2012 – auf der Schwelle
Auch wenn sich esoterische Prophezeiungen nicht bewahrheiten, dürfte 2012 durch beschleunigte Entwicklungsprozesse geprägt sein, durch Eskalation und Enthüllungen. Während die Untauglichkeit der alten Systeme überdeutlich wird und sich die Wut der Missbrauchten in Protesten entlädt, baut eine Avantgarde schon an den Modellprojekten einer neuen Wirklichkeit. (Roland Rottenfusser)
Das Jahr 2012 hat schon begonnen, genauer gesagt am 11.11.2011. Kein Faschingsscherz! Etwa 400 Menschen aus aller Welt sind aus diesem Anlass in die peruanische Andenregion, nahe dem Titicacasee, gereist, um eine einzigartige Zeremonie zu begehen. Sie findet nahe einer eindrucksvollen Felsformation statt, die «Gottes Tor» genannt wird – der Legende nach die Pforte in eine andere Dimension. Peruanische Priester sind zugegen, die das heilige Wissen der Mayas hüten.
Es ist ein uralter Kraftort, zu dem die Teilnehmer aufsteigen: auf 4000 Höhenmetern, was das Atmen schwer macht. Reiseleiterin Carolina Hehenkamp ist Bestsellerautorin («Das Indigo-Phänomen») und mit spirituellen Ritualen wohl vertraut. Dieses Erlebnis ist aber auch für sie nicht alltäglich. «In unseren Köpfen drehen sich unterschiedliche Galaxien und weit entfernte Planetengruppen», beschreibt sie ihre Gefühle. «Uralte Portale öffnen sich, während wir in Bussen zu Gottes Tor ‚Amaru Muro’ fahren. (…) Wenn wir uns in die drei Portale stellen, spürt jeder sofort die Verbindung mit den Göttlichen Ebenen des Seins.»
Ritual hoch in den Anden. Warum wurde dieser Ritualort gewählt? Dort, in der Andenregion hat sich die «Schlange des Lichts» verankert. Einem Mythos zufolge hat die Erde, wie der menschliche Körper, bestimmte feinstoffliche Energiezentren (Kundalinizentren). Das wichtigste wird «Schlange des Lichts» genannt und war bis vor kurzem in Tibet zentriert. Es «wanderte» jetzt jedoch zum Titicacasee und verströmt von dort aus eine «weibliche elektrische Energie». Sie berührt die Herzen und macht sie bereit für die Ankunft des neuen Zeitalters, in dem «Pacha Mama» (Mutter Erde) und Vater Himmel in Harmonie leben werden. Der 11.11.2011 ist ein Schwellendatum, mit dem dieser Prozess in seine heisse Phase tritt.
Carolina Hehenkamp schildert das Herzstück des Rituals: «Nach eine Zeremonie mit Cocablättern, um Mutter Erde zu danken, formen alle Teilnehmer eine Spirale. Um genau 11 Uhr 11 senden sie die Herzschwingungen von Liebe, Frieden und Einheit an Mutter Erde, die Elemente, die vier Richtungen und die Menschheit aus. Andenmusik, Flöten und Didgeridoos begleiten uns. Danach startet eine laute, fröhliche Feier. Alle umarmen sich.» Für Carolina Hehenkamp hat das Jahr 2012, das nun anbricht, gewichtige Bedeutung: «Die Trennung zwischen den Dimensionen wir aufgehoben und jeder kann erkennen dass er ein wertvoller Teil Gottes ist, immer gewesen ist.»
2012 – im Hype um das geheimnisvolle Jahr verschmelzen traditionelle und moderne Mythen. Schliesslich ist die Jahreszahl selbst zum Mythos geworden. Lange schon spüren wir die «Bugwelle» von Gerüchten und Ängsten, die 2012 beim Näherkommen vor sich her treibt. Und wir erschrecken fast, wie nahe es uns schon gerückt ist. Carolina Hehenkamps Zeremonie in den Anden ist dabei nur eine von vielen Ausdrucksformen des «2012-Fiebers».
