Neurofeedback: Training fürs Gehirn
Trotz einer Vielzahl moderner Methoden und Medikamente leiden Menschen jahrelang unter Problemen, gegen die scheinbar kein Kraut gewachsen ist. Kann Neurofeedback ihnen helfen?
Neurofeedback ist eine Therapie, die dem Gehirn hilft, Probleme zu überwinden. Es regt auf spielerische Weise die Entwicklungsfähigkeit des Gehirns an. Als wirksame Therapiemethode wird Neurofeedback bei einer ganzen Reihe psychischer Probleme angewendet, unter anderem bei ADHS, Autismus, Depressionen, Burnout, Migräne, Epilepsie, Suchterkrankungen, Psychosen, Lernschwierigkeiten, chronischen Schmerzen und psychischen Verletzungen wie der posttraumatischen Belastungsstörung. Auch Sportler, Musiker und Schauspieler ohne konkrete Beschwerden nehmen Neurofeedback in Anspruch, beispielsweise für die Verbesserung sportlicher oder kognitiver Leistungen.
Die Neurobiologin und Heilpraktikerin Dr. Meike Wiedemann und die Biologin Kirsten Segler schreiben in ihrem Buch «Neurofeedback»: «Das Training unterstützt das Gehirn darin zu lernen, wie es leichter aus überdrehten oder untertourigen Zuständen in die entspannt-offene Gipfellage gelangen kann. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass sich das Nervensystem anders organisieren, weiterentwickeln und mitunter sogar nachreifen kann.» Das Buch sei allen empfohlen, die mehr über die Funktionsweise des Gehirns und die Einsatzmöglichkeiten von Neurofeedback erfahren möchten. Es enthält auch zahlreiche Fallbeispiele.
Was passiert konkret in einer Neurofeedback-Sitzung? Voraussetzung für die Arbeit ist ein quantitatives Elektro-Enzephalogramm (QEEG). Damit wird festgestellt, wie das Gehirn die Aktivitäten der Klientin oder des Klienten unterstützt. Das QEEG gibt Aufschluss darüber, wie das Gehirn trainiert werden muss. Für die Behandlung bekommt die Klientin eine Art Badekappe mit Elektroden aufgesetzt, die mit dem Computer des Therapeuten und mit einem Bildschirm verkabelt sind. Die Elektroden messen ausgewählte Hirnströme und geben sie an den Computer weiter. Dieser kombiniert die die Informationen mit einem Film, der dem Klienten auf dem Bildschirm präsentiert wird. Die Animationen, Bilder oder Szenen verändern sich entsprechend der Hirnaktivität. Das ist mit «Feedback» gemeint: Diese Rückmeldung spiegelt dem Gehirn, was es gerade tut. Die Klientin erkennt ihre eigene Aktivität und kann nun ausprobieren, wie sich Veränderungen auswirken.
Verblüffende Erfolge erzielt Neurofeedback bei der Behandlung von Trauma. Die amerikanische Psychologin Sebern Fisher sagt dazu: «Mit Neurofeedback hoffen wir einzugreifen in den Kreislauf, der Zustände von Angst, Scham und Wut hervorruft und aufrecht erhält. Es ist das wiederholte Befeuern dieser Kreisläufe, das Trauma definiert.» Die Patienten bräuchten Hilfe, damit sie die durch das Trauma und die Folgen zur Gewohnheit gewordenen Muster im Gehirn verändern können. Neurofeedback stabilisiert das Gehirn und erhöht die Resilienz der Betroffenen - und ihre Wahlmöglichkeiten bezüglich dessen, wie sie reagieren.
Neurofeedback ist nicht neu. Schon in den späten 1950er Jahren entdeckte Professor Joe Kamiya von der Universität von Chicago, dass Menschen mittels Feedback lernen zu erkennen, wann ihr Gehirn Alpha-Wellen produziert. Diese stehen im Zusammenhang mit Entspannung. In Experimenten demonstrierte der Professor auch, dass die Versuchspersonen sich mit Hilfe eines akustischen Reizes willentlich in einen Alpha-Zustand versetzen konnten. 1968 veröffentlichte Professor Kamiya einen Artikel über seine Arbeit in Psychology Today. Ein grösseres Publikum erfuhr erstmals, dass Alpha-Training Stress und stressbedingte Zustände reduzieren konnte.
Vom Psychologen Dr. Barry Sterman von der UCLA (University of California) stammt die erste wissenschaftliche Arbeit, welche die Wirkung von Neurofeedback auf pathologische Zustände dokumentiert. 1971 verkabelte er die 23-jährige Mary Fairbanks mit einem Neurofeedback-Gerät. Die Patientin litt seit ihrer Kindheit an schwerer Epilepsie und produzierte mehrmals pro Monat Grand-mal-Anfälle. Sie trainierte ihr Gehirn mit Neurofeedback zweimal wöchentlich für jeweils eine Stunde. Nach drei Monaten war sie praktisch frei von Anfällen. Sterman publizierte die erstaunlichen Resultate seiner Arbeit 1978 im Journal Epilepsia.
Der grosse Optimismus bezüglich des Potenzials von Neurofeedback kam zum Erliegen, als Mitte der 1970er Jahre neue Psychopharmaka den Markt eroberten. Psychiatrie und Neurowissenschaft hielten sich an das chemische Modell von Verstand und Gehirn, und andere Behandlungsmethoden wurden auf die hinteren Plätze verwiesen. Seither wurde bezüglich Neurofeedback viel wegweisende Arbeit geleistet, vor allem in Europa, in Russland und in Australien. Allein in den USA gibt es mehr als zehntausend Neurofeedback-Praktizierende - und doch fehlen die finanziellen Mittel für die Forschung, die nötig ist, damit sich Neurofeedback etablieren kann. Warum ist das so?
Einerseits gibt es verschiedene Neurofeedback-Systeme, die sich gegenseitig konkurrenzieren. Andererseits ist das kommerzielle Potenzial begrenzt: Mit Neurofeedback lässt sich nicht viel Geld verdienen, denn wer die Therapie erfolgreich absolviert, ist danach weitgehend symptomfrei und geniesst eine Lebensqualität, mit der es sich gut aushalten lässt. Patientinnen und Patienten mit chronischen Beschwerden dagegen sind wie Kühe, die das Gesundheitssystem ewig melken kann. Sie brauchen teure Medikamente, jahrelange Therapien und nicht selten stationäre Aufenthalte in Spitälern oder psychiatrischen Institutionen.
Eigeninitiative ist gefragt: Wenn Sie sich für Neurofeedback interessieren, googeln Sie nach Adressen. Auch in der Schweiz gibt es zahlreiche Institutionen, Psychologen und Psychotherapeutinnen, die mit Neurofeedback arbeiten. Einige rechnen die Behandlung im Rahmen der Psychotherapie ab. Erkundigen Sie sich bei Ihrer Krankenkasse, ob und in welchem Umfang Psychotherapie bezahlt wird.
Mehr dazu
- Was ist Neurofeedback? Website von EEGInfo Europe
- Neurofeedback. Wie eine spielerisch leichte Therapie dem Gehirn hilft, Probleme zu überwinden, von Meike Wiedemann und Kirsten Segler
- Verkörperter Schrecken. Traumaspuren in Gehirn, Geist und Körper und wie man sie heilen kann, von Bessel van der Kolk M.D.
- A Consumer's Guide to Understanding QEEG Brain Mapping and Neurofeedback Training, von Robert E. Longo
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