365 Tage geöffnet
Nina Reinmann, Teilzeit-Angestellte in einem Bahnhofshop
«Ich bin wohl auch so ein Produkt der Konsumgesellschaft ... An Wochenenden treibt es mich immer, etwas zu unternehmen, sei es ins Kino, zum Minigolf, zum Brunchen oder sonst was. Seit ich vor eineinhalb Jahren mit dem Job in diesem Bahnhof-Shop begonnen habe, empfinde ich es fast als Erleichterung, dass ich am Samstagabend auch mal ganz ‹legitim› nachhausegehen und schlafen kann ...! Die Sonntage im Shop sind streng. Um 6 Uhr morgens beginnen wir mit Backen – am Sonntag wird das meiste Brot verkauft. Das ist happig, da ist man voll dran. Etwa sechs bis acht Leute, über die Hälfte der Belegschaft, sind auf Trab. Da bin ich am Abend zu nichts mehr zu gebrauchen. Eigentlich habe ich diesen Job aus Faulheit angenommen. Ich wollte neben meinem Studium in Sozialarbeit nicht noch einen anspruchsvollen Job, der mich womöglich noch in der Freizeit gedanklich beschäftigt. Manchmal komme ich mit dem Studium zusammen auf fast 120 Prozent. Zum Leben reicht›s trotzdem nicht ohne Unterstützung der Eltern. Weil ich keine Lehre abgeschlossen habe, stehen mir nicht so viele Möglichkeiten offen. Doch es ist ja nur ein befristeter Studentenjob für mich – anders als bei den meisten anderen hier, die darauf angewiesen sind.
Es sind Frauen um die Vierzig mit Migrationshintergrund oder mit schlechter Ausbildung, ohne jede Chance, einen besseren Job zu finden. Sie entsprechen absolut dem Bild des ‹Working poor›: Familienfrauen, deren Budget kaum reicht, obwohl auch ihre Ehemänner voll arbeiten. Gerade 19 Fr. brutto erhalten wir für die Stunde, Ferien, Sonntage und Feiertage sind da drin. Richtige Sklavenhalterei, wenn man bedenkt, was das Leben so kostet. Und dafür machen wir Arbeit, etwa WC putzen, die sonst niemand für diesen Lohn machen würde – das ist schon unter allem. Doch wer unternimmt da etwas? Jedenfalls nicht die Angestellten, die froh sind, überhaupt einen Job gefunden zu haben.
Ich habe mich geweigert, mehr als zweimal pro Monat am Sonntag zu arbeiten. Ich kann mich wehren, habe ja auch nicht so viel zu verlieren. Das geht natürlich wieder auf Kosten der anderen Frauen, aber blöd gesagt, sind die vielleicht froh ums Geld. Ich muss auch für mich schauen, habe ja auch noch eine Beziehung und einen Freundeskreis. Sie alle haben ihre freie Zeit am Wochenende. Wenn ich am Sonntag arbeite, dann ist das Wochenende gestorben. Auf die Länge geht so was nicht.
Es will mir nicht in den Kopf, dass man nicht mal ein Tag vorausdenken kann, was man zuhause braucht. An 365 Tagen im Jahr haben wir geöffnet. Sogar an Weihnachten bringen es die Leute nicht fertig, ihre Einkäufe zu planen ...
Unsere Sonntagskundschaft ist bunt gemischt. Auch immer mehr Ältere, die es als positiv werten, dass bei uns noch alles so überschaubar ist, man in Ruhe einkaufen kann – fast wie in einem Tante Emma-Laden. Autofahrer oder Jugendliche kaufen eine Kleinigkeit, ‹Alkis› decken sich mit Spirituosen ein. Sie sind weit weniger freundlich als die ‹Junkies›, etwa der höfliche Stammkunde, der hier stets Feuerzeuggas und Alufolie kauft zum Inhalieren. Mal hab ich einen Jugendlichen beim Klauen erwischt. Er habe den Schokoriegel bloss mit seiner Jacke abwischen wollen, wollte er mir weismachen und brach in Tränen aus. Der hatte solche Angst vor Eltern und Polizei. Ich riet ihm, sich im Shop besser nie wieder blicken zu lassen ...
