Krieg ist keine Option

BRICS stellt das alte Machtgefüge der Welt in Frage. Die kapitalistische amerikanische Führung bekommt Konkurrenz aus dem ebenfalls kapitalistischen Osten und Süden. Gleichzeitig sinkt die globale Geburtenrate unter das Erhaltungsniveau von 2,1 Kindern je Frau. Die Sterberate steigt. Eine Politik der Aufrüstung und Kriege, denen gerade junge Menschen zum Opfer fallen, ist nicht mehr zeitgemäss.

Picasso: Guernica. Photo: Jules Verne Times Two / julesvernex2.com / CC-BY-SA-4.0 / https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en
Picasso: Guernica. Photo: Jules Verne Times Two / julesvernex2.com / CC-BY-SA-4.0 / https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en

Der Kapitalismus blüht in China, Indien und Russland. Die Wirtschaft wächst und Amerika, das alles dafür getan hat, sein Wirtschaftssystem in die Welt zu bringen, muss mit ansehen, wie selbst das Wachstum ehemals kommunistischer Staaten, das eigene überflügelt. 

Es reagiert überrascht und unbedacht. Hat scheinbar keine Antwort. Statt dass es die eigenen Werte hochhält und sich vom oligarchischen, autokratischen oder staatlich kontrollierten Kapitalismus abgrenzt, nähert es sich ihm an, scheint ihn gar nachzuahmen. Freiheitsrechte werden eingeschränkt, Ideologien politisch instrumentalisiert, Wachstum erzwungen.

Die Erhebung von Zöllen ist lediglich ein weiterer Hilferuf, ein Massnahme, die die Not des Westens widerspiegelt. Zölle richten sich gegen eine freie Wirtschaft, gegen den friedlichen zwischenstaatlichen Handel. Mittelfristig schaden sie demjenigen, der sie verhängt.

Staat oder Freiheit

Die westlichen Werte, die Freiheit, die Gleichheit, Gerechtigkeit und Demokratie geraten unter die Räder der in Amerika schwachen, in Europa ins Rutschen geratenen Wirtschaft. In Deutschland herrscht gar eine Klimapolitik, mit der versucht wird, dem kränkelnden Kapitalismus mit Hilfe einer staatlich verordneten Energiewende wieder auf die Beine zu helfen und gleichzeitig die Staatskassen zu füllen. 

Undenkbar wäre hier eine Reform a lá Milei. Er stellt gegenwärtig in Argentinien die Freiheit auf den Thron und baut unter der Maxime: «Jeder Bürger seines Landes habe dieselben Rechte und Pflichten!» die Bürokratie massiv ab. In Deutschland wächst sie dagegen seit Jahren und mit ihr die Macht des Staates. Zwangsläufig schwindet die Freiheit der Bürger. Für Eigeninitiative, neue Ideen und Kreativität, also das, worauf Deutschlands Wirtschaft gründet, ist das pures Gift. 

In dieser politisch verursachten Situation einen Krieg gegen Russland oder China vom Zaun zu brechen und der Rüstungsindustrie ein staatliches Steuermillliardengeschenk zu machen, passt da gut ins Bild. In Deutschland ist nun Russland und nicht die Klimapolitik schuld an den hohen Energiepreisen, die die Inflation treiben und die Wirtschaft abwürgen. Schon Hannah Arendt und Hermann Broch beschrieben dieses Vorgehen als typisch totalitär. Das selbst verursachte Leid wird einem Sündenbock in die Schuhe geschoben.

Autoritäre Systeme mögen den Vorteil haben, bestimmte Ziele schneller erreichen zu können. Doch sind diese Ziele nicht die Ziele der Bevölkerung, sondern die der jeweiligen Regierung. Arbeitet die Regierung mit bestimmten Wirtschaftsakteuren eng zusammen, entsteht der Korporatismus, den Mussolini als Faschismus definierte. Die Folgen sind die Ausbeutung der Bevölkerung, wirtschaftlicher Niedergang und Krieg.

Der gesamte Westen, doch insbesondere Europa scheint sich gegenwärtig auf diesen Weg gemacht zu haben. Als Antwort auf die starke Wirtschaft der BRICS fällt ihm nichts anderes ein als der Ausbau der Staatsmacht, Sanktionen und Krieg. Doch wie soll dieser Krieg aussehen? Wird Amerika wieder Atombomben auf bevölkerungsreiche Grossstädte abwerfen, um mit dem Massenmord an unschuldigen Zivilisten eine Kapitulation zu erzwingen? Diesmal halt nicht auf Hiroshima und Nagasaki, sondern auf Krasnojarsk und Hangzhou? Wie würde die Reaktion ausfallen?

Das oligarchische Russland hat sich vom Zusammenbruch der Sowjetunion erholt und liefert einen Grossteil der Bodenschätze für den wirtschaftlichen Aufschwung Chinas und Indiens. Das ist militärisch kaum zu verhindern, jedoch ausschlaggebend für den gegenwärtigen Konflikt, der in der Wachstums-Konkurrenz zwischen dem BRICS-Kapitalismus und dem amerikanisch-europäischen Kapitalismus besteht. Es geht um Ressourcen, Profit, Produktion und die Vormachtstellung Amerikas.

Wachstumszwang und Geburtenrate

Der Wachstumszwang ist unserem Wirtschaftssystem immanent. Er ist ausschlaggebend und ursächlich für die modernen Kriege. Vorbei sind die Zeiten, als Krieg für die Ehre, eine Frau oder Blut und Boden geführt wurden. Es gibt auch keinen Überschuss an zu viel geborenen Söhnen, für die es keine andere Verwendung gibt als den Militärdienst, was der Soziologe Gunnar Heinsohn als primäre Kriegsursache hervorhob.

Ganz im Gegenteil. Die Weltbevölkerung wächst zwar in den kommenden Jahren aufgrund des demografischen Delays weiter, doch fehlt es schon jetzt an jungen Menschen. Unsere Gesellschaften altern. Die der BRICS genauso wie die des Westens.

Folgt die Geburtenrate ihrem Trend, steuern wir auf eine exponentielle Schrumpfung zu. Mit ihr steht die Funktionsfähigkeit unserer Gesellschaftsordnung ebenso wie das Wachstum und der Wachstumszwang zur Disposition. Denn die Anzahl an Arbeitskräften und Konsumenten wird ohne eine Trendwende zukünftig stark sinken. 

Statt also einen Krieg vorzubereiten, deren Ursache in naher Zukunft obsolet wird und der unsere letzten Kinder frisst, könnten wir uns vielmehr Gedanken darüber machen, wie wir unsere Gesellschaften neu organisieren können. Wie gehen wir mit dem Bevölkerungsrückgang um? Wer kümmert sich um die vielen Alten? Wer hält das Bildungs-, das Gesundheitssystem und die Infrastruktur aufrecht? 

Wer in dieser demografisch kritischen Situation zur Mobilmachung, zur Aufrüstung oder zur Wehrpflicht aufruft, verkennt die Gegenwart. Die jungen Menschen werden dringend gebraucht. Sie in den Krieg zu schicken, verbietet sich von selbst.

Freiheit als Gegenentwurf

Wenn der Westen seine Stellung in der Welt behaupten und sein Ansehen, das selbstverschuldet ausserordentlich stark gelitten hat, wiedergewinnen will, kann er das nur, indem er seine freiheitlichen Werte als Gegenentwurf zu den östlichen autokratischen Regimen überdeutlich herausstellt. Er könnte neben Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit die Freiheit - die persönliche und wirtschaftliche, die Freiheit der Wissenschaft, der Medien, die Meinungsfreiheit - an die erste Stelle seiner Politik stellen. 

Er könnte aus einer Position selbstbewusster Stärke heraus und in dem Wissen, dass freiheitliche und offenen Gesellschaften gegenüber Diktaturen, Tyranneien und Autokratien immer im Vorteil sind, wieder paktfähig werden, verhandlungsbereit und diplomatisch. Ja, er könnte.

Doch statt sich seiner Wurzeln zu erinnern, driftet er in Angst, Verwirrtheit und Unvernunft auseinander und verspielt sein Ansehen im grösseren Rest der Welt. Jeder, so scheint es, versucht sich selbst zu retten. Dabei wäre es für ernsthafte, anständige und weitsichtige Regierungen ein Leichtes, einen eigenen tragfähigen Entwurf, eine Zukunftsperspektive zu präsentieren.

Die westliche, von Kapitalinteressen und Dominanz geleitete Politik ist alt und extrem geworden. Sie hat sich von Ihren ursprünglichen Werten entfernt und schafft es nicht, sich den neuen Realitäten anzupassen. Sie ist der schon sichtbaren neuen und anderen Zukunft nicht gewachsen. So besteht die Gefahr, in Weltkrieg und Nihilismus zu versinken.

Um etwas gegen diese Gefahr zu tun, bedarf es der Besinnung auf die humanitären Werte, die Menschenrechte, die Gleichheit, die Achtung vor dem Anderen, die Achtung vor dem Leben. Es bedarf des Abbaus von Bürokratie und Staatsmacht. Es bedarf der Förderung von Freiheit, Kultur und Kreativität als Voraussetzung für die Entstehung des Neuen, für das wirtschaftliche und gesellschaftliche Fortschreiten. Es bedarf eines Neuanfangs. Für diesen Neuanfang ist Krieg keine Option.

07. Januar 2025
von:

Über

Tom Reimer

Submitted by cld on Do, 05/02/2024 - 23:09
Tom Reimer

Tom Reimer

Freier Autor, Journalist und Kabarettist

promovierter Neurobiologe

seit 2000 massenpsychologische Studien

Studium Biologie, Germanistik, Philosophie und Geschichte

Kontakt: 0151 27175283

tom-reimer.org