«Das Vermächtnis der Maya wird sich erfüllen.» Die Seminarleiter Leniel und Jophiel Nebrig (Selbstbeschreibung: «Mitglieder der Lichtfamilie») präsentieren auf ihrer Webseite die Essenz aus neun Prophezeiungen der Geistesgeschichte. U.a. von Nostradamus, Johannes, Pater Pio sowie aus «eigener Befragung der Akasha-Chronik». Ihr Resümee: «Die Menschheit wird zu ungeahnter Grösse reifen, und ab 2012 wird ein neues Zeitalter (Das Goldene Zeitalter) beginnen.» Statt «Apokalypse» verwenden sie lieber den Begriff «Spirituelle Reinigung der Erde.» Auch vom Aufstieg in die 5. Dimension ist die Rede. Die Krise soll sich auf drei Tage verdichten, in denen die Erde an einen anderen Platz im Kosmos gerückt wird. Sogar Überlebenstipps gibt es. Lichtarbeiter sollen während des Übergangs unbedingt in ihren Wohnungen blieben und die Fenster abdunkeln. «Denn was sich draussen in der Zeit abspielt, übersteigt extrem unser Fassungsvermögen. Es würde bei uns Todesangst erzeugen.»
Zum Glück gibt es auch moderatere Prophezeiungen. Einige besonders populäre sollen hier in der Kürze beschrieben werden.
Der Maya-Kalender endet: Hier liegt der Ursprung des Booms um «2012». Der Maya-Kalender betrachtet Zeit nicht wie einen Pfeil aus der Vergangenheit in die Zukunft, er berechnet sie in Zyklen. Verschiedene Zyklen (Teilkalender) greifen wie Zahnräder ineinander. Bekannt sind der Tzolkin-Kalender, der Haab-Kalender und die «Lange Zählung», die mehr als 5000 Jahre dauert. Am 21.12.2012 endet nicht nur ein solcher langer Zyklus, sondern auch eine 26.000 Jahre umfassende Grossepoche, die sich nach der Präzession der Erdachse berechnet. Die (gedachte) Verlängerung der Achse wandert immer um das Zentrum unserer Galaxie herum. Zur Wintersonnwende 2012 wird sie zum ersten Mal seit 26.000 Jahren wieder ins «Herz der Milchstrasse» zeigen. Was das bedeuten kann, weiss niemand, weil es über das «letzte Mal» keine Aufzeichnungen gibt. Die meisten Autoren deuten das Ende des Maya-Kalenders aber nicht mehr als Ende der Welt, sondern «nur» als einen Epochenwechsel mit drastischen Veränderungen.
Nibiru – die Aliens kommen: Der Privatforscher Zachariah Sitchin will aus altsumerischen Schriften ein atemberaubendes Szenario herausgelesen haben: Der Wanderplanet Nibiru umrundet die Sonne in einem sehr langen Zeitrhythmus: 3600 Jahre. Er wird bewohnt von sehr weit entwickelten Ausserirdischen: den Anunaki. Diese Wesen besuchten in die Erde, als sich beide Planeten nahe waren. Sie liessen sich als Götter verehren und sind (durch Genmanipulation) die eigentlichen Schöpfer der heutigen Menschheit. 2012, so behaupten esoterische Forscher, soll sich der Planet wieder der Erde nähern, und die Aliens könnten zurückkehren. Auch Erich von Däniken leitet aus seiner Präastronautik in neuen Veröffentlichungen eine Vision von der «Rückkehr der Götter» ab. Alternativ gibt es eine Theorie, wonach ein Wanderplanet («Planet X») 2012 auf die Erde prallen und alles Leben auslöschen könnte.
Polsprung: Der magnetische Pol der Erde wandert ständig, allerdings nur minimal und seit langem in die gleich Richtung. Ursache ist wahrscheinlich die Rotation von flüssigem Eisen im Erdkern. 2012 könnte sich die Richtung dieser Wanderung umkehren und/oder ein extremer «Sprung» geschehen. Die Neigung der Erde im Verhältnis zum Weltraum könnte sich ändern, die Jahreszeiten würden sich verschieben. Als wissenschaftlich erwiesen gilt, dass die Stärke des Erdmagnetfelds seit 1979 um 1,7 Prozent abgenommen hat. Da das Magnetfeld schon seit Jahrhunderten «schwächelt», wird auch befürchtet, dass Sonnenstürme ungehindert zur Erde vordringen können.
