Stell dir vor, es ist Krise und keiner kuckt hin

Über die Festtage wurde konsumiert wie noch nie. Alle reden von Krise, aber die KonsumentInnenen verhalten sich nicht danach. Gut so, findet der Berufsnavigator und lädt zu einem kleinen Experiment ein.

Zur Finanzkrise, die dann zu einer Wirtschaftskrise wurde und jetzt schon als Weltwirtschaftskrise gehandelt wird, ist viel geschrieben worden. Ich möchte Sie daher nicht mit einer weiteren Analyse langweilen, sondern einfach zu einem kleinen Gedankenexperiment einladen.

Stellen Sie sich vor, über Nacht bricht das gesamte Finanzsystem zusammen. Wenn Sie am nächsten Morgen aufwachen, leben Sie in einer Welt ohne Geld. Wenn Sie nicht zu den Menschen gehören, die sich morgens, noch vor Kaffee und Frühstück über Radio, TV oder Internet in die öffentlichen Kommunikationskanäle einloggen, werden Sie zuerst einmal nichts auffälliges bemerken. Ihre Wohnung steht und ist angenehm geheizt. Sie finden alle Vorräte in der Küche. An materiellen Werten ist die Welt um kein Gramm ärmer geworden.

Stellen Sie sich vor: Sie ignorieren die Krise. Sie stehen auf und gehen arbeiten wie gewohnt. Stellen Sie sich weiter vor, alle anderen täten es Ihnen gleich. Die Busse würden fahren, die Brote gebacken und ausgeliefert, die Schulen und Supermärkte geöffnet. Mittags essen Sie in Ihrem Restaurant und abends kaufen Sie - wie immer - ein paar Lebensmittel ein. Moment, kaufen geht nicht. Ihr Geld ist ja nichts mehr Wert. Sie gehen also in den Laden und holen sich ihre Lebensmittel.

Wenn alle weiterhin etwa gleich viel arbeiteten und etwa gleich viel konsumierten, würde die Welt weiterlaufen, als ob nichts geschehen wäre. Damit offenbart sich eine wichtige Funktion des Geldes: Es ist ein Steuerungsmittel, dass unsere Möglichkeiten zum Konsum limitiert und uns mit sanftem Druck und Belohnung bei der Arbeit hält.

Was würden Sie machen, wenn Sie für Ihre Arbeit kein Geld mehr bekämen? Wahrscheinlich täten Sie Dinge, die Ihnen sinnvoll erschienen. Menschen bauen Häuser und Strassen, legen Gärten an, pflegen und bilden sich gegenseitig und sind auch in einer Welt ohne Geld schöpferisch tätig. Bei Konflikten am Arbeitsplatz würden Sie vielleicht schneller den Bettel hinschmeissen. Macht doch euren Dreck alleine, würden Sie sagen und gehen, selbst wenn Ihnen die Arbeit an sich sinnvoll erschiene.
Nutzen Sie dieses Gedankenexperiment, um für einen Moment über Ihre Arbeit nachzudenken:
•    Wie stark ist ihre Tätigkeit über ein "ich muss" gesteuert?
•    Wie viel "ich will" steckt in Ihrer Arbeit?
•    Welche Bereiche Ihrer Arbeit empfinden Sie als sinnvoll? Mit welcher Begründung?
•    Wie schnell sind Sie bereit den Bettel hinzuschmeissen oder zumindest in eine innere Kündigung zu gehen, wenn Konflikte am Arbeitsplatz auftauchen? Welche anderen Möglichkeiten mit Konflikten umzugehen kennen Sie?
•    Wie viel Macht geben sie dem Geld im Bezug auf die Wahl Ihrer Arbeit?

Thomas Diener ist Laufbahnberater und Berufsnavigator in Wien und Zürich
www.fairwork.ch
14. Januar 2009
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