Ja, nein, vielleicht

Eigentlich legen wir uns gerne fest. Aber noch lieber haben wir es ganz unverbindlich.
Wieso eigentlich?

Illustration: Harry Schaumburger

Ob Kaffeeklatsch, Kinobesuch oder Geburtstagsfeier: Mit wem ich mich in den nächsten Wochen wann treffe, weiss ich nicht. Das liegt nicht daran, dass ich keine Freunde hätte. Sondern daran, dass sich niemand festlegen will. Die heute Zwanzig- bis Dreissigjährigen, zu denen auch ich gehöre, haben viele Spitznamen. Ich würde sagen: Generation Unverbindlich. «Vielleicht» ist unser Lieblingswort.

Es gab Zeiten, da hatte ich einen Terminkalender, in dem standen Dinge wie: «Samstag 19 Uhr, Essen mit Hanna». Jetzt sind solche Einträge meist mit einem Fragezeichen versehen. Denn wer weiss am Montag schon, was er am Samstag macht? Iris fliegt am Wochenende vielleicht spontan nach Barcelona, Hanna muss erst abklären, ob das Treffen mit ihrem Freund noch steht, und Amina bekommt möglicherweise Besuch (wenn nicht, kommt sie gerne!). Alexandra hatte vor, mal wieder auf dem Flohmarkt vorbeizuschauen, lässt sich aber eventuell von mir umstimmen. «Wir telefonieren noch mal oder wir whatsappen», sagt sie. Übertrieben? Nein - das ist eine Situation, wie sie für meine Generation ziemlich normal ist.

«Es gibt keinen roten Faden mehr, der sich durch ein Leben zieht. Weder beruflich (von Job zu Job) noch in der Liebe (Lebensabschnittspartner) noch in der Haltung (vom Öko zum Kapitalisten und wieder zurück zum Aussteiger und Vollzeithippie). Wir können heute potenziell alles erreichen. Doch wollen wir uns einfach nicht festlegen. Alles kann, nichts muss«, schreibt der 1982 geborene Autor Oliver Jeges. So verwundert es nicht, dass sich immer weniger Menschen in einer Gewerkschaft engagieren oder dauerhaft in Vereinen und Organisationen aktiv sind. Gerade junge Menschen engagieren sich durchaus – aber sie tun es punktuell und projektbezogen, selten längerfristig.

Die oberste Maxime lautet: immer alles offenhalten. Das durchzieht sämtliche Lebensbereiche. Es gibt Fitness-Flatrates, bei denen man nicht zwischen Yoga, Laufband und Handball wählen muss, sondern sämtliche Angebote verschiedener Fitnessclubs nutzen kann. Und eine Untersuchung zum Thema Carsharing ergab: Nicht das Umweltbewusstsein ist der Hauptgrund, sich ein Auto zu teilen, sondern dass die Nutzer sich nicht binden wollen. «Je geringer die Verbindlichkeit, desto eher nutzt der Kunde das Angebot, weil er sich so gar nicht mehr richtig entscheiden muss», so das Ergebnis der Studie.

«Eine Haltung der Unverbindlichkeit ist oft als Gegenreaktion auf das permanente Sich-Entscheiden-Müssen zu verstehen», erklärt der deutsche Soziologe Ulrich Bröckling. «Die vielen Wahlmöglichkeiten und der daraus resultierende Druck, eine Entscheidung zu treffen, erzeugen Stress. Eine unverbindliche Haltung drückt also auch Überforderung aus.» Bröckling sieht darin nicht nur ein individuelles, sondern auch ein gesellschaftliches Phänomen. Die «Projektisierung» der Gesellschaft, die beispielsweise an befristeten Arbeitsverträgen sichtbar werde, erzwinge Veränderungen. «Was als Unverbindlichkeit erscheint, ist nichts anderes als der permanente Zwang, konkurrierende Anforderungen auszubalancieren», analysiert der Soziologe.

Bücher, die sich mit diesem Phänomen beschäftigen, heissen «Generation Maybe», «Generation Beziehungsunfähig» oder «Generation Unverbindlich». Die Autoren gehören meist selbst dazu. Auch im Netz findet man zahlreiche Beiträge, in denen Menschen meines Alters lebhaft diskutieren, warum wir so sind, wie wir sind, und wie wir da wieder rauskommen. In einem Blog zweier junger Frauen heisst es: «Wir spüren die Zerrissenheit zwischen dem tief im Menschen veranlagten Bedürfnis nach stabiler Bindung und unserem Unvermögen, diese einzugehen. So sind wir. Völlig losgelöst schweben wir in unserer selbst auferlegten Schwere. Und das Schlimmste daran ist, dass wir wissen, dass wir so sind. Wir nerven uns selbst. Wir sehnen uns nach Konstanz, Sicherheit, möchten etwas aufbauen, irgendwann mal eine eigene Familie – wir wissen nur noch nicht, wie das gehen soll.»