Die Sonne explodiert: Nicht nur «esoterisch» sind Spekulationen über verstärkte Sonneneruptionen im Jahr 2012. NASA-Wissenschaftler erforschten in den letzten Jahren verstärkte Sonnenaktivitäten und erwarten deren Höhepunkt für das kommende Jahr. Sie entwarfen auch ein Szenario der möglichen Folgen für unsere Zivilisation, käme es zu einer Super-Eruption und einem geomagnetischen Sonnensturm. Die gravierendsten Auswirkungen beträfen das irdische Energienetz. 1859 brannten bei einem ähnlichen Vorfall alle Telegraphen-Verbindungen durch, und 1989 waren in Kanada sechs Millionen Menschen für mehr als neun Stunden ohne Strom. Noch nie waren unsere Versorgungseinrichtungen weltweit so vernetzt und damit verwundbar wie heute. Noch nie waren wir so abhängig vom Strom. Ohne Computer etwa funktioniert heute kein Wirtschaftszweig mehr. Wenn die Stromausfälle Tage und Wochen andauern, könnte dies unsere Lebensmittel- und Wasserversorgung und vieles mehr tangieren.
Dies allerdings wäre ein einmaliges Ereignis, das vorübergeht. Es gibt jedoch Entwicklungen, die unaufhaltsam auf eine Eskalation zutreiben und die auch nach dem 21.12.2012 nicht enden werden. Dazu gehören die Bevölkerungsexplosion (seit Ende 2011 leben 7 Millarden Menschen auf der Erde) und der Klimawandel.
Beispiel Finanzen: Noch brisanter dürften die Eskalation der Schuldenkrisen sowie die instabile Lage auf den Finanzmärkten sein. Es könnte sein, dass 2012 zum Jahr des grossen Zusammenbruchs wird. Man muss bedenken, dass Schulden und Vermögen wie die Erdbevölkerung exponentiell wachsen. In Europa dürfte ein Staat nach dem anderen «fallen» – jeweils begleitet von Medienkommentaren, nur ein strenger Sparkurs auf Kosten der Bürger könne die Rettung bringen. Diese «Rettung» zieht die Staaten jedoch immer tiefer in den Sumpf, weil sie die Binnenkonjunktur abwürgt. Die internationale Steuerzahlerherde wird für die Spielschulden der Zocker in Haftung genommen. Wenn «starke» Länder für die «schwachen» mitzahlen, beschleunigt sich jedoch deren eigener Zerfallsprozess. Letztlich könnte die EU auseinander brechen, indem ein Land nach dem anderen Insolvenz anmeldet und ausscheidet. Auch die USA, die 2011 nur knapp am Staatsbankrott vorbeischlitterten, könnten zum Epizentrum eines globalen Finanzbebens werden.
Ein Jahr der Aufstände: Als Folge dürfte 2012, noch mehr als 2011, zum Jahr der Revolten werden. Die Wut wird wachsen, weil den Menschen ohne eigenes Verschulden immer mehr genommen wird. Gleichzeitig werden die Rechtfertigungsstrategien der Machtelite zerbröckeln. Wenn Machthaber Misshandlung und Ausplünderung als «alternativlos» preisen, liegt es nahe, nach Alternativen zu besagten Machthabern zu suchen. Wenn alle Länder über die Schmerzgrenze hinaus sparen müssen, kann dies nicht länger als Einzelversagen interpretiert werden. Es wird immer mehr Menschen klar werden, dass ein Systemfehler vorliegt. Da Alternativen jedoch meist nicht in Sicht sind, wird sich zunächst ein eher ungerichteter Volkszorn entladen. Infolgedessen werden die Machteliten ihre Repressionsmassnahmen verstärken. Der Kapitalismus wird versuchen, den Spiegel zu zerschlagen, der ihm sein hässliches Gesicht zeigt.
