Zur Erleuchtung Vorwärts marsch!

In Baden Württemberg wurde die erste spirituelle Militäreinheit gegründet. Negative Auswirkungen auf die Disziplin der Truppe hat das Motto «violett statt olivgrün» nicht - eher im Gegenteil.

In der Bundeswehr-Kompanie III/6 »Sri Aurobindo«, die seit 1. August 2001 im Baden-Württembergischen Bad Felderstedt stationiert ist, geht es etwas anders zu als in gewöhnlichen Militäreinheiten. Der Dampf von Räucherstäbchen umwölkt die kärglich eingerichteten 7-Mann-Schlafstuben. An den Spinden sind Poster mit bunten Mandalas aufgeklebt. Die violetten Barette der vorbeimarschierenden Soldaten ordnen sich auf dem Kasernenhof zu tadellosen geometrischen Figuren, während der vielkehlige Chor das Mantra »Om-Shanti-Bakshivayu« als Marschlied anstimmt. Aus der Kantine dringt der Duft von Grünkernbratlingen. Hat der Bundesverteidigungsminister etwa Liebe und Bewusstsein als Basis militärischen Handelns entdeckt?



»Früher waren Formulierungen wie ‘heiliger Krieg’ oder ‘Gotteskrieger’ selbstverständlich«, erklärt der Kompaniechef Hauptmann Shantilingam S. Böckelmann. »Bedeutende religiöse Führer wie Mohammed oder der Namensgeber unser Einheit, Aurobindo, waren immer auch grosse Kämpfer. Heinrich VIII war zugleich Oberbefehlshaber der englischen Streitkräfte und der anglikanischen Kirche. In diesem Jahrhundert ist es allerdings bedauerlicherweise zu einer Entmilitarisierung und Verweichlichung der Spiritualität gekommen. Zugleich fehlt es dem Militär an einer geistigen Seinsgrundlage. Die Soldaten wissen gar nicht mehr, wofür sie töten und sterben sollen. Entsprechend schlecht ist es um die Motivation anderer Bundeswehr-Einheiten bestellt«.



Entfaltet sich Spiritualität nicht viel besser im Raum der Freiheit? »Nein«, meint Shantilingam, »Der Trend zum spirituellen Militärdienst spiegelt das Bedürfnis nach archaischen Ordnungen, die uns in der heutigen Hektik und Unbehaustheit wieder verwurzeln und Sicherheit geben. Das Experiment schrankenloser Freiheit, wie es z.B. von den 68ern propagiert wurde, ist gescheitert. Es hat die Menschen nur unzufrieden gemacht. Nicht umsonst spricht man von der ‚Qual der Wahl’. Davon entbinden wir unsere Soldaten vollständig. Sie müssen nicht einmal mehr darüber entscheiden, welche Kleidung sie tragen, wie und wohin sie gehen oder in welche Richtung sie schauen sollen.



Spirituelle Menschen reden immer viel von ‚Einheit’; wenn es ums konkrete Handeln geht, hängen sie aber noch einem überholten, individualistischen Persönlichkeitsbild an. Beim Militär wird Einheit seit jeher in ganz physischer, lebenspraktischer Form verwirklicht. Militäreinheiten gleichen einem Insektenstaat oder Fischschwarm, was wir in der Formalausbildung anhand unseren Formationen auch optisch präsentieren. Der Einzelne erhält seine Daseinsberechtigung durch seine Funktion innerhalb des Organismus. Aufbegehren oder Kritik sind insofern eigentlich undenkbar. Das ist, als würde die Leber plötzlich sagen: ‚Ich habe keine Lust mehr, zu entgiften’.«



So zeigen sich besonders ehemalige Angehörige spiritueller Grosskommunen mit dem Experiment »spiritueller Militärdienst« hochzufrieden: »Bekleidung in einheitlichem Farbton, praktisch keine Bezahlung, ein von morgens bis abends durchstrukturierter Tag, totale Überwachung, aber das Gefühl einer Gemeinschaft Gleichgesinnter anzugehören, die gemeinsam für eine bessere Welt eintreten – eigentlich genau wie damals auf der Ranch«, meint der Spiess, Hauptfeldwebel Anandeva, früher Anhänger Bhagwans.



Erleichtert wird die Anpassung auch durch die nondirektive (permissive) Befehlsgebung. Statt »Stillgestanden!« formulieren Vorgesetzte z.B.: »Vielleicht möchtest du jetzt einfach mal in dich hineinspüren, ob in dir das Bedürfnis entsteht, still zu stehen«. Statt »Befehl und Gehorsam« heisst es im Kompaniejargon »Belehrung und Hingabe«, was für die Soldaten wesentlich leichter zu akzeptieren ist. Disziplinarische Probleme sind deshalb in der Kompanie »Sri Aurobindo« weitgehend unbekannt. »In Härtefällen erzähle ich den Soldaten, dass ich die Verkörperung ihres Inneren Meisters, ihren Höheren Selbstes bin. Sie glauben nicht, was Menschen dafür zu tun bereit sind. Sie erreichen einen Grad der Willenlosigkeit, den Sie anderenfalls selbst mit härtesten Strafen nicht zustände brächten«, schwärmt Shantilingam.



Militär und Spiritualität – Wiedervereinigung der feindlichen Brüder? »Nun wächst zusammen, was zusammen gehört«, könnte man Willy Brandt zitieren.