Sie wollen nur das eine: alles

Heute wurde ich schon wieder gefragt, wie es denn mit der Finanzkrise weitergehen könnte und wann mit einem Crash zu rechnen sei. Zum Glück habe ich mich in dieser Frage schon vor Jahren so tüchtig geirrt, dass ich heute wenigstens eine unerschütterliche Sicherheit habe: an den volkswirtschaftlichen Zahlen lässt sich der Fortgang der Krise nicht ableiten. Ob bestimmte Ereignisse eintreten oder nicht, hat so gut wie nichts mit der gemessenen Realität zu tun, obwohl sie hinterher damit begründet wird. Dass Griechenland in akute Schwierigkeiten geraten ist, hat weniger mit seinen Schulden zu tun (die in praktisch allen westlichen Staaten zu hoch sind, als dass sie je zurückgezahlt werden könnten), sondern mit der Tatsache, dass eine Rating-Agentur die Bonität der griechischen Staatspapiere zurückgestuft hat. Das war eine reine Schreibtischtat und man darf davon ausgehen, dass sie nicht von einem autonomen Technokraten begangen wurde, sondern von höchster Ebene gebilligt wurde. Und vermutlich auch geplant. Sonst hätten nicht bestinformierte Spekulanten im Vorfeld Positionen aufgebaut, die von der Griechenland-Krise profitierten.

Doch kehren wir zur Frage zurück, wie die Misere weitergehen wird. Das Laboratoire Européen d’Anticipation Politique (LEAP), das mit seinen Positionen nicht schlecht liegt, prognostiziert bis im Sommer Staatsbankrotte für England und bis Jahresende für Frankreich, die USA und andere Länder. Die Zahlen geben ihnen Recht. Aber wenn die Zahlen die politische Wahrheit ausdrückten, hätte Deutschland 1994 die D-Mark in den Mülleimer der Wirtschaftsgeschichte werfen müssen. Damals wog die Schuldenlast gemessen an der Wirtschaftskraft gleich schwer wie 1948, als die Reichsmark aus dem Verkehr gezogen und mit der D-Mark neu gestartet werden musste.


Es sind also nicht die volkswirtschaftlichen Zahlen (die ohnehin weitgehend verfälscht sind), die den Verlauf der Krise bestimmen, sondern die Absichten der wirklich Mächtigen. Und die wollen vor allem eines: Alles. Und alles kriegt man nicht, wenn man einen Staat in den Bankrott treibt. Bei einem Bankrott gibt es nämlich eine Revolution oder ein Insolvenzfahren (das für Staaten zwar noch nicht existiert) in dessen Verlauf die Forderungen abgewogen und klassiert werden. In beiden Fällen wird das globale Finanzestablishment grössere Abschreiber machen müssen. Wird der Bankrott hingegen verzögert, lässt sich der Druck auf Volk und Regierung hoch halten, Lohnabstriche in Kauf zu nehmen und öffentliches Eigentum zu Dumpingpreisen zu privatisieren. Der finale Bankrott ist zwar beschlossen, aber der Weg wird verlängert und zur möglichst weitgehenden Verknechtung genutzt. Wir, das Volk, reagieren wie der Frosch im berühmten Topf, der langsam im heisser werdenden Wasser zu Tode schmort. Würden wir dagegen schnell mit der Realität konfrontiert, könnten wir mit einem rettenden Sprung das demokratische Steuer wieder in die Hand nehmen. Das darf natürlich nicht geschehen. Deshalb wird mit geschönten Zahlen, Sparprogrammen und gelegentlichen Minikrisen das Spiel verlängert, damit niemand den Temperaturanstieg bemerkt. Wie lange? Das hängt wohl von den paar Fröschen ab, denen es jetzt schon zu heiss ist – und die nur eines wollen: ein Leben in Freiheit.
24. April 2010
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