Die Kunst des Zusammenspiels

Die Wirkung der Betriebseurythmie ist wissenschaftlich erwiesen.

Es ist unmöglich, nicht zu tanzen. Auch wenn du reglos vor dem Bildschirm sitzt. Jede Arbeit, ob auf der Baustelle oder im Büro, ist ein Ensemble von Bewegungen. Dort tänzeln muskulöse Gestalten waghalsig über Mauern und Dächer, hier flinke Finger über Tastaturen wie auf kleinen Bühnen. Alles ist Bewegung, Choreographie und Rhythmus eines grösseren Ganzen.
Sich dessen nicht bewusst zu sein, schafft Konflikte. Und die nehmen in unserer Gesellschaft derzeit eher zu als ab.

Betriebseurythmie ist ein Weg, sich des sozialen Ganzen auf existentielle Weise bewusst zu werden. Eurythmie (griech: schöner Rhythmus/Bewegung) vermag wie kaum eine andere Kunst das Zusammenspiel von Individualität und Gemeinschaft erlebbar zu machen und positiv zu beeinflussen: die Gruppendynamik am Arbeitsplatz, das Wahrnehmen des Anderen, auch wenn er gerade nicht sichtbar ist. Oder die konzentrischen Kreise, die das eigene Handeln im Meer des Sozialen auslöst, wie ein ins Wasser geworfener Stein. Das alles kann durch Betriebseurythmie erfahren, erlebt und geschult werden. Annemarie Ehrlich, lange Zeit führende Koryphäe auf diesem Gebiet, hat es jahrzehntelang in Chefetagen rund um den Globus mit grossem Erfolg getan. Die Universität Graz hat die Wirksamkeit in einer wissenschaftlichen Studie untersucht. Mit sehr erfreulichen Resultaten: Reduktion des Unfallrisikos auf null, deutlich verbesserte Durchschlafwerte, schnellere Regeneration von Burnout-Gefährdeten.

Grund genug für uns, die Frage nach der Zukunft der Betriebseurythmie zu stellen. Im September erscheint Sivan Karnielis Buch «Gemeinsam bewegen», die aktuellste Veröffentlichung auf diesem Gebiet. Die Autorin zieht ein Resümee aus der bisherigen Entwicklung und schöpft aus ihren Erfahrungen als Betriebs­eurythmistin einer Bank. Den eigentlichen Grund für den Erfolg sieht sie in der schöpferischen Kraft der Kunst: «In einer Arbeitswelt, die immer schneller getaktet ist, werden in grossen Konzernen heute ganze ‹Wellness-Oasen› eingerichtet, um den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Ausgleich zu ermöglichen. Eurythmie könnte man in der Kategorie ‹Wellness› als ‹Aktiv-Erholung› bezeichnen. Sie ist eine Methode, die sich aus der Kunst entwickelt hat und die deswegen unser schöpferisches Vermögen belebt. Nicht umsonst heisst es ‹Er-Schöpfung›, denn in einer Erschöpfung verliert man den Zugang zu den lebendigen Kräften in sich. In einer Schöpfung jedoch beleben sie sich.»

«Gott eurythmisiert» sagte Rudolf Steiner einmal, der Erfinder der Eurythmie. Man könnte ergänzen: der Gott oder die Göttin in uns. Das ist zumindest einmal ein anderes Lebensgefühl als Monotonie und Stress. Für Sivan Karnieli ist es zudem eine Form von Bewusstseinserweiterung: «Normalerweise versteht man unter Bewusstsein etwas, was im Kopf stattfindet. Hier jedoch wird das Bewusstsein erweitert bis in die Beine und Füsse, bis in die Arme und Hände, in die ganze Gestalt; aber es wird im Kontext von Teamarbeit oder Führung auch erweitert zu den anderen Personen einer Gruppe, in den Raum zwischen und um Menschen.»

«Gemeinsam bewegen» – allein und zusammen zugleich. Das Ziel ist ein schwer zu beschreibender Zustand des Einsseins mit einem grösseren Ganzen, ohne sich selbst zu verlieren. Ein Hinauswachsen des Selbst in die gefühlte Weite eines unendlichen Umkreises, gepaart mit dem Eintauchen in das eigene All-ein-sein. Der Kosmos tanzt und wir mit ihm wird zum ‹Wellness-Erlebnis› der ganz besonderen Art, wenn Betriebseurythmie die spirituelle Dimension berührt. Das kann sehr bodenständig sein – und auf jeden Fall ein interessanter Input für die Stimmung am Arbeitsplatz, beispielsweise in punkto ‹Horizonterweiterung›. – Seien wir achtsam auf diesen Tanz, bei jeder Bewegung im All-Tag, und auf seinen himmlischen Choreographen! «Gott eurythmisiert».

Sivan Karnieli: Gemeinsam bewegen – Eurythmie für Arbeits- und Teamkultur. Futurum-Verlag. Ca. 80 S.
Fr. 13.80 / € 10.90. In Vorbereitung.

---------------------------

 

Mehr zum Thema allein - zusammen finden Sie im Zeitpunkt 145 "allein - zusammen"
17. Oktober 2016
von: