Hinter dicken Maueren Ruhe finden

Ferien in klösterlicher Stille

Ein Trend breitet sich in der ganzen Welt aus. Er einigt einfache Menschen, Spitzenmanager, Studenten und Familien, Erfolglose und Erfolgreiche. Der Papst macht keine Ausnahme. Er empfiehlt den zeitweisen Rückzug in die Einsamkeit, in die Stille eines Klosters oder einer Einsiedelei. Aus Amerika schwappte die Welle der neuen Innerlichkeit, des New Age, nach Europa über, wo sich die christlichen Klöster ihrer Vergangenheit besannen und die Pforten für Menschen öffneten, die auf der Suche sind nach dem Sinn – sei es in der Midlife-Crisis oder zu einem anderen Zeitpunkt ihres Lebens –, ohne gleich mit der Bibel zu winken. Der Trend heisst Suche nach Spiritualität. Der Materialismus lässt auf Dauer zu viele Fragen offen

 .In manchen Klöstern sind die sonst leeren Zellen zeitweise mit Gästen voll ausgebucht. Einige melden schon monatlich 50 Menschen, die das Kloster auf Zeit ausprobieren wollen. Studenten ziehen sich hinter Klostermauern zurück, um sich auf Examen vorzubereiten. Manager überlassen sich der Stille, um vor grossen Projekten innere Ruhe und Gelassenheit zu finden.
 
 

 Überall in Europa machen Menschen Erfahrungen, die sie in der Hetze des Alltags nicht mehr für möglich gehalten haben. Im «Manager Magazin» berichtet ein Headhunter, wie er sich als Exot in einem Kreis fühlte, wo sich alle duzten und wo er seit einem ersten Experiment auf dem Weg zur inneren Einkehr inzwischen Stammgast ist: im Benediktinerkloster von Ottobeuren.
 Ferien vom Ich und Suche nach Selbstvergessenheit führen dabei im Extremfall bis in ein Kloster der Trappisten, die sich dem absoluten Schweigen verpflichtet haben. Eines ist das Kloster Marienwald und liegt in der Eifel. Seine Mönche wollen mit niemandem sprechen, wollen niemanden missionieren und niemandem etwas beibringen. Sie leben in Weltabkehr, in völliger Entsagung nur für Gott – das Ambiente des Klosters zieht offensichtlich nicht nur wegen der extremen Bedingungen Besucher an. Das Schweigekloster scheint ideale Voraussetzungen zu bieten, um «auf das Schweigen der Stille zu hören», wie es die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» in einer Reportage beschrieb.Der Weg dahin beginnt gewöhnlich mit einem Schock. Kaum jemand kann vor dem Eintritt ins Kloster und bevor sich dessen Pforten für einige Zeit geschlossen haben, sich vorstellen oder erahnen, wie er auf die Stille reagiert. Es scheint unerwartet schwierig zu sein, sich in einer kargen Zelle einfach hinzusetzen und sozusagen darauf zu horchen, was in einem selbst zu einem sprechen will.
 

 Ein Ausweichen gibt es nicht, weil alles, was zur Ablenkung verleiten könnte, aus dem Raum verbannt ist.
 Nach einem Kloster-auf-Zeit-Besuch bei den Benediktinerinnen schilderte eine Teilnehmerin später: «Ich hatte mich so auf das Schweigen und eine absolute Stille gefreut, hatte mir nicht vorstellen können, dass sich dann in dieser Stille in mir ein solcher Lärm, ein solcher Zirkus entwickeln würde. Da war was los in meinem Kopf. Zwei Tage habe ich gebraucht, bis es wirklich still in mir wurde. In diesen ersten, wilden Tagen waren mir die Menschen um mich zu viel, obwohl ich mir beim Stehen, Gehen, Sitzen wie eine Gefangene vorkam. Die Individualistin in mir protestierte. Am dritten Tag war alles ruhig. Keine störenden Menschen, kein Gefängnis mehr, sondern unendlich viel Raum.» (...)

Aus: Hanspeter Oschwald:
 «Der Klosterurlaubsführer». Verlag Herder Freiburg im Breisgau 2003, Fr. 17.70. Der neu überarbeitete Führer motiviert zu Ferien in der Stille und enthält Adressen und Beschreibungen von rund über 100 Klöstern in ganz Europa, die Ferien oder Retreats anbieten.
 Der Autor Hanspeter Oschwald (*1943) war 23 Jahre für die dpa in Italien und Frankreich tätig und leitete das Auslandressort des Nachrichtenmagazins Focus. Derzeit ist er Leiter der Burda-Journalistenschule in Offenburg.

14. März 2007
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