Die Masken fallen: «Apokalypse» heisst vom Wortsinn her nicht «Weltuntergang», sondern «Enthüllung der Wahrheit». Somit war schon 2011 apokalyptisch: Fukushima hat die Lüge von sicheren Atomanlagen hinfällig gemacht. Der Polit-Showman zu Guttenberg stolperte über eine gefälschte Doktorarbeit. Rupert Murdoch musste zugeben, dass sein Presseimperium Prominente bespitzelt hatte. Der deutsche Verfassungsschutz schaute über Jahre untätig dem Treiben einer Neonazi-Mörderbande zu. Den Banken traut sowieso keiner mehr, nachdem legal das Geld vieler Anlieger veruntreut wurde. Die Glaubwürdigkeit der tragenden Institutionen unserer Gesellschaft erodiert, und es ist kein Zufall, dass es gerade jetzt passiert. Computer, Handy und «Schwarmintelligenz» ermöglichen es heute, Missstände in Rekordzeit aufzudecken und die Informationen darüber zu verbreiten. Politiker müssen zunehmend absurde Positionen vertreten, an die sie selbst nicht mehr glauben. Deshalb kommt es zu «Freudschen Versprechern», zu Fehlleistungen und gar zur Flucht aus den Ämtern. Dies dürfte sich 2012 verstärken.
Regierungen purzeln: Berlusconi und Papandreou waren erst der Anfang. 2012 stehen in mehr als 25 Ländern der Erde Wahlen an, u.a. in den USA, in Frankreich, in Russland, im Iran und in Tunesien. Vielfach sind Regierungswechsel wahrscheinlich. Die durch die Systemdynamik erzeugten Krisen wird eher der regierenden Partei angelastet werden, auch wenn die Opposition nicht minder verstrickt ist. Jeder Staatschef ist heute automatisch ein «Rekordschulden-Präsident» oder «Pleite-Premier», es sei denn, es gelingt ihm, ein gewaltiges, umweltschädliches Wirtschaftswachstum loszutreten. Die Intervalle zwischen den Machtwechseln dürften kürzer werden. Ende 2012 wird eine globale Politikerriege versammelt sein, in der man ausser Angela Merkel kaum mehr ein bekanntes Gesicht findet.
Vorboten des Neuen: Unterdessen wird eine wachsende Avantgarde unermüdlich an Modellprojekten einer Welt nach dem Zusammenbruch arbeiten. Diese Projekte können als Rettungsboote für wenige und als Vorbilder für viele dienen. Einiges davon findet man in dem hervorragenden Dokumentarfilm «2012 – Time for Change» von João Amorim. Wissenschaftler, Künstler und Vordenker sprachen darin über den Abschied von einem materiellen Weltbild und die Geburt einer globalen, nachhaltigen Kultur. Popstar Sting fasst zusammen: «2012 ist ein interessantes Jahr - wir müssen es zu einem positiven Jahr machen!» Und der Geldreformer Bernard Lietaer fordert dazu auf, Erkenntnis in Aktion umzuwandeln: «Spirituell sein bedeutet handeln.» Von politisch noch unklaren Protestbewegungen wie «Occupy» wird eine Suchbewegung ausgehen. Gleichzeitig werden Vertreter schon vorhandener Konzepte wie Humanwirtschaftsbewegung, Grundeinkommen oder regionale Selbstversorgung versuchen, ihre Ideen in den Protestbewegungen zu verankern. Es entsteht ein explosives Gebräu aus Konzepten und Projekten – vielleicht der Keim einer neuen Weltordnung.
Eine letzte Prophezeiung: Spätestens an Weihnachten könnte kollektiver Katzenjammer herrschen. Stellen wir uns vor, 2012 ist vorbei, und die Welt ist nicht untergegangen. Auch das Goldene Zeitalter lässt weiter auf sich warten. Es hat Veränderungen gegeben, aber gibt es die nicht in jedem Jahr? Muss dann ein neues Jahr in der Zukunft ausgewählt werden, auf das wir unsere Ängste und Hoffnungen projizieren können? Vielleicht wird die Ernüchterung auch heilsam sein. Wir können dann endlich überspannte Erwartungen loslassen und tun, was zu tun ist, um eine bessere Welt zu bauen.
Übersichtliche, kritische Infos zu 2012-Theorien: www.2012-blog.de
Webseite von Carolina Hehenkamp zu spirituellen Reisen: www.pranalight.de
DVD-Tipp: João Amorim: 2012 – Time for Change. Alive Vertrieb 2010, 80 min., Fr. 29,90/ Euro 16,99
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