifersucht dagegen ist ein Zustand des Verschlusses, der Angst bis zur Paranoia und der Wut, der Raserei und Mordlust. Im Zustand der Eifersucht hassen wir den Partner. Eifersucht ist also das Gegenteil von Liebe. Und doch leben wir in einer Kultur, in der Eifersucht als Teil der Liebe betrachtet wird, gar als ihr Beweis. Darauf sind unsere Liebesromane und -filme aufgebaut und auch die meisten Ehen und Beziehungen.
Wenn wir denken, dass zur richtigen Liebe auch richtige Eifersucht gehört, dann ist das so, als glaubten wir, dass zur richtigen Ernährung auch das Erbrechen gehört und zum richtigen Atmen das Asthma. Eifersucht ist ein Symptom für die Krankheit unserer Gesellschaft, für die Erkrankung im Kernbereich des Lebens: in der Liebe, der Partnerschaft, der Sexualität, der Einbettung ins Universum. Sie ist ein Symptom dafür, dass wir für diese wilde und freie Kraft der Liebe und des Eros kein geeignetes Gefäss aufgebaut haben.
Unsere ganze Kultur beruht auf diesem falschen Denksystem; Politik, Ökonomie, Zusammenleben, sogar Religionen wurden aufgebaut auf dem Trauma der Trennung – Trennung von Gott, Trennung von der Geborgenheit, von unserem Wissen, Trennung von dem, was mich nährt, hält, inspiriert und erfüllt. Aus dieser Erfahrung heraus entstanden die Grundparadigmen Angst, Macht des Stärkeren, Kalkulation, Kontrolle, Besitzdenken, Konkurrenz – und Eifersucht. Unter dem Trennungstrauma zielt jede Handlung darauf ab, den erneuten Verlust zu vermeiden; aber es ist diese Vermeidungsstrategie – das Klammern, die Enge und Erpressung –, die den Verlust provoziert.
Wenn wir uns eingestehen, dass sowohl in unserem persönlichen Leben als auch in der Gesellschaft das alte Liebesbild gründlich gescheitert ist, haben wir den Freiraum, etwas Neues zu probieren. Denn Eifersucht kann ein Seismograph sein. Wenn ich merke, dass es mir einen Stich gibt, wenn mein Partner einer anderen zulächelt, oder wenn es mich über die Massen wurmt, dass meine Freundin besser ankommt als ich – dann kann ich davon ausgehen, dass in meinem Leben etwas fehlt. Eifersucht ist ein Symptom für eine Mangelerscheinung unseres Lebens. Welche Wünsche und Impulse gibt es in uns, die nicht gelebt werden? Das ist vielleicht peinlich, aber: Ist es nicht auch äusserst spannend?
Statt dem Partner sein schwindendes Interesse zum Vorwurf zu machen, können wir anfangen, in uns selbst zu investieren. In ein voll gelebtes Leben. Und da steht meistens der grösste Paradigmenwechsel an: Worin besteht ein voll gelebtes Leben? Sicher nicht darin, alle Wünsche erfüllt zu bekommen. Aber vielleicht darin, unsere volle Kraft für etwas einzusetzen, das wir lieben, uns mit unseren intimsten Impulsen zu zeigen oder wirklich zu helfen, wo Hilfe gebraucht wird. Ein voll gelebtes Leben besteht vor allem in der voll gewagten Liebe.
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Der vorliegende Text ist ein gekürzter Ausschnitt aus dem Buch «Frau-Sein allein genügt nicht – mein Weg als Aktivistin für Frieden und Liebe» von Leila Dregger (edition Zeitpunkt 2017, 196 S., CHF 19.–, EUR 17.–.
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