Schwierigkeiten bei der Entscheidungsfindung haben aber nicht nur junge Leute. Der Psychologe Bas Kast beschreibt in seinem Buch «Ich weiss nicht, was ich wollen soll» einen Feldversuch in einem Supermarkt: An einem Probiertisch wurden zunächst sechs Marmeladensorten angeboten, dann 24. Die grosse Konfitürenauswahl lockte deutlich mehr Kunden an – führte aber zu Ratlosigkeit. Diejenigen, die 24 Sorten zur Auswahl hatten, grübelten, welche Sorte sie nun nehmen sollten, nur um am Ende mit leeren Händen den Laden zu verlassen. Den Kunden, die bloss zwischen sechs Sorten wählen konnten, fiel es deutlich leichter, eine Entscheidung zu treffen.

So überrascht es nicht, dass es vor allem gebildete, kosmopolitische Städter sind, auf die das Phänomen Unverbindlichkeit in hohem Masse zutrifft. Denn sie haben die meisten Chancen, die meisten Optionen – und somit die grössten Schwierigkeiten, eine Entscheidung zu treffen. «Überall ist alles möglich: in der Politik, der Kunst, der Sexualität, der Architektur, der Berufswahl. Man kann heute nicht nur jederzeit den Arbeitsplatz, sondern auch das Geschlecht wechseln, die Profession, die Richtung», schreibt Oliver Jeges.

Diese Anything goes-Haltung nimmt besonders in der Liebe Formen an, die auf Dauer wohl nur wenige Menschen glücklich machen. In Städten wie Berlin oder Basel tummeln sich seit einiger Zeit immer mehr Mingles. Der Begriff setzt sich zusammen aus mixed und Singles und beschreibt Menschen, die ihre Beziehung so lose gestalten, dass es keine Zukunftspläne gibt, keine Verpflichtungen, keine Zusagen. Der oder die andere ist irgendetwas zwischen Freundin, Sexpartner und Bekanntschaft; eine Art der Verbundenheit, die genauso schnell beendet werden kann, wie sie begonnen wurde, ohne Erklärung, ohne schlechtes Gewissen. Dating-Apps wie Tinder tragen dazu bei, dass jeder noch am selben Abend einen anderen, besser aussehenden, erotischeren Partner im Internet entdecken und treffen kann. Wieso sollte man sich da noch für den Einen entscheiden?

Doch es gibt auch den gegenläufigen Trend. Die Zahl der neu geschlossenen Ehen steigt seit einigen Jahren wieder an, und glaubt man Studien, so sehnen sich die meisten jungen Europäer zwischen 15 und 35 Jahren nach einem festen Partner, nach Geborgenheit, Treue und Zuverlässigkeit. Ehe, Kinder und Familie stehen bei vielen jungen Menschen an erster Stelle. Und auch soziale Kontakte ausserhalb der Familie werden wichtiger. «Wir erleben eine Renaissance der Nachbarschaft», erklärt
Ulrich Reinhardt von der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg. Umfragen belegten, dass die Nachbarn eine neue Bedeutung bekommen, «und zwar nicht nur zum Blumenpflegen im Urlaub. Man rückt näher zusammen, es wird Verantwortung füreinander übernommen», sagt Reinhardt. Eine neue Verbindlichkeit ist zu erkennen. Ob sie gegen den Zeitgeist des Vielleicht ankommen wird, muss sich zeigen.

Wer das Thema offensiv im Freundeskreis anspricht, stellt fest: Die Sehnsucht nach Planbarkeit und Verlässlichkeit wächst. Als ich neulich auf die «Wir telefonieren dann noch mal»-Floskel einer Freundin erwiderte, ob wir nicht gleich einen Termin ausmachen könnten, stimmte sie zu. Vielleicht hat der Philosoph und Soziologe Christian Schüle recht, der zunächst ein vernichtendes Urteil über unsere Generation fällt: «Die Mittdreissiger sind das erste Kollektiv aus Individualisten, eine Kohorte von weitgehend asozialisierten Ichlingen.» Dann aber betont er: «Nun entstehen, zaghaft und verwundbar, erste Sehnsüchte nach einer Wandlung. Die Ichlinge sind auf der Suche nach einem Wir.»
Das «Wir» finden – ein schöner Vorsatz für Menschen jeden Alters, und einer, der nicht bis zum Neujahrstag warten muss. Das Wir könnte in einer politischen Partei warten oder im Flüchtlingsheim um die Ecke. Es kann auch eine Hochzeit werden oder die bewusste Entscheidung für ein Kind. Und wollten Sie sich nicht schon längst mal bei Amnesty engagieren, sich in der Musikschule anmelden oder dem Naturschutzbund beitreten? Der Möglichkeiten sind viele. Entscheiden Sie sich für eine!     

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Elisa Rheinheimer-Chabbi, geboren 1987, ist Politikwissenschaftlerin und Redakteurin bei der Zeitschrift «Publik-Forum».