Bald werde ich mich von hier verabschieden und als Teil meiner Ausbildung in ein Arbeits-Integrationsprogramm für junge Erwachsene einsteigen – darauf freue ich mich. Nach dem Studium suche ich mir einen Job mit regulären Arbeitszeiten. In so einer Bude werde ich bestimmt nie mehr arbeiten.»
Aufgezeichnet von Eva Rosenfelder
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Nina Reinmann (*1990) wohnt in Winterthur, studiert an der Schule für Soziale Arbeit in St. Gallen und arbeitet momentan als Teilzeitangestellte in einem Bahnhof-Shop.
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Mehr über das Verschwinden des Sonntags im Schwerpunktheft «Am siebten Tag»
Es sind Frauen um die Vierzig mit Migrationshintergrund oder mit schlechter Ausbildung, ohne jede Chance, einen besseren Job zu finden. Sie entsprechen absolut dem Bild des ‹Working poor›: Familienfrauen, deren Budget kaum reicht, obwohl auch ihre Ehemänner voll arbeiten. Gerade 19 Fr. brutto erhalten wir für die Stunde, Ferien, Sonntage und Feiertage sind da drin. Richtige Sklavenhalterei, wenn man bedenkt, was das Leben so kostet. Und dafür machen wir Arbeit, etwa WC putzen, die sonst niemand für diesen Lohn machen würde – das ist schon unter allem. Doch wer unternimmt da etwas? Jedenfalls nicht die Angestellten, die froh sind, überhaupt einen Job gefunden zu haben.
Ich habe mich geweigert, mehr als zweimal pro Monat am Sonntag zu arbeiten. Ich kann mich wehren, habe ja auch nicht so viel zu verlieren. Das geht natürlich wieder auf Kosten der anderen Frauen, aber blöd gesagt, sind die vielleicht froh ums Geld. Ich muss auch für mich schauen, habe ja auch noch eine Beziehung und einen Freundeskreis. Sie alle haben ihre freie Zeit am Wochenende. Wenn ich am Sonntag arbeite, dann ist das Wochenende gestorben. Auf die Länge geht so was nicht.
Es will mir nicht in den Kopf, dass man nicht mal ein Tag vorausdenken kann, was man zuhause braucht. An 365 Tagen im Jahr haben wir geöffnet. Sogar an Weihnachten bringen es die Leute nicht fertig, ihre Einkäufe zu planen ...
Unsere Sonntagskundschaft ist bunt gemischt. Auch immer mehr Ältere, die es als positiv werten, dass bei uns noch alles so überschaubar ist, man in Ruhe einkaufen kann – fast wie in einem Tante Emma-Laden. Autofahrer oder Jugendliche kaufen eine Kleinigkeit, ‹Alkis› decken sich mit Spirituosen ein. Sie sind weit weniger freundlich als die ‹Junkies›, etwa der höfliche Stammkunde, der hier stets Feuerzeuggas und Alufolie kauft zum Inhalieren. Mal hab ich einen Jugendlichen beim Klauen erwischt. Er habe den Schokoriegel bloss mit seiner Jacke abwischen wollen, wollte er mir weismachen und brach in Tränen aus. Der hatte solche Angst vor Eltern und Polizei. Ich riet ihm, sich im Shop besser nie wieder blicken zu lassen ...
Bald werde ich mich von hier verabschieden und als Teil meiner Ausbildung in ein Arbeits-Integrationsprogramm für junge Erwachsene einsteigen – darauf freue ich mich. Nach dem Studium suche ich mir einen Job mit regulären Arbeitszeiten. In so einer Bude werde ich bestimmt nie mehr arbeiten.»
Aufgezeichnet von Eva Rosenfelder
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Nina Reinmann (*1990) wohnt in Winterthur, studiert an der Schule für Soziale Arbeit in St. Gallen und arbeitet momentan als Teilzeitangestellte in einem Bahnhof-Shop.
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Mehr über das Verschwinden des Sonntags im Schwerpunktheft «Am siebten Tag»
30. Dezember 